Plötzlich schien alles sehr schnell zu gehen: Voodoo Jürgens überzeugte zwar schon monatelang sein Live-Publikum von Nussdorf bis zum Praterstern, solange aber noch kein käufliches Produkt in Form eines Albums spruchreif war, wurde er vom österreichischen Musikfeuilleton mit Ausnahme von Falter-Redakteur Gerhard Stöger ignoriert. Sein Publikum hätte er sowieso gefunden – vor einem Jahr trat er noch bei freiem Eintritt im Flex-Garten auf, bereits im Mai konnte er das Werk füllen, ehe nun das Flex schon Tage vor der Releaseparty „Sold out“ verkünden durfte. Nazar scheiterte beispielsweise selbst bei kostenlosem Eintritt daran, die Halle ähnlich voll zu bekommen. Denn: Voodoo Jürgens lebt nicht von Klicks und Likes, sondern nach wie vor – trotz oder auch gerade wegen des sehr gelungenen Studio-Albums – von der Darbietung seiner Geschichten von Angesicht zu Angesicht. Das sollte sich trotz der eher suboptimalen lokalen Umstände auch an jenem Freitagabend erweisen.
Bericht: Jan Braula
Fotos: Alexander Gotter
Bereits um 20 Uhr ist das Flex von Menschentrauben umgeben, viele suchen noch nach frei gewordenen Karten, manche hatten sogar Glück. Drinnen eröffnet die Clemens Denk Band mit eingängigen Melodien und obskuren Texten – „Aber der Sound ist gut“ heißt der bekannteste Anti-Hit der Band – dieser Anspruch kann von der Club-Anlage leider auch in weiterer Folge nicht wirklich erfüllt werden. Das für Flex-Verhältnisse eher ältere, aber bunt durchmischte Publikum applaudiert hie und da höflich. Als Voodoo Jürgens mit seiner Ansa Panier Live-Band die Bühne betritt, nimmt für einen kurzen Moment die Stille den Raum ein. Durch „Wien bei Nacht“ wird sie unterbrochen. Die Nummer schaffte es zwar nicht auf die „Ansa Woar„, in ihr heißt es aber zur Schottenring-Umgebung so passend, dass sich nachts halb Wien treffe, um nach einer Medizin zu suchen. Nach dem nunmehr frenetischen Applaus holt Voodoo Jürgens zur im Titelbild zu sehenden Triumph-Pose aus, nur um dann gleich wieder in seine sympathische Bescheidenheit zurückzufallen: „Is eh bissl wos los heit – gfreit mi!„
Eva Billisich (alias Gitti) ist leider krank, Nino aus Wien selbst live unterwegs, und der angekündigte „Special Guest“ ist auch nicht gekommen – oder wie es Voodoo Jürgens selbst zusammenfasst: „Irgendwie san die heit olle net do„. Dennoch ist das rund einstündige Konzert von ungezwungener Kurzweiligkeit geprägt. Die Ansa Panier und Voodoo Jürgens wirken gut eingespielt, auch wenn die gemeinsamen Auftritte bisher noch in der Minderheit gegenüber den Solo-Konzerten sind. Im Zuge einer Zigaretten- und Dosenbier Pause, bringt Voodoo Jürgens selbst das Mehrpersonen-Kurzhörspiel „Alimente“ zum Besten, in dem er zum wiederholten Male sein schauspielerisches Talent beweist. Der Musiker zeigt sich einmal mehr als Bühnenprofi, der scheinbar jedes Publikum, sofern es ihn nur sprachlich versteht, mit der Darbietung seiner Lieder und Texte mitreißen, zumindest aber zum Sinnieren, verleiten kann. Das Mitsingen der Sympathisantenschar hält sich zwar in angenehmen Grenzen, die Euphorie reicht bei manchen Voodoo-Jüngern aber gar zu Stagediving-Versuchen. Jazz Gitti und Yung Hurn werden nicht gesichtet, dafür aber A Geh Wirklich, Stefanie Sargnagel, Voodoos Vater, DJ Elk, und ein ORF- sowie ein ARD-Kamerateam.
Zum Schluss wird Voodoo Jürgens ganz alleine mit seiner Gitarre und dem Mikrofon gelassen. Fast wirkt es so, als ob diese Reduktion besser beim Publikum angekommen wäre. Während zuvor in den hinteren, durch die Flex-Anlage eher schwach beschallten Reihen noch relativ viel getratscht wurde, hängen die hunderten Augen und Ohren spätestens bei „Tulln“ an seinen Lippen. Der gut bestückte Merchandise-Stand wäre nach dem Konzert beinahe überrannt worden, irgendwie können dann aber doch noch binnen kürzester Zeit fast alle Wünsche erfüllt werden. Um Punkt 22 Uhr 30 wird man nämlich im grellen Licht von den charmanten Securitys zur Afterparty ins lokaleigene Café geladen, wo laut Augenzeugen-Berichten noch bis in die Morgenstunden gefeiert wurde, während die große Halle einer Techno-Veranstaltung überlassen wurde.
Am Mittwoch geht Voodoo Jürgens mit Wanda, Nino aus Wien und anderen auf eine viertägige Bussi-Kreuzfahrt, die von Genua über Barcelona und Marseille nach Bologna führen wird. Besser passt der Musiker wohl an andere, weniger Kaufkraft verlangende Orte, aber auch das wird sich irgendwie ausgehen. Der Kommerz-Vorwurf ist jedenfalls nicht haltbar, da Voodoo Jürgens nach wie vor bei kleineren Veranstaltungen gegen mehr oder weniger Hutspende auftritt. Gleichzeitig macht sich der Musiker auch keine Illusionen: „Früher oder später kannst du dann nicht mehr nur im Einbaumöbel bei freiem Eintritt und vor 50 Leuten spielen.“ Lange Zeit trug Voodoo Jürgens seine Dialektlieder noch ausschließlich in ähnlich kleinen Rahmen und an weniger durch-regulierten Orten als dem Flex oder einem Kreuzfahrtschiff vor. Er wird es zwar wieder tun, ohne jegliche Diskreditierungs-Intentionen sei aber bildlich an einige der Konzerte vor dem Popularitätsschub und der vermeintlichen Wanda-Verschwörung erinnert, als Voodoo Jürgens sich noch mit „Wienerliedobskur“ beschreiben ließ, oder an einem Nachmittag in einem Wiener Plattenladen „Weh au weh“ mit seiner Tochter sang. Ähnliche Auftritte werden wohl früher oder später wiederkommen, in der Zwischenzeit hätte es sich Voodoo Jürgens redlich verdient, auch finanziell möglichst stark von seiner Musik profitieren zu können.
Record Store Day (Schallter Records), 16.4.2016
Rotzpippmpestfest 4.9.2016; Foto: Andreas Rosenthal
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