„Hier kommt der Neger aus dem Gemeindebau, hart und rau.“ So beginnt der offizielle Release „Umstritten wie noch nie“ der Untergrund Poeten aus dem Jahr 1994. Die EP umfasste drei Originalkompositionen und zwei Remixes. Und ein satirisches Hörspiel-Intro, in dem Roberto Blanco auf einem Musikantenstadl in Kärnten von unbekannten Tätern zusammengeschlagen wird. Darauf folgen Texte über Alltagsrassismus und Gewalt, untermalt von harten Beats – eine Mischung aus NWA und Public Enemy, nur aus Wien und auf Deutsch. Als Untergrund Poeten stießen die Rapper U-Gene, Ottakringer MC und DJ Chaoz eine bis dahin noch verschlossene Tür auf: Gangstarap auf Österreichisch. Und „Umstritten wie noch nie “ war der Urknall in diesem Genre.
Autor: Jan Braula
Fotos/Scans: DJ Chaoz; Stefan Anwander, Jan Braula
Der Artikel erschien ursprünglich Anfang 2010 in unserer 40. Printausgabe in der Serie „Austrian Vinyl Classics“
Um die Mitglieder der Untergrund Poeten ist es ruhig geworden im letzten Jahrzehnt. Von den einstigen Pionieren ist heute nur noch DJ Chaoz auffindbar. „In der Luft war immer ein bisschen Aggressivität. Das hast du gespürt. Auf der Straße gab es immer wieder Fights. Vor allem am Reumannplatz… Da hat man sich entweder stellen oder das anders verpacken können. Wie wir mit der Musik“, erinnert sich der heute 37-jährige DJ Chaoz an die Wiener Atmosphäre in den frühen Neunzigern. Er hat die Band von Anfang an begleitet. „Das dürfte 1993 gewesen sein“, sagt er, „aber Zahlen sind nicht meine Stärke“. Wenn DJ Chaoz über die Untergrund Poeten spricht, dann grinst er meistens. Die Geschichten rund um die Crew fallen ihm nur langsam ein. Sie sind schließlich bereits 15 Jahre her. Inzwischen hat DJ Chaoz die Musik aus Zeitgründen aufgegeben. Nach dem Abschluss seines Publizistikstudiums arbeitete er zunächst freiberuflich für Radio und Fernsehen und machte sich danach erfolgreich in der PR-Branche selbstständig. Aber HipHop hat ihn bis heute nicht losgelassen. „Ich bin damals einfach gebrandet worden. Das kriegst du aus Einem nicht mehr raus.“ Auch die Untergrund Poeten nicht.
U-Gene, Ottakringer MC und DJ Chaoz lernten sich auf einem der seinerzeit stark frequentierten Basketballplätze Wiens kennen. Chaoz ist ein paar Jahre älter, aber auch noch jung genug, um wie die anderen beiden keinem geregelten Job nachgehen zu müssen. Sie knüpfen schnell Kontakte in der damals überschaubaren Wiener Szene. So auch zum ersten österreichischen HipHop Label Duck Squad, welches von 1993 bis 1997 von Burstup (Schönheitsfehler DJ/Produzent) betrieben wurde und vor allem in den Anfangsjahren mit den ersten Releases von Texta, Total Chaos und eben auch den Untergrund Poeten seinen Teil zur österreichischen HipHop Kultur beitrug. „Die Untergrund Poeten hatten zwar eine andere Attitüde, aber sie haben HipHop gemacht und waren talentiert. Also haben wir beschlossen: mach’ma was gemeinsam!“, sagt Burstup heute.
Duck Squad war 1993 im Rahmen des Möglichen bereits gut vernetzt und vermittelte die Untergrund Poeten an den Wiener XL Rab, der damals bereits ein erfahrener Produzent war. Der war zwar eher auf Funk spezialisiert, trotzdem half er ihnen maßgeblich beim Produzieren ihres ersten Demos. Die Demo-Kassette wurde innerhalb der Wiener HipHop-Szene zu einem kleinen Unkostenbeitrag unter die Leute gebracht. „Aus Favoriten, ihr könnt uns nicht verbieten“, heißt es im Intro. Die Polizei wird gefickt, die Rechten gefetzt und die Macht der 9-Millimeter gepriesen. Die Reaktionen fielen positiv aus. Dennoch wurden die Untergrund Poeten häufig dafür belächelt, dass U-Gene und Ottakringer MC mit so harter Attitüde auf Deutsch rappten. Damals stellte sich im österreichischen Rap noch nicht im Entferntesten die Frage, ob auf Mundart oder Hochdeutsch gerappt werden soll. Zur Wahl standen Hochdeutsch oder Englisch. Auch U-Gene und Ottakringer MC rappten am Anfang noch auf Englisch – bei Advanced Chemistry und Cora E aus Heidelberg hörten sie erstmals, dass man auch harten Deutschrap machen kann, ohne dabei peinlich zu klingen.
Nach dem ersten Demo war schließlich die Zeit reif für etwas Größeres: eine 12-Inch. Als dann „Umstritten wie noch nie“ tatsächlich auf Duck Squad rauskam, konnten die Untergrund Poeten bereits auf einen kleinen, aber verlässlichen Fankreis zurückgreifen. Die Platte erschien nur auf Vinyl, so wie fast alle Duck Squad-Releases. Auf der Rückseite der Plattenhülle wurde ein „Rettet die Schallplatte“-Logo platziert. „Damals wurde oft der Tod der Schallplatte prophezeit“, sagt DJ Chaoz. „Wir hatten das Gefühl, dass wir gegen diese Gefahr ankämpfen müssen“. Auf die Tatsache, dass „Umstritten wie noch nie“ heute nach wie vor für 10 bis 15 Euro bei diversen Wiener Second Hand-Plattenläden auftaucht, reagiert er eher irritiert: „Was? Wer zahlt das noch bitte?“ Das Coverdesign für „Umstritten wie noch nie“ lieferte MC Milo von Schönheitsfehler, der auch das Untergrund Poeten-Logo gestaltet hat.
„Umstritten wie noch nie“ wird ein Erfolg. Im April 1995 zeigen sie den Mittelfinger am Titelblatt der Wiener Stadtzeitung Falter. Im Lifestyle-Magazin City wurde von den „härtesten Texten, die je in Österreich auf Platte gepresst wurden“ berichtet. Schließlich kam es im Rahmen eines größeren Filmprojektes von Hannelore Tiefenthaler sogar zu einer in den heimischen Kinos ausgestrahlten Kurzdoku „Untergrund Poeten“.
Aber der Ruhm hielt nicht lange und bereits 1995 wandte sich das Blatt auch zum Schlechteren. Mit „Umstritten wie noch nie“ im Rücken beendeten die Untergrund Poeten die Zusammenarbeit mit Duck Squad und wechselten zum Majorlabel MCA. „Ich hab die Trennung als fließende Entwicklung in Erinnerung“, sagt Burstup. „Wir haben uns immer stärker musikalisch auseinander gelebt“. Indes kam es auch innerhalb der Untergrund Poeten zu Konflikten, ganz besonders zwischen DJ Chaoz und den beiden MCs. Laut Chaoz hat eine Messerstecherei bei einer HipHop-Veranstaltung in der Discothek U4, damals noch Szene-Hotspot, zum Bruch geführt. Die Geschehnisse in dieser Nacht liegen aber im Unklaren. Angeblich sollen U-Gene und Ottakringer MC einen Bekannten zur Messerstecherei angestiftet haben. Für Chaoz eine herbe Enttäuschung. MC Milo hat den Abend noch in Erinnerung: „Diese Aktion war die Spitze der ´wir san echte Gangsta´-Attitüde.“ Burstup hingegen misst dem eher weniger Bedeutung bei: „Ein, zwei Jahre lang hat es auf jeder HipHop-Party einen Wickel gegeben.“ sagt er. „Es gab immer Gewalt und Schlägereien. Es gab immer irgendwen, der beklaut worden ist und es war oft die Polizei da.“ Die Harmonie zwischen DJ Chaoz und den MCs ging jedenfalls zugrunde.
Auch noch 1995 kam es bei einem gemeinsamen Jam von Schönheitsfehler, Fresh Familee und den Untergrund Poeten in Floridsdorf dann zu strengeren Eingangskontrollen als sonst. Milo und Burstup erinnern sich beide, dass der Entourage der Untergrund Poeten „ein ganzes Waffenarsenal an Ketten, Messern und sogar eine Gaspuffn“ beim Eintritt abgenommen wurde. Davon weiß DJ Chaoz nichts mehr, aber schon die Messergeschichte im U4 war für ihn eine Enttäuschung. Gleichzeitig konnte er sich auch textlich nicht mehr mit den Raps identifizieren. Sie wurden ihm zu hart, die Authentizität ging in seinen Augen verloren: „Bis zu einem gewissen Grad war unser hartes Image authentisch. Aber in Wirklichkeit waren wir schon Mittelstand“.
Im selben Jahr erschien die zweite, etwas kontroversiellere EP „Vorsicht ist geboten“ auf MCA – und floppte. DJ Chaoz war zwar damals noch dabei. Aber es sollte nicht mehr lange dauern bis er sich aus der Crew zurückzog. Der Kontakt brach ab. U-Gene und Ottakringer MC waren noch ein, zwei Jahre als Untergrund Poeten unterwegs. Sie versuchten im Umfeld vom Rödelheimer Hartreim Projekt Fuß zu fassen. Sie zogen nach Frankfurt. Eine CD – „Vom U zum P und wieder zurück“ kam zwar 1996 noch raus, doch sie floppte wie schon „Vorsicht ist geboten“. Die Untergrund Poeten lösten sich endgültig auf.
Nach seinem Abgang von den Untergrund Poeten arbeitete Chaoz noch als Produzent mit jungen Wiener Rappern zusammen: A.N.S., Burag und vor allem die Hidden Nation Crew waren häufige Gäste in seinem Homestudio. Mit DJ Urbs startete er dann schließlich das Trip Hop Projekt Urbs ´n´ Chaoz. Zwei Releases auf Uptight Records, dem Label von Werner Geier aka Demon Flowers und Rodney Hunter folgten. Mit „Closer To God“ landeten Urbs ´n´ Chaoz einen Semihit, der seinerzeit auf FM4 rauf und runter gespielt wurde. Die Nummer bekam auch internationale Aufmerksamkeit und wurde unter anderem von der Thievery Corporation geremixt. Musikalisch war für DJ Chaoz der HipHop-Einfluss nach wie vor da, aber: „Mein Fokus hat sich dann mehr auf die Musik verlagert und HipHop als Bewegung ist für mich in den Hintergrund getreten.“
Was die anderen beiden Untergrund Poeten heute machen, darüber kann DJ Chaoz nur spekulieren: Ottakringer MC lebt heute wahrscheinlich immer noch in Deutschland, U-Gene sei zum Islam konvertiert, habe er gehört. „Mehr weiß ich auch nicht.“ Den Überblick über das aktuelle österreichische Rapgeschehen hat er über die Jahre verloren: Phat Frank, Nazar? Noch nie gehört. „Dass ich jetzt schon zur alten Garde gehöre, das ist so unpackbar für mich. Es ist echt unglaublich, wie viel Zeit da jetzt schon vergangen ist. Fünfzehn Jahre. Bist du deppat.“
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