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Gegen den Herzschmerz: Diskoromantik sind „Besoffene Lover“ // Porträt

Gegen den Herzschmerz: Diskoromantik sind „Besoffene Lover“ // Porträt

Diskoromantik

Gekleidet in weiten grauen Anzügen und weißen Hemden betreten HipHop Joshy, Jonas Herz-Kawall und Melonoid die Blue Box am Wiener Neubau. Gemeinsam bilden sie die Formation Diskoromantik, am 13. November ist ihr Album „Besoffene Lover“ erschienen. Im Lokal, das einst als Drehort für FalcosRock Me Amadeus“ diente, haben wir uns mit dem Heiße-Luft-Trio verabredet, um über das seit einiger Zeit angekündigte Projekt zu sprechen.

Wie eine trashige 1980er-Kombo

Diskoromantik

Die Ursprünge von Diskoromantik liegen über zwei Jahre zurück. Als Joshy und Jonas ungestört an ihre gemeinsamen Rap-Anfänge im Duo WSDG anknüpfen wollten, mieteten sie eine Hütte in der Steiermark. Dass sie Melonoid mitnahmen, war dem Umstand geschuldet, dass keiner der Stammproduzenten Zeit hatte. Bei den Kennenlern-Sessions seien die Diskoromantik-Debütsingle „Hütte im Wald“ und die ersten Albumtracks entstanden. „Wir haben uns dort überlegt, was thematisch unser gemeinsamer Nenner ist. Wir arbeiten ja gerne mit Aufhängern. Ich war in einer intensiven On-Off-Beziehungsphase. Das war natürlich bisschen anstrengend, hat aber viel Inspiration geliefert“, erinnert sich Joshy. „Bei mir war’s ähnlich. Wir haben davor nie wirklich Lovesongs gemacht, aber es hat sich gut ergeben“, ergänzt Jonas. So habe sich bald abgezeichnet, dass sie auf ein Trennungsalbum hinarbeiten und dabei viele ihrer Erfahrungen verarbeiten. Auf „Besoffene Lover“ geht es sogar direkt mit der Trennung los, bevor nach einigen Ups und Downs die Wiedervereinigung folgt – quasi als Endlosschleife. Ein Konzept, das dank des Starts am Ende ans heuer erschienene Album „Lobotomie“ von Def Ill erinnert.

Bisher vor allem auf Boombap-Beats zu hören, wollten sich die Rapper bei den Sessions bewusst davon wegbewegen. Melonoid, der bereits das soundtechnisch sehr offene Album „Chicago Baby“ von Hunney Pimp produzierte, erwies sich als passende Anlaufstelle. Für „Besoffene Lover“ ließ er sich durch die Heiße-Luft-Label-Partyreihe „Heiße Nächte“ inspirieren. Neben klassischem Disco-Sound seien dort auch viele Love- und Kitsch-Sachen aufgelegt worden. „Wir haben uns dann in die Neue Deutsche Welle, Italo-Disco und den Dieter-Bohlen-Stuff reingediggt“, nennt Melonoid schmunzelnd die Anfangsinspirationen vieler Tracks. Diese Einflüsse möchten sich die drei auch optisch anmerken lassen. „Wir feiern das ja und wollten in das ganze Feld reinpassen. Dass es ausschaut, als wären wir eine richtig trashige 1980er-Kombo“, sagt Melonoid. Auch dank der gesunden Portion Selbstironie, die sie an den Tag legen, liegt ein Vergleich zu gefühlsbetonten deutschen Rap-Crews wie Erotik Toy Records oder Tropikel Ltd. nahe. „Voll, ich finde die Mucke von denen auch ziemlich geil“, bestätigt Joshy den Eindruck.

Einfach und catchy, aber nicht plump

Der tanzbarere Sound stellte die beiden Rapper vor neue Herausforderungen, ermöglichte ihnen zugleich Freiräume. Im Aufnahmeprozess haben sie viel mit ihren Stimmen herumexperimentiert und nach etwas Anlaufzeit angefangen, Autotune einzubauen. „Bei den ersten Tracks habe ich sie immer wieder überzeugen müssen – singt’s mal! Am Anfang, wie bei ‚Schlafzimmerblick‘, war es eher noch ein Rufen. Seither ist viel passiert, meistens kommt schon eine Melodie zu den ersten Ideen“, fasst Melonoid den Prozess zusammen. „Es ist was anderes, wenn du Melodien für Refrains suchst und schaust, wie du es einfach und catchy, aber nicht plump hältst“, ergänzt Joshy. Dass er uns Jonas in diese Sound-Welt reingewachsen sind und mit der Zeit mutiger geworden sind, ist später entstandenen Tracks wie „Metronom“, „Früher war alles besser“ oder „1 VS“ anzuhören.

Die Skizzen der Tracks seien größtenteils in der steirischen Hütte und im Jahr darauf an einem Haus am Attersee entstanden. „Das Schreiben und die Entstehung der Songs gehen ja recht schnell“, meint Jonas. Den verhältnismäßig langen Entstehungszeitraum von über zwei Jahren erklären sich Diskoromantik eher durch die Denkarbeit beim Konzipieren, den Findungsprozess beim Sound und den zunehmenden Perfektionismus bei der Ausgestaltung. „Wir haben das Album gefühlt vier Mal gemacht, weil immer wieder Sachen überarbeitet und neu recordet haben, weil die Ansprüche höher geworden sind“, sagt Joshy. Außerdem waren sie zwischenzeitlich mit dem Aufbau des labeleigenen Studios „Die Schule“ beschäftigt.

Professioneller und massentauglicher?

Eine erhaltene Musikfonds-Förderung ermöglichte eine verhältnismäßig professionelle Ausgestaltung. Diese zieht sich auch durch die vier vorab veröffentlichten Videos zu „Schlafzimmerblick“,  „Aber“, „Früher war alles besser / 1 VS 1“ und „Nichts“, die von Picture on the Fridge stammen und einheitlich im VHS-Stil produziert sind. Am aufwendigsten erscheint das Split-Video zu „Früher war alles besser / 1 VS 1“, das Diskoromantik in einem täuschend echten Hochzeitssetting zeigt – natürlich als Hochzeitsband. Ein Karriereziel? Die drei winken lächelnd ab. „Wir würden auf jeden Fall für Bros spielen, aber jetzt nicht für jeden“, meint Jonas. Thematisch sind sie zumindest bisher ohnehin einer Scheidungsband näher.

Dass sich HipHop Joshy und Jonas Herz-Kawall auf poppigerem Terrain als bisher bewegen, steht außer Frage. Richtig massen- oder radiotauglich erscheint der Sound auf „Besoffene Lover“ aber nicht. „Bei allem was am Album oben ist, finde ich es recht kantig und rough – es ist schon noch nischig, aber es geht natürlich in eine melodischere und offenere Richtung“, meint Melonoid. Für die große Masse sei der Sound schlichtweg zu experimentell und zu wenig einheitlich. In Zukunft wollen Diskoromantik das poppige Element jedenfalls weiter forcieren. „Wir haben beschlossen, dass wir keine 16er mehr machen“, sagt Joshy. „Wir entfernen uns immer mehr von HipHop-Regeln – oder Regeln überhaupt“, ergänzt Melonoid. Ein zweites Album sei bereits in Planung und könnte schon nächstes Jahr erscheinen.

See Also

Auch wenn der Hauptfokus der Rapper derzeit bei Diskoromantik liege, wollen sie in naher Zukunft könnten auch wieder Solosachen angehen – als Ausgleich. „Ich habe langsam wieder Bock drauf, auch solo aufzunehmen – was dann sicher von Diskoromantik beeinflusst ist, aber es muss nicht nur um Liebe gehen. Aber noch ist nichts spruchreif“, meint Jonas. Bei Joshy scheinen die Pläne schon konkreter: „Ich will irgendwann im nächsten Jahr eine EP rausbringen, im Idealfall im ersten Halbjahr. Es wird auf jeden Fall Rap und bisschen härter, also etwa in die Richtung von ‚Hop oder Drop‘. Das Rappen macht mir ja nach wie vor Spaß.“

„Besoffene Lover“ ist am 13. November via Heiße Luft auf Vinyl, Tape und digital erschienen. Als Featuregäste sind Dirtysanchez, Hunney Pimp, Edwin, Gloriettenstürmer, JerMc und Yugo vertreten.