Weit geschnittener grauer Anzug, weiße Sneaker, eine mit einem Bügel auskommende Retro-Brille und eine rauchige Stimme, die einer Naturgewalt gleicht – Big Chief ist eine Figur, die sich schnell einprägt. Als Host blüht er auf, wie seine durch den Club schallenden, meist mit einem „Ey yo, Wien!“ startenden Anmoderationen unterstreichen. Gemeinsam mit seinen Compadres Jamie (aka JollyJay) und Hanno ist er ins Loft gekommen, um die 2013 in Berlin gegründete, doch längst nomadisch durch deutsche Städte ziehende Battle-Reihe DLTLLY zum zweiten Mal im Ausland auszutragen, nachdem man Wien bereits im vergangenen Jahr beehrt hat.
Aufgrund eines „fiesen Staus in Tschechien“, wie Big Chief der Crowd noch in gedrosselter Lautstärke sagt, sind die drei Organisatoren verspätet angekommen. Das erste Battle zwischen dem Augsburger Akanoo und dem Online-Battle-erfahrenen Lokalmatador Spike, für den die a-capella-Disziplin jedoch Neuland ist, findet mit einer halben Stunde Verspätung statt. Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass das Neonlicht im Loft die mitfilmenden Jamie und Hanno vor besondere Herausforderungen stellt und die Einstellung der Kameras viel Zeit benötigt. Schließlich sollen die fünf stattfindenden Battles in Bälde auf YouTube hochgeladen werden und auch dort ein gutes Bild abgeben. Big Chief hat hingegen „den Zettel mit den Judges verbummelt“, bei der Auswahl der jeweils fünf Judges ist somit Improvisation gefordert. Bevor die Kameras laufen, klärt der Host das Publikum über den längst zur Routinie gewordenen Ablauf in feinstem Berlinerisch auf: „Wir filmen den ganzen Keks und ich brülle herum. Bitte nicht minutenlang klatschen, lieber mal richtig dolle eskalieren, wenn es angebracht ist!“ Eine wichtige Ansage, schließlich verzichtet man bewusst auf Mikrofone, da „es von der gleichen Augenhöhe aller Beteiligten lebt“. Aufmerksamkeit, Ruhe und Disziplin seitens der Crowd sind daher besonders wichtig. Als die Kamera erstmals läuft, beweist Chief der rund um die beiden auftretenden MCs positionierten Meute erstmals sein volles Stimmvolumen – also in Bezug auf die Dezibel.
Auch auf Rap-Ebene startet der Abend mit Akanoo und Spike holprig – beide wirken etwas verunsichert, ihre Bars sind zeitweise schwer zu verstehen, besonders in den hinteren Reihen. Obwohl die Location stetig voller wird, können die nachfolgenden MCs besser mit der Situation umgehen und ihre je drei vorbereiteten Parts souveräner und verständlicher vortragen. DemoLux und der Leipziger Krom liefern sich ein packendes Duell, nach der Pause geht es weiter mit dem Graz-Wien-Battle Fate One versus Sirius Crack sowie dem amüsanten „2 on 2“, bei dem das „Team Meme“ (Doktor Dave & Dirtysanchez) gegen das „Team Graz“ (Spello & Al Pone) antritt. Allesamt sehens- und hörenswerte Battles, doch als erwartetes Highlight fungiert das Mainmatch zwischen „local Representer, der in Berlin schon abgerissen hat“ JerMc und dem „absoluten Freestylegenie“ Papi Schlauch in einer mittlerweile brechend vollen Hütte. „Das wird ein Kracher-Match, wer reinlabert ist ein Wappler, wie ihr in Wien sagt“, kündigt Chief das Battle an. Mit einer hohen Dichte an intelligenten Punchlines und Wortwitz beweisen sie in einem fulminanten Schlagabtausch, dass sie im deutschsprachigen Raum zur absoluten Battle-Elite gehören. Die Meute johlt zu Recht. Das sehen auch die euphorisierten Judges so, die das Battle gar als eines der besten in der DLTLLY-Geschichte werten.
Unter dem Publikum sind auch lokale Rapper wie Kreiml anwesend, der das Main-Match als „Abriss“ bezeichnet und sich generell begeistert zeigt. Mitmachen möchte er aktuell aber nicht: „Mir taugt es, das zu beobachten. Es ist wohl nicht die Disziplin, in der ich gut bin. Ich mach‘ lieber Mucke. Vielleicht irgendwann einmal.“ Ähnlich lässt Zane von siebzig prozent den Abend Revue passieren: „Raptechnisch waren alle fünf Battles auf einer hohen Stufe, mit viel Entertainment. Es ist cool, dass das in Wien passieren kann, die Leute zu den Punches cool abgehen und nicht übertrieben zu einer schlechten. Das dritte Battle mit Fate war für mich die Überraschung des Abends, obwohl er mei Hawi ist. Weil er so drübergefahren ist. DemoLux war auch supergeil.“ Auch bei ihm sind die Ambitionen, selbst zu batteln, überschaubar: „Wir haben es seit sechs Jahren nicht einmal geschafft, unser Album rauszubringen. Wenn wir ein Battle schreiben, wird’s schwer für uns. Es würde mich aber reizen, gegen irgendeinen Deutschen zu battlen.“ Lukas, ein Besucher, der eigentlich hauptsächlich Rockmusik hört und selten auf Rapkonzerte geht, hat seine ganz eigene Herangehensweise an Battlerap. Auf die Frage, was ihm am besten bei diesem Format gefällt, meint er: „Ich finde die Spasten- und Hurensohnjokes am lustigsten, weil es auf einem hohen Niveau sehr tief ist. Ich feiere es voll, wenn sich zwei Erwachsene beschimpfen und dissen, es ist ultralustig.“ Live bei einem Battle ist er das erste Mal, weil er sich auf die Videos von JerMc so „reingeflasht“ habe. Ebenso Battle-Neuling ist Besucherin Alexandra, die den Wiener DLTLLY-Termin generell ganz gut fand, aber manchmal Probleme hatte, alles zu verstehen, wenn man sich mit der Szene nicht so gut auskennt. „Fate One hat mir am besten gefallen, weil er gute Texte hatte und es auch über Politik ging. Fand ich besser, als wenn sie sich nur beleidigt haben“, meint sie.
Auch die Veranstalter zeigen sich zufrieden. Hanno meint etwa: „Das Licht war gegen uns, das hat beim letzten Mal besser geklappt. Sonst war es vom Publikum und den MCs her richtig geil. Wir haben schöne, coole neue Leute getroffen.“ Die Atmosphäre sei immer gleich bei DLTLLY-Events, Wien jedoch ein vergleichsweise kleines Event. Das könnte sich aber beim nächsten Besuch ändern: „Wir wollen nächstes Jahr wieder nach Wien, aber wir sollten in eine andere Location gehen, die ein bisschen gerechter fürs Publikum ist. Etwas Quadratisches, wo jeder gleich gut sehen kann.“ Generell zeigen sich die beiden aber bei den lokalen Dreistil-Veranstaltern dankbar, weil sie die Infrastruktur für ein Event in Wien gestellt haben. Genau das fehle ihnen noch in der Schweiz, wo sie auch gerne veranstalten würden. Und Innsbruck sei noch ganz hoch oben auf der Wunschliste, weil sich ein paar Leute von dort gemeldet haben. „Wir wollen auf jeden Fall mehr außerhalb von Deutschland machen. Ist ja schön, dass es noch ein paar deutschsprachige Länder gibt, das muss man ausnützen“, meint Jamie.
Und wie sind sie eigentlich auf die teilnehmenden Rapper aufmerksam geworden? „Ein bisschen über Dreistil, wir sind mit Malik viel in Kontakt. JerMc war einer der Besten in Wien, das war schon vor seinem ersten Match bei uns klar. DemoLux hatte sein erstes Battle in München, ist auch bekannt in der Freestyle-Szene. Die Battle-Szene an sich ist ziemlich klein. Viele Fans kennen sich, aber vor allem die MCs. Es ist eine Leidenschaft, die verfolgt man auch und dann ist man auf den gleichen Online-Plattformen und Events. Jeder kennt sich, es spricht sich rum, wenn einer gut ist.“ Trotzdem meint Jamie auch, dass in Deutschland die Written Battles ein bisschen weiterentwickelter sind als in Österreich. „Es gab einfach schon mehr. JerMc ist einer meiner absoluten Lieblings-Battlerapper, weltweit sogar. Ich schaue ganz viel englische Battles und er ist einer der wenigen, bei denen ich weiß, dass er das auch alles schaut. Weil er auf dem gleichen Level ist. Er ist einer, der auf YouTube noch besser ankommt als live, der könnte ganz locker Titelkandidat sein, aber er will halt nicht. Er sagt, wenn er den Titel gewinnt, kann er sich nicht mehr seine Gegner aussuchen und ist gezwungen, irgendwann zu battlen. Er sagt lieber, er battelt wenn er will. Das verstehe ich“, erzählt Jamie weiter. Die beiden hören auch noch gerne andere österreichische Rapper wie Manuva, T-Ser und DemoLux. Aber generell seien sie bei Deutschrap ziemlich hinterher, Jamie komme aus der UK-Szene und ist selbst da nicht mehr am aktuellen Stand. Auch DLTLLY sei an internationalen Battles orientiert, allen voran Don’t Flop, weil Jamie an die zehn Battles dort gemacht habe. „Wir wollen nichts 1:1 kopieren, aber es macht Sinn, dass man schaut, was gut gelaufen ist und was nicht und aus den Fehlern lernt. Wir haben sogar einiges besser gemacht als King Of The Dot und Don’t Flop, aber wir haben das Rad nicht neu erfunden. Das Konzept gesehen, miterlebt, gefeiert und gesehen, dass in Berlin etwas in der Art fehlt„, erläutert Jamie die Entstehungsgeschichte von DLTLLY, während er ganz wienerisch in seine Käsekrainer beißt.
Die Wiener Matches sind vorab kostenpflichtig als PPV auf Vimeo zu sehen. Mehr Fotos vom Abend von David Lindengrün:
Text: Simon Nowak & Julia Gschmeidler
Fotos: David Lindengrün
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