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„Wir leben in einer Komfortzone“ // Dynamic Drift Interview

„Wir leben in einer Komfortzone“ // Dynamic Drift Interview

Bis dato gleichermaßen als Rapper und Produzent in Erscheinung getreten, beschränkt sich CHiLL-iLL auf dem Album „In Bewegung“ aufs Rappen. So kommen beim neu geformten Duo Dynamic Drift Instrumentals seines jungen Kollegen DaskOne zur Geltung, die neben organischen Samples auch verstärkt elektronische Elemente beinhalten. Wir haben uns mit den beiden vor der Releaseshow in St. Pölten über die Zusammenarbeit unterhalten, darüber hinaus etwa über fehlender Zivilcourage und übermäßigen Medienkonsum gesprochen. Wie auch inhaltlich auf dem Album, durfte eine schöne Portion Gesellschaftskritik im Interview nicht fehlen, denn da gibt es aktuell genügend Themen: Äußerlichkeiten und Oberflächlichkeit, politische Aussagen von Rappern und steigender Waffenbesitz.

Dynamic Drift
Fotos: Zoe Goldstein

The Message: CHiLL-iLL, du hast früher auf hochdeutsch gerappt, seit Längerem rappst du nun schon im Dialekt. In unserem letzten Interview hast du gemeint, du wärst nicht abgeneigt, wieder hochdeutsche Sachen zu machen. War es für dich von Anfang an klar, dass dein neues Album wieder im Dialekt sein wird?
ChiLL-iLL:
Das war eine intuitive Entscheidung, weil ich nicht kalkuliert vorgehe. Für mich war es hier eigentlich von Anfang an klar, weil ich das Projekt auch so gestartet habe und ich generell intuitiv im Dialekt schreibe.

Das Album ist ja ein Kollabo-Projekt mit DaskOne, der die Beats produziert hat. Wie kam’s dazu?
DaskOne: Ich hab damals ein Interview von CHiLL-iLL auf FM4 gehört, in dem er sein „Aus Aundara Aunsicht“-Album vorgestellt hat, so bin ich auf ihn aufmerksam geworden. Es gab dann ein Jahr später ein Remix-Projekt zum Album, wo ich meinen Remix eingereicht habe. So sind wir in Kontakt gekommen. Von da an habe ich immer wieder Beats rübergeschickt und irgendwann hat er dann einen 16er aufgenommen.
ChiLL-iLL: Genau, mir haben die Beats von ihm immer gefallen und es ist eigentlich alles sehr locker passiert. Bei dem Remix-Projekt war DaskOne gerade mal 17 Jahre alt. Ich hab dann spontan was aufgenommen. Aus einer Nummer wurde ein EP-Plan, dann ist das ganze zu einem Album gereift.

Sind Kollabo-Projekte schwieriger beziehungsweise anspruchsvoller und nervenaufreibender als Solo-Projekte?
CHiLL-iLL: Ich bin es gewohnt, alles selber zu machen. Es war anfangs schon ein bisschen komisch, an jemanden gebunden zu sein. Aber ich habe von Beginn an ganz anders auf seine Beats geschrieben, als ich das vielleicht bei meinen eigenen tun würde. Dieser frische und äußere Input war sehr wichtig und spannend für mich. Jeder hatte aber seinen Aufgabenbereich, insofern hat das gut geklappt.

Du produzierst ja selbst relativ viel. Ist es dir schwergefallen, diese Aufgabe sozusagen abzugeben? Kommt man dann hin und wieder an Punkte, an denen man sich denkt, dass man das selbst aber anders gemacht hätte?
CHiLL-iLL: Ein bisschen diskutiert haben wir schon immer wieder. Wobei ich den ganzen Songaufbau übernommen habe. Sprich alle Beats hab ich zu den Texten angepasst und auch alle Scratch-Samples zu den Tracks gediggt und gecuttet.
DaskOne: Stimmt, ich bin ja eine faule Sau. Ich mache immer nur einen Loop und schick das dann rüber.

Dynamic Drift

Wer hat zum Beispiel die Samples ausgesucht?
DaskOne: Ich, aber da es ja nicht von Anfang an klar war, dass diese Beats für ein CHiLL-iLL-Album sein sollen, habe ich halt auch gar nicht so gearbeitet. Wir wollten schauen wo es hinführt, deswegen hab ich einfach herumproduziert und ihm das dann gezeigt.
CHiLL-iLL: Ich fand das ganz angenehm, weil man bei seinen eigenen Beats oft sehr verkopft ist und auf jedes noch so kleine Detail achtet. Bei den Beats von DaskOne ist das einfacher gewesen: Entweder es catcht einen sofort oder halt nicht. Darum ist das alles so locker passiert, das ist das Schöne an diesem Projekt.

„Ich sehe es als problematisch, dass sich vieles nur um das Äußerliche dreht und oftmals so hingetrimmt und inszeniert wird“

Auf dem Album befinden sich viele thematisch starke Songs, wie zum Beispiel „Fremde Federn“. Sind das Geschehnisse aus deinem näheren Umfeld, die du dann in deinen Texten verarbeitest oder woher nimmst du deine Inspiration?
CHiLL-iLL: Das war der letzte Song, den wir recordet haben. Bei der Nummer sind relativ viele fiktive Sachen dabei, was früher bei mir gar nicht so der Fall war. Ich habe mir ein bisschen Spielraum gegönnt. Wobei man ja mit der Thematik sowieso vertraut ist und da den ein oder anderen kennt und gewisse Lines auch zutreffen.
DaskOne: Ja, da gibt es einige prominente Beispiele.

Sowohl „Fremde Federn“ als auch „Zum inneren Kern“ handeln von Oberflächlichkeit, Unehrlichkeit und Angeberei. Ist unsere Welt zu sehr auf Äußerlichkeiten fixiert?
CHiLL-iLL: Mittlerweile denke ich schon. Ich sehe es als problematisch, dass sich vieles nur um das Äußerliche dreht und oftmals so hingetrimmt und inszeniert wird. Darum sag ich auf dem Song auch, dass die Schale weg muss, weil man nur so zum Fruchtfleisch und zum wichtigen, inneren Kern gelangt.

„Wir sind ja alle in gewisser Weise auf Medien angewiesen, gerade als Künstler“

Im Song „On & Off“ kritisierst du unser Mediennutzungsverhalten. Sind wir an dem übermäßigen Medienkonsum selbst schuld?
CHiLL-iLL: Ich wollte mal so einen Tagesablauf schildern mit welchen Dingen wir uns tagtäglich umgeben und aufhalten. Man könnte schon einen gesunden Ausgleich erreichen. Aber dass es so extrem ist liegt auch am technologischen Fortschritt, der auch viel weiterbringt. Wenn ich an die Medizin denke, dann bringt dieser Fortschritt ja viele Vorteile mit sich. Aber wenn ich auf die Straße gehe und sehe, dass jeder in sein Handy starrt und wesentliche Dinge ausblendet, finde ich das problematisch.
DaskOne: Es wäre abgehoben zu behaupten, dass wir uns dem Entziehen könnten. Wir sind ja alle in gewisser Weise auf Medien angewiesen, gerade als Künstler. Trotzdem stirbt die Zivilcourage durch dieses Verhalten. Ich denke mir das oft in meinem Alltag, zum Beispiel in der Straßenbahn bei irgendwelchen Pöbeleien, wenn dann niemand reagiert.
CHiLL-iLL: Wir leben halt in einer Komfortzone und aus diesem Hammsterrad kommt man schwer wieder raus.

Auf dem Sample von „Zwischenstück“ wird gesagt, dass sich viele Leute mal wieder bewusst machen sollten, dass HipHop eine Vorgeschichte hat und die Musik aufbauend auf anderer Musik entstanden ist. Setzt ihr euch seit jeher mit der Geschichte und Kultur von HipHop auseinander?
CHiLL-iLL: Das Sample ist aus einem Interview. Ich sage jetzt nicht von wem, denn das sollen die Leute selber herausfinden. Da sind wir wieder bei dem Inneren-Kern-Thema. Gerade im HipHop geht es ja viel um Oberflächlichkeit, da sollte man schon mal ein bisschen tiefer graben und schauen was dahinter steckt. Wenn man sich damit beschäftigt, wie die Musik entstanden ist und nicht das Erste anklickt, das einem Google vorschlägt, hat man auch einen anderen Zugang dazu. Diese Betrachtungsweise fehlt denke ich oft bei der jüngeren Generation.
DaskOne: Ich bin eigentlich nicht über die Musik zu HipHop gekommen. Ich war eher in der Graffiti-Szene, wobei ich echt kein toller Sprayer bin. Dieses Sprayer-Ding war in meinem Freundeskreis schon relativ früh sehr wichtig, ich habe ungefähr mit zwölf Jahren damit angefangen. Ich habe mich erst in späteren Jahren mit der musikalischen Ausprägung dieser Kultur befasst.
CHiLL-iLL: Meine älteren Geschwister hatten einen großen musikalischen Einfluss auf mich. 1999 habe ich langsam begonnen, selber zu schreiben. Für mich wurde das Schreiben und die Musik dann immer wichtiger, bis es zu einer Leidenschaft wurde. Dadurch, dass ich dann auch mit dem Produzieren begonnen habe, gräbt man automatisch tiefer und stößt auf Funk, Soul oder auch Jazz und darauf, wie sich die Kultur und HipHop generell entwickelt hat. Aber um zum Thema „Generationsübergreifend“ zu kommen: DaskOne hat sich im Nachhinein Platten gekauft aus einer Zeit, in der er noch gar nicht auf der Welt war. Dadurch haben wir gemeinsame Schnittstellen und einen gleichen Wissensstand, trotz Altersunterschied.
DaskOne: Ich hab nie nur exklusiv HipHop gehört, sondern eher elektronischere Sachen.
CHiLL-iLL: Deswegen klingt das Album so wie es klingt.

Auf „Ausnahme-Angst-Zustand“ behandelst du nicht nur die Flüchtlingsthematik, sondern sprichst auch den steigenden Waffenbesitz an. Bereitet dir das aktuelle Weltgeschehen Sorgen?
Die Nummer ist mir ein großes Anliegen. Es steckt schon im Namen: „Ausnahme-Angst-Zustand“. Ich würde mir wünschen, dass der Angstzustand, der uns von allen möglichen Seiten suggeriert wird  vor allem in der aktuellen Politik  wieder zur Ausnahme wird. Ich wollte wirklich die Problematik aufzeigen, dass auch immer mehr Waffen gekauft werden, obwohl sich die Gefahr ja hier in Österreich in Grenzen hält. Aber genau mit dieser vorherrschenden Angst spielt das rechte Lager der aktuellen Regierung extrem und dem muss man entgegenwirken.

„In Österreich könnten wir alle viel mehr auf die Straße gehen, wenn wieder irgendein Unsinn beschlossen wird. Aber im Normalfall passiert das nicht beziehungsweise nur selten“

Du kritisierst nicht nur die Medien, die deiner Meinung nach gewisse Themen zu sehr aufputschen, sondern auch die Menschen, die nur noch wegen Pokémon Go auf die Straße gehen. Sind wir wirklich so politikverdrossen, wie es uns oft vorgeworfen wird oder merkst du mittlerweile eine Verbesserung?
CHiLL-iLL: Der Hype um Pokémon Go ist mittlerweile ungefähr drei Jahre her. Damals war das oft wichtiger als die Politik. Natürlich kann man das nicht auf alle Generationen umlegen, aber da kommen wir wieder zum inneren Kern – das fügt sich alles ein bisschen. Mir war es wichtig, dass die Gesellschaftskritik am Album vertreten ist. Vor allem in Österreich könnten wir alle viel mehr auf die Straße gehen, wenn wieder irgendein Unsinn beschlossen wird. Aber im Normalfall passiert das nicht beziehungsweise nur selten. Weil wir Österreicher uns eben nicht aus unserer Komfortzone hinaus bewegen wollen, weil eigentlich ist ja eh alles gut.
DaskOne: Ich sehe schon, dass sich viele Leute vor allem in meiner Generation in der Politik entfremdet fühlen. Das ist eine schräge Auffassung von Demokratie. Eigentlich könnte aber jeder seinen Teil dazu beitragen, denn Demokratie fängt bei einem selber an. Aber anstatt was zu machen, findet man es leider oft nur scheiße und macht nichts.

Muss man sich heutzutage als Musiker positionieren?
CHiLL-iLL: Im Moment mehr denn je. Die Inhalte werden immer oberflächlicher und seichter. Dazu sollte man einen Gegenpol schaffen, besonders im HipHop, der in dieser Hinsicht wieder viel mehr Aussagekraft und Message benötigen könnte. Wer sagt denn sonst was, außer Musiker und vielleicht noch Kabarettisten?
DaskOne: Wobei, bei manchen Kandidaten wäre es mir lieber, sie würden es sich schenken, ihre politische Meinung kundzutun. Ich bin dem Thema gegenüber zwiegespalten, weil ich mir nicht jede politische Aussage anhören muss. Ich habe schon zu viel Blödsinn gehört, gerade im Deutschrap-Kosmos. Da wäre es mir oft lieber gewesen, gewisse Rapper hätten sich politisch nie geäußert, dann wäre die Musik wenigstens noch hörbar gewesen.

Seid ihr eher pessimistische oder optimistische Menschen?
CHiLL-iLL: Ich sehe mich schon als Optimist, das hört man auch oft in meiner Musik raus. Trotzdem finde ich es wichtig, dass man nicht auf heile Welt macht, sondern gewisse Probleme aufzeigt. Vor allem gesellschaftliche Probleme. Ich will aber niemanden belehren, sondern eher aufzeigen, die gute Laune beibehalten. Man kann das Album zum Glück aber so hören, dass man danach nicht in einer Depression versinkt. Ich will natürlich Denkanstösse geben, aber die Tracks haben dennoch vorwiegend einen positiven Ausgang.
DaskOne: Die Texte am Album sind schon eher konstruktiv. Vom Sound her ist es ein Feel-Good-Album.

CHiLL-iLL, du legst regelmäßig m Linzer Café Strom auf. In einem Interview mit uns hast du gesagt, dass Konzerte für dich immer noch das wichtigste Sprachrohr sind. Warum legst du so viel Wert auf den Live-Faktor?
CHiLL-iLL:
Live kann man ganz anders und auch direkter vermitteln und ich bin allgemein gern unter Menschen. Wenn man auf der Bühne steht, ist man der Mittelpunkt für die Leute und während dieser Zeit auch das Sprachrohr für sie. Bei Live-Auftritten steckt viel mehr Persönlichkeit dahinter. Ich könnte mir nicht vorstellen, nur Studio-Rapper zu sein.

See Also

Neben dem Produzieren und dem Aufnehmen von Songs hast du noch viel anderes gemacht. Du hast bei Wettbewerben mitgemacht, legst auf, hast Workshops gegeben. Wie sieht das bei dir aktuell aus?
Ich bin die letzten Jahre vermehrt als DJ unterwegs gewesen. Das reduziert sich aber gerade wieder auf vereinzelte Termine, aufgrund der Albumproduktion die nebenbei fast vier Jahre in Anspruch genommen hat. Auch mit dem kompletten Artwork zum Album war ich jetzt gut eingedeckt. Wir spielen auch aktuell eine kleine Release-Tour, da möchte ich meinen Fokus wieder auf das Live-Ding legen und mir Zeit für das Album nehmen. Ich war jedenfalls sehr produktiv die letzten Jahre und da liegt noch etliches Material auf der Seite.

Auf „Große Schritte“ sagst du: „Ich bin angekommen nach langer Entdeckungsreise“. Warum?
Ich spreche oft aus der Ich-Perspektive, meine aber vielleicht gar nicht mich selbst, sondern mache das, damit sich die Hörer direkt angesprochen fühlen. Mit knapp über dreißig hat man gewisse Erfahrungswerte und weiß was man will. Wobei man wortwörtlich nie ankommen sollte, weil man – so wie der Titel unseres Albums – in Bewegung bleiben soll. Aber zu der Zeit hat in meinem Umfeld einfach alles gepasst, ich habe mich gefestigt in meinen Schritten gefühlt und schätze auch nach wie vor mein Glück. Das bedeutet also nicht, dass ich mich nicht mehr bewegen werde.

Wir kommen zum Ende. Gibt es etwas, das ihr außer den angesprochenen Themen noch loswerden wollt?
CHiLL-iLL: Ja, was die Förderungspolitik für Musiker in Österreich angeht, hat man es echt nicht leicht.
DaskOne: Genau, da rennt man schon oft gegen Wände.
CHiLL-iLL: Man muss immer wieder nachhaken. Ich bin jetzt schon sehr lange dabei, aber es ist nach wie vor extrem mühsam. Da muss man schon sehr viel Leidenschaft für die Musik und ein starkes Rückgrat haben, damit man nicht aufgibt. Leider hat sich diesbezüglich in den letzten Jahren nichts geändert. In Österreich steht man schnell mal an und kommt an die Grenzen. Theoretisch würde ja mehr gehen, aber irgendwie ist es sehr schwer hier. Abgesehen davon, dass wir ein kleines Land sind und sich die Szenerie in kleinen Teilen bewegt, fehlt es definitiv noch immer an besseren Strukturen und Plattformen.

Live-Termine:
31. Oktober • Linz Kapu (mit Black Milk)

06. November • Wien Chelsea (mit Fellowsoph)

01. Dezember • Klagenfurt CIK

22. Dezember • Fischamend – Stand Up Club (mit TTR Allstars)