Zeichen setzen mit Zeichensätzen. Mag Rap, Reisen und gutes Essen.
Neben dem außergewöhnlichen, elegant an Pablo Picassos berühmtem Selbstporträt angelehnten Cover, ist diese Gleichstellung von Rapper und Produzent etwas, das im Zusammenhang mit dem Album sofort auffällt. Im Deutschrap eher ungewöhnlich, wird dadurch nicht nur Dexters Anteil am künstlerischen Endprodukt gebührend gewürdigt, die Doppelnennung am Cover lässt sich auch als Hinweis auf die gemeinsame Schaffung des Albums interpretieren, wobei der Produzent nicht nur als Beatlieferant und Zuarbeiter fungierte. Vielmehr wurde hier gemeinsam (und für ganze drei Jahre) an einer beeindruckend runden Platte mit Liebe fürs Detail gearbeitet. Und das Resultat wird den hohen Erwartungen gerecht! Denn was die Herren aus München und Heilbronn da gebastelt haben, ist wohl unter den drei besten deutschsprachigen HipHop-Releases des Jahres einzuordnen. Die zentralen Gründe dafür sind schlicht und ergreifend Vielfalt und Abwechslung, die dieses Album im Bezug auf Beats, Flows und die lyrische und musikalische Umsetzung von klug gewählten Themen zu bieten hat. Dazu kommt die nahezu perfekte Harmonie von Instrumentals und Rap, wodurch Fatonis Worte ihre Wirkung voll entfalten können.
„Kennst du das, du hattest sowas wie ein‘ Lieblingskünstler,
Zehn Jahre später ist derselbe Mensch ein mieser Stümper,
Sagen wir er war begnadeter Rapper,
alles war cool, solange er einfach nur begnadet gerappt hat“
(Benjamin Button)
Ohne Intro oder langes Geplänkel (auch auf Skits und dergleichen wurde gänzlich verzichtet), macht „Benjamin Button“ den Anfang. Der Track ist eine Mischung aus eleganter Abrechnung mit in die Jahre gekommenen Rappern und Darlegung der eigenen künstlerischen Steigerung. Schon hier offenbart sich eine von Fatonis großen Stärken: Themen aufgreifen, mit denen sich viele HipHop-Fans identifizieren können, und diese dann inhaltlich schlau und mit viel Wortwitz umsetzen. Direkt danach folgt mit „Authitenzität“ (sic!) der vielleicht stärkste Beat, aber auch insgesamt einer der absoluten Highlights des Albums, in Form einer treffenden Infragestellung des grassierenden Realness-Wahns im Rapgame.
„Ich bin fremd in diesem Land,
kein Euro in der Tasche, kein Cent in meiner Hand,
denn ich habe eine Visa-Karte,
auf einem Foto sieht es aus als hielte ich den Schiefen Turm von Pisa grade“
(32 Grad)
Mit „32 Grad“ serviert Fatoni die einerseits subtilste andererseits schmerzhafteste Gesellschaftskritik des zu Ende gehenden Deutschrapjahres. Wer auf einem – bewusst überdrehten – Synthesizer-Beat derart leichtfüßig die Flüchtlingskrise thematisiert, muss schon eine Menge am Kasten haben – zynischer ist nur die Realität. Weitere Highlights sind „Semmelweisreflex“, eine Studie der menschlichen Arroganz (beziehungsweise Dummheit) anhand von zwei Wissenschaftsanekdoten, „Stalingrad“ ein Storytelling-Track über einen armen Teufel, der alles verliert, aber auch nach dessen Verlust von Frau, Vermögen und Dach über dem Kopf sowie der Hodenkrebsdiagnose, versichert Fatoni: „Das ist alles immer noch besser als Stalingrad, wenn man es so betrachtet hat ist es nicht mehr ganz so hart“ – schwarzer Humor ist dafür vielleicht der richtige Ausdruck. Mit „Kein Tag“ gelingt dem Duo die Hymne der Am-Sonntag-nach-dem-Fortgehen-geht-gar-nichts-Generation. Zeilen wie „Ich häng nur ab wie ein Sumatra-Orang-Utan, das ist kein Tag, das ist ein tagähnlicher Zustand“ findet Fatoni Worte, um die absolute Leere zu beschreiben. Auf „ADHS“ und „Kann nicht reden ich esse“, auf dem Kryptic Joe als einziger Featuregast vertreten ist, stellen Fatoni und Dexter unterhaltsam unter Beweis, dass sie auch andere Stile lässig beherrschen, ohne dabei gekünstelt zu wirken. Auch Tracks wie „Schauspielführer“ und „ICE Abteil“ wissen auf ihre entschleunigte Art und mit einer persönlicheren Note zu gefallen, ohne zu konkret werden zu müssen.
Ich habe versucht, nicht unkritisch in die allgemeinen Lobpreisungen an der LP aus dem Hause WSP Entertainment einzustimmen. Doch wenn man überhaupt etwas an „Yo Picasso“ kritisieren kann, ist es maximal die Tracklist. Möglicherweise werden die Nummern zu Ende hin bewusst nachdenklicher, wodurch allerdings ein wenig der Intensität der ersten Hälfte verlorengeht. Dies ist aber nicht der Schwäche einiger späterer Tracks, sondern vielmehr der Meisterwerkdichte zu Beginn des Albums geschuldet.
Fazit: Alles in allem ist Fatoni und Dexter mit „Yo Picasso“ auf knapp 50 Minuten herausragende, anspruchsvolle Unterhaltung, zwischen Wortwitz zum Schmunzeln, beißendem Zynismus, treffenden Beobachtungen und durchwegs starken Klangkulissen gelungen. Ganz nebenbei wurden dazu noch einige hochkarätige Videos veröffentlicht, in denen Fatoni seine Seite als Schauspieler zeigen konnte. Mit der visuellen Untermalung von „Authitenzität“ (umgesetzt von OH MY) ist dabei ein Stück Kunst gelungen. Vielleicht das Deutschrap-Album des Jahres.
Ein Interview mit Fatoni findet ihr hier.
(deem)
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