Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Wer sich der Live-Session von „Harry Haller“ widmet, kann schon erahnen, wie Goldroger auf der Bühne agiert. Seine Songs, die als Fenster in seine Seele fungieren, wirken mit instrumentaler Begleitung des Produzentenduos Dienst&Schulter noch wuchtiger, emotionaler, melancholischer. Und von diesen nachdenklichen wie tiefgehenden Songs gibt es auf Goldrogers neuem Album „Diskman Antishock“ jede Menge.
Sein drittes Album soll eine Rückschau auf sein bisheriges Leben sein, es geht darum, dieses Revue passieren zu lassen und zu schauen, wo man seinen Prinzipien nicht ganz treu gewesen ist. „Es ist auch eine Rückbesinnung auf viele Sachen, die mich als Teenie glücklich gemacht haben. Das ist das was zählt, nicht das Geld„, sagt Goldroger darüber in einem Interview. Gleichzeitig greift dieses Konzept aber auch die Frage auf, welche Gewohnheiten er in seine 30er mitnehmen möchte – und welche zurücklassen, wie das Kiffen beispielsweise.
Passend zu diesem privaten Einblick sind auch die Locations klein gehalten, der Tourstopp in Wien ist im B72, in das nur etwa 200 Leute passen. Das Positive: Diese familiäre Atmosphäre macht das Konzert gleich von der ersten gerappten Zeile an zu etwas Persönlichem, die Performance wirkt authentisch, distanzlos und dennoch energiegeladen. Diese Verbundenheit wird auch davon unterstützt, dass Goldroger nicht als Soloact auftritt, sondern als Band. Die drei Musiker auf der Bühne wirken wie eine Gemeinschaft.
Von Nebel eingehüllt, spielt sich das Trio durch das neue Album. Bei „Speedball Drive“ tänzelt Goldroger mit seinen schwarzen Chucks über die Bühne, seine Kappe fliegt dabei schon mal zu Boden. Bei der Videoauskopplung „Lavalampe Lazer“ schweift sein Blick auch zu den Leuten, die die Show vom Geländer im ersten Stock aus verfolgen und bindet so auch das Publikum dort ein. „Den nächsten Song habe ich für ein wunderschönes Mädchen geschrieben„, sagt Goldroger. Zwischenapplaus. „Wie leicht“ handelt davon, dass die Wunden des Liebeskummers nicht verheilen sollen, um nicht wahrhaben zu müssen, dass die Trennung einen Schlussstrich darstellt. Ein so autobiografischer Song, dass der Rapper vor Veröffentlichung die Frau, von der der Text handelt, um ihre Zustimmung gefragt hat. „Ich denk an dich, denkst du an mich„, singen die Leute im Publikum mit.
„Ich fühle mich so unsicher vor Shows, dabei gibt es keinen Grund, unsicher zu sein„, gibt Goldroger zu. Das Wiener Publikum saugt die Musik und auch die Energie, die von den Künstlern auf der Bühne ausgeht, auf und gibt sie in doppelter Form zurück. Goldroger gibt so viel und ist dabei dennoch so bei sich, dass er bei den letzten Songs fast das Gleichgewicht verliert. Er schreit ganze Textzeilen und wird dann wieder ganz leise, um der Zerbrechlichkeit in seinen Liedern Nachdruck zu verleihen. Nach der Zugabe „Perwoll“ tauchen die Zuhörer den Veranstaltungsort in ein minutenlanges Getöse aus Applaus und Jubelrufen und zeigen Goldroger so, genauso wie Dienst&Schulter, wie dankbar sie für diese emotional geladene Show sind.
Fazit: Goldrogers Konzerte sind jedes Mal aufs Neue ein Garant für eine mitreißende Performance und intellektuelle, emotionale Texte, die dank instrumentaler Unterstützung noch eindringlicher sind. Dafür muss man nicht mal Rapfan sein, um Goldrogers Konzert zu fühlen.
Übrigens: 2020 kommt mit der zweite Teil der „Diskman Antischock“-LP über Irrsinn Tonträger, die dazugehörige „Diskman Legends“-Tour führt Goldroger am 29. Oktober 2020 ins Wiener Flex Café und tags darauf in die Grazer PPC Bar.
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