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Goldrogers Gefühlsschock // Album

Goldrogers Gefühlsschock // Album

Beitragsbild: Alexander Gotter

Mit „Diskman Antishock II“ liefert Goldroger nicht nur die namentliche Fortsetzung zum Album „Diskman Antishock“, sondern auch eine melodische und atmosphärische Weiterführung. So tropft auch beim 8. Mai erschienen Nachfolger der Pathos aus jeder Lücke der kunstvollen Wortkonstruktionen. Ähnlich tiefsinnig und gefühlvoll, aber melancholischer bewegt sich Goldroger auf sphärischen und träumerischen Beats zwischen Melodramatik und Realität. Der Rapper bleibt sich soweit stiltreu, dass er weiter auf den Genregrenzen tanzt und auf Gefühle setzt. Es ist ein seltener Genuss, ein Album zu hören, bei dem die nächste Reimkette nicht erahnbar ist, sondern man sich viel eher zurücklehnen, die Augen schließen und einfach nur fühlen will. Mit „Diskman Antishock“ – sowohl eins und zwei – hat Goldroger genau das geschafft und liefert insgesamt ein soundtechnisch wie thematisch rundes Kunstprojekt ab. Ja, Kunst. Denn lässt man sich auf die beiden Alben ein, erscheint es schwer möglich, dass kein emotionaler Abdruck zurückbleibt. 

Die Beats auf „Diskman Antishock II“ kommen, wie schon beim Vorgänger, von Dienst & Schulter. Das Kölner Produzentenduo hat bereits Goldrogers Album „Avrakadavra“ aus dem Jahr 2016 komplett produziert. Dass sie schon länger mit dem Rapper zusammenarbeiten, bleibt nicht unbemerkt, denn das neue Album ist bis in die letzten Vinyl-Ritzen zur Perfektion hin ausproduziert. Dass Dienst & Schulter neben der HipHop-Welt auch viel mit Jazz sozialisiert sind, merkt man laut Eigenaussage daran, dass sich teils sehr versteckte Jazz-Rhythmen und -Tonleitern in ihre Beats mischen. Dieser Effekt der Genreverschiebung und die damit verbundenen Klänge sind dank der langen, erfolgreichen Zusammenarbeit schon fast zu einem Gütesiegel für Goldrogers Tracks geworden.

So zum Beispiel auch bei den drei Singles. Neben dem Intro „Tesla“ sind auch „Kalkulation“ und „Horcrux“ vorab als Kostproben erschienen. Letzgennanter Track ist das unumstößliche Highlight des Albums. Der Track lehnt sich an Harry Potter an. Goldrogers Affinität zur Erfolgsreihe machte sich bereits im oben erwähnten Album „Avrakadavra“ bemerkbar. Den meisten, die mit den Geschichten um Harry Potter vertraut sind, dürfte auch der Begriff Horcrux geläufig sein: ein Objekt, in dem ein dunkler Magier einen Teil seiner Seele einsperrt. Für Goldroger ist dieses Objekt seine Musik. „Dieser Song wird der Horcrux“ singt er und lässt mit diesen Worten ein Stück seiner Seele in den tosenden Melodien zurück. Ein Überbleibsel seiner Selbst, das für immer an diese 3:43 Minuten gebunden sein wird, aber immer wieder wiederholt werden kann. In schmerzhafter Melancholie verliert sich Goldroger immer weiter in seinen Gedanken und macht es damit seinen HörerInnen vor.

Eine weitere Krönung der Melancholie ist der Song „Lip Gallagher“. Das ist nicht nur der Name eines zwischen „Fuck up“ und Genie wandelnden Darstellers aus der Serie Shameless, sondern bietet als Track einen Einblick in Goldrogers Innen- und Außenleben. Hin- und hergerissen zwischen fliegen und fallen, nicht wegkönnen und sich festhalten bleibt noch ein Gegensatz offen: „Sag mir du fühlst meinen Schmerz/Sag nicht du fühlst meinen Schmerz“. Neben den eigenen Problemen spricht er auch die Haltung anderer Rapper an: „Ihr steht für nichts, bückt euch für Manager/Wer ständig sitzt, der kann kein Gangster sein/Sag was nutzt dein Rücken ohne Rückgrat, das ihn stemmen kann?“

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Uu“ fügt sich in die Reihe sphärischer Beats ein, ist aber eher ein träumerischer Liebessong, der ohne Traurigkeit auskommt. Die Snare-lastigeren und positiveren Tracks reichen von „Tesla“ und „Kalkulation“ über „Parabelflug“ bis hin zu „Stromkreis“ und büßen wenig bis gar nichts von ihrer künstlerischen Intuition und ihrem Tiefsinn ein. 

Das Album bietet letztlich keinen typischen „Abgeh-Banger“, den jeder Deutschrap-Club im Normalfall in den nächsten Wochen auf- und abspielen würde. Das ist aber auch gar nicht die Intention dahinter. Es ist ein Album zum Fühlen. Nichts fürs betrunkene Auf- und abspringen im Club, sondern wenn man nach einem langen Abend mit müden Beinen nach Hause torkelt, die Sonne langsam aufgeht. Dann könnte „Horcrux“ eines der passendsten Lieder sein, um das Vogelkonzert zu übertönen – und um sich nach 3:43 Minuten zu fragen, ob man gerade selbst einen Teil seiner Seele auf diesem Sog zurückgelassen hat.