"The hardest thing to do is something that is close…
Der Mietwagen steht bereit, diesmal geht es in die slowenische Hauptstadt Ljubljana: Dort suchen Yessica und Adriana, zwei Protagonistinnen des trashigen ATV-Erfolgsformats „Tinderreisen“, nach neuen Liebschaften. Um in die passende Stimmung zu kommen, braucht es bei der Autofahrt die richtige Musik – und die Zuschauer*innen dürfen dabei sein, wenn Adriana lautstark zu „BIKINI GRELL“ von Ikkimel mitsingt. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Ikkimel ein wenig stolz darauf wäre, dass ihre Musik für diesen Anlass ausgewählt wurde.
Auch nicht überraschend wäre es, wenn Adriana und Yessica bei ihrer nächsten Tinderreise einen Song aus dem Debüt-Album von Ikkimel pumpen. Dieses trägt den blumigen Titel „FOTZE“. Inhaltlich rappt Ikkimel darin über Sex. Das ist schließlich ihr Gebiet, darum rappt sie über Sex in fast jedem Lied. Dass Frauen über Sex rappen, hat sich in den USA schon längst etabliert. Hierzulande löst selbiges aber noch Schockwellen aus. HAT SIE NICHT GESAGT!
Ikkimel antwortet Kritiker*innen
Im Zentrum der Diskussion steht das Verhältnis von Ikkimels expliziten Texten und Feminismus – schließlich steht der Vorwurf im Raum, Ikkimel tradiere in ihren Texten sexistische Vorstellungen. Dem wird entgegengehalten, dass Ikkimel Rollenbilder und Klischees durchbricht, wenn sie selbstbewusst über Sex rappt. Auf „JETZT ERST RECHT“ bezieht sie dazu Stellung – in gewohnter Natur, wenn sie rappt: „Und ist Ikkimel jetzt überhaupt noch feministisch?/Auf einma‘ tun die klein’n Pisser so, als wär’s ihn’n wichtig“. Da steckt sicher mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit drin.
Ansonsten kümmert es Ikkimel wenig, was man über sie und ihre Kunst sagt. Ikkimel bevorzugt es, ihr Ding straight durchzuziehen. Das bedeutet: Viele markige Lines – und gerne auch ein Abgleiten ins Absurde, sei es textlich oder musikalisch. Wenn sie in „MÜTTER“ mit Pintendari davon rappt, nach dem Gruppensex erst einmal beim Inder zu bestellen, ist das einer dieser What the Fuck?-Momente, die auf dem Album einige Male vorkommen.
Ein anderer ist etwa der Song „DREI FOTZEN MIT NEM BOMENARSCH“, eine von Lucry & Suena auf Electro gedrehte Neuinterpretation des mittlerweile nicht mehr unumstrittenen Kinderliedes „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“. Nicht die einzige Neuinterpretation auf „FOTZE“, macht die Berlinerin aus „My Humps“ (2005) von den Black Eyed Peas die Luxus-Parade „GLITZER GLITZER“. Alles sehr abgedreht, aber durchaus unterhaltsam.
Zuerst SM, dann Herzschmerz
Was Ikkimel sehr gut gelingt, ist die Einbettung der sexuellen Inhalte in spannende Settings. Es kommt eben immer auf das Wie an. Keine langweilige Beschreibung des Rein-Raus-Mechanismus wie bei einem Großteil ihrer männlichen Kollegen, sondern durchaus fantasievoll, wie sie bei „UNISEXKLO“ oder „WELLNESS“ zeigt.
Fetische kommen auch nicht zu kurz: So geht es in dem von Wanja produzierten „BÖSER JUNGE“ um Sadomasochismus, „Ein Mann bleibt ein Mann und ein Hund bleibt ein Hund“ ist die Conclusio des Songs. Wuff! Apropos Mann: Zwei männliche Feature-Gäste hat sich Ikkimel auf das Album geholt. Auf „OHA“, das auch von Haiyti zu „City Tarif“-Zeiten hätte stammen können, bekommt sie Unterstützung von Lil London – und auf dem Akademiker*innen-Treffen „BADDIE“ schaut Money Boy vorbei. Der Wiener passt dabei wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.
Vieles ist genau so gekommen, wie man es erwarten oder erhoffen durfte, doch zwei Überraschungen gibt es dennoch: Kokain hat Ketamin als Rauschmittel mittlerweile den Rang abgelaufen – „Shemlord, Shemlord, wer hat das Koks geklaut?“, heißt es folgerichtig im Refrain von „SHEMLORD“. Ob das besser ist, sei dahingestellt. Auf dem Abschluss-Track zeigt sich Ikkimel dann von einer ganz anderen Seite. Kein harter Electro-Beat ist hier mehr zu hören, sondern … Americana.
„HERZ ZURÜCK“ ist eine sehnsuchtsvolle Ballade, in der Ikkimel von enttäuschter Liebe singt: „Und wenn du sagst, du willst mein Herz zurück/Sag‘ ich: „Ich weiß nicht, wo es ist/Und wenn du sagst, du willst mein Herz zurück/Ist es leider schon zu weit weg“ heißt es im Outro, und es sind Töne, die so nicht zu erwarten waren – und so überraschend sind wie eine Aussage von Yessica bei „Tinderreisen“. Denn diese behauptet die Hoffnung zu haben, die große Liebe bei einer Tinderreise zu finden. Man wünsche ihr ein besseres Schicksal als Ikkimel in „HERZ ZURÜCK“.
Fazit
Ikkimels „FOTZE“ ist der erwartet wilde Ritt mit Ohrwürmern, gegen die jeder Widerstand zwecklos ist. Es gibt auch Überraschendes zu entdecken – und mit „HERZ ZURÜCK“ vielleicht schon einen Vorgeschmack, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte. Bis dahin gibt es aber noch die geballte Ladung „Tinderreisen“ für die Ohren. Und das macht verdammt viel Spaß.

Am 12. März gastiert Ikkimel in der Wiener Arena. Das Konzert ist ausverkauft.
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