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Leidenschaft & Leinenzwang // Kenji Araki Interview

Leidenschaft & Leinenzwang // Kenji Araki Interview

Am 3. Juni hat Kenji Araki sein Debüt-Album „Leidenzwang“ über Affine Records veröffentlicht. Der Titel, ein Kofferwort aus Leidenschaft und Leinenzwang, beschreibt den Mix aus gelebter Passion und gefährlicher Selbstgeißelung. Dieser zeigt sich in den schweren und düsteren elektronischen Produktionen, die geprägt durch den Hang zur Dekonstruktion zeitgenössischer Kunst und Musik sind. Mit weitgehend instrumentalen Tracks verdeutlicht Kenji Araki seine Experimentierfreudigkeit und sein Talent, außergewöhnliche Atmosphären zu kreieren. Wir haben den digitalen und interdisziplinär agierenden Künstler in Wien getroffen, um ein wenig in die Welt seiner konzeptionellen Kunst einzutauchen und Teile seines Werdegangs zu skizzieren.

The Message: Du bist in Vorarlberg aufgewachsen, dann für ein MultiMediaArt-Studium nach Salzburg gezogen. War das immer der Plan?
Kenji Araki:
Witzige Story. Der Grund, warum ich mich bei der FH Salzburg beworben habe, war der Oli, Dorian Concept. Er hat mal in einem Interview erwähnt, dass er dort studiert hat. Ich wollte dann auch hin und wurde aufgenommen. Alles in allem ein Full-Circle-Moment.

Dein Schaffen ist vielschichtig, was mit deinem Studiengang einhergeht. Welche künstlerische Leidenschaft war zuerst da?
In der frühen Kindheit habe ich viel mit Lego gebaut – Lego war quasi mein erstes Ableton. Meine Eltern haben mich bald in den Klavierunterricht gesteckt, dann habe ich auch Gitarre gelernt. Darum war Musik für mich die erste große Liebe. Das Visuelle hat sich natürlich ergeben. Ich habe Artworks gebraucht und war in Feldkirch, wo die Szene nicht so groß war. Ich habe es dann einfach selbst gemacht. An der FH gab es 3D-Unterricht, Film und den ganzen Spaß. Da habe ich die Basics erlernt und angefangen, diese Sachen zu machen.

Du musstest dich am Anfang des Studiums für eine Sparte entscheiden. Was hast du gewählt? War es eine klare Entscheidung?
Es war am Anfang nicht ganz klar. Ich war mir nicht sicher, ob ich Musik zu meinem Beruf machen will. Es war eine Leidenschaft, die mir viel Freude bereitet. Was, wenn das aufhört, wenn ich damit mein Geld verdienen muss? Im Endeffekt habe ich mich trotzdem dafür entschieden – die richtige Entscheidung.

Seit wann bist du dort?
Seit bald vier Jahren. Ich bin jetzt im zweiten Master-Semester. Ich habe aber ein Jahr lang da gewohnt, weil ich ein Praktikum beim Gregor, Zanshin, gemacht habe.

Du hast also schon Connections zu Affine Records gehabt, bevor du selber dort gelandet bist. Was macht das Label für dich aus?
Es waren weniger persönliche Connections, als dass ich Fan von der Musik war. Für mich war Affine Records immer die Festung für progressive Musik in Österreich, weil sie es so konstant und lange independent durchziehen.

War es für dich als Produzent ein Ideal, dich in eine ähnliche Richtung zu entwickeln?
Na, gar nicht. Ich war tatsächlich überrascht, dass Affine Records Interesse an meiner Musik hatte. Es klingt so anders als alles andere auf dem Label. Aber sie haben gesagt: Es gibt keinen Affine-Sound, wir wollen einfach Musik releasen, die gut und innovativ ist. Die typischen Sounds, an die man denkt, waren eher ein Nebenprodukt. Es war nie der Plan, dass es einen spezifischen Sound gibt.

Alle Fotos: Niko Havranek

Du hast unter einem anderen Alias, BLVEBIRD, angefangen, Produktionen zu veröffentlichen. Wie würdest du den Zugang von damals mit heute vergleichen?
Ich habe mit 15 oder 16 angefangen, Musik zu produzieren. Da habe ich Dubstep gemacht und aufgelegt. Als Blvebird war es bisschen verträumtere elektronische Musik mit Garage-Einflüssen. Da habe ich eine Single und eine EP über Surreal Recordings releast. Aber ich habe das Alias bald aufgegeben, weil ich neu starten wollte.

Warum diese Entscheidung? Gab es einen Aha-Moment?
Es war am Anfang des Studiums, als ich begonnen habe, an meinem Album zu arbeiten. Der erste Track, den ich gemacht habe, war glaube ich „Gel & Gewalt“. Das war die Richtung, in die ich immer gehen wollte. Ich konnte das vorher nur technisch noch nicht umsetzen.

Wie hast du es geschafft?
Es ist wie bei jedem Skill, man braucht seine Zeit, bis man mit dem Werkzeug vertraut wird. Ich habe natürlich auch neue Techniken gelernt. Beim Album kommen oft diese stuttery Rhythmen vor, die keiner klassischen Taktart folgen. Das ist ein Effekt, den ich zu dieser Zeit für mich entdeckt habe. Generell wollte ich etwas non-linearer denken – es ist natürlich immer noch linear, weil es am Ende eine WAV-Datei ist. Ich habe mit Filmprojekten viel Erfahrung an der FH gesammelt, auch paar kommerziellen Filmen. Das Visuelle hat die Musik beeinflusst.

Auf welche Film-Mitarbeit bist du bisher am meisten stolz?
Ich bin aktuell an einer Produktion beteiligt, da darf ich aber noch nicht mehr dazu erzählen. Aktuell auf den. Vor zwei, drei Jahren habe ich einen Horrorfilm, einen 90-Minüter gemacht. Da bin ich weniger auf die Musik stolz, als auf die Erfahrung und die Challenge, die es war, einen vollen Feature-Film zu vertonen.

Was war die Hauptchallenge dabei?
Es war das erste Mal, dass ich in einer professionellen Produktion dabei war, wo die Erwartungshaltungen, die Deadlines und die Kommunikation mit dem Team viel höhere Stakes hat. Es war die Challenge, sich daran zu gewöhnen. Davor war ich jemand, der für sich zum Spaß Musik produziert hat und bei paar Studentenfilmen mitgewirkt hat. Aber da war es noch nicht so: ‚Wir brauchen die drei Szenen bis Freitag, dann müssen sie passen‘. Alle müssen damit zufrieden sein – die Regie, die Produktion.

„Ich bin ein Fan von kompromissloser Musik – es darf auch gerne einfach kompromisslos Pop sein“

Du hast vorhin gesagt, dass du am Anfang vom Album dein Skillset erweitert hast. Gab es Alben oder Artists, die darauf einen Einfluss hatten?
Ich höre schon sehr lange eher bröckelige Deconstructed-Club-Sachen, IDM und so. Es ist natürlich ein sehr technisches Genre und nichts, was man von heute auf morgen lernt.

Wie bist du darauf gekommen? Eher durch österreichische oder internationale Einflüsse?
Ein großer Einfluss war Markus Steinkellner, IDKLANG. Den habe ich in Salzburg bei einem Konzert als Erstsemester live gesehen und war geflasht – ich wusste nicht, dass es in Österreich andere Leute gibt, die das machen. In Wahrheit sind es einige. International waren es Leute wie Oneohtrix Point Never, Arca, A.G. Cook von PC Music, SOPHIE und die Hyperpop-Richtung. Ich interessiere mich auch extrem für fetzende Popmusik. In dieser Richtung kann man sich noch viel mehr von mir erwarten.

Inwieweit macht dich diese Offenheit aus?
Ich arbeite gerade mit einer Bekannten an einem Poptrack, das ist einfach euphorische, elektronische Popmusik. Da sind sehr wenige „Broken Moments“ dabei. Ich bin ein Fan von kompromissloser Musik – es darf auch gerne einfach kompromisslos Pop sein, solange es nicht larifari daherkommt. Ich kann garantieren, dass egal was von mir kommt, ein zweites Album ganz anders klingen wird.

Unter dem gleichen Alias?
Meine Hoffnung ist, dass dadurch, dass am Album so viele unterschiedliche Sachen oben sind, jeder sagt: ‚Aja, der Kenji, der macht eh alles‘. Nach dem ersten ein anderes Alter Ego zu eröffnen, wäre kontraproduktiv. 

Der Titel deines Albums ist „Leidenzwang“, ein Wortspiel. Musst du leiden, um was zu schaffen?
Ich dachte die Kombination aus Leidenschaft und Leinenzwang ist super schön. Es ist natürlich theatralisch, wie so ein Schild, das ich mir vorhalte, wenn ich mich beim Sudern erwische. Sei es über den Prozess oder wie schwierig es ist, Kunst zu kreieren. Aber man muss nicht immer leiden, um was zu schaffen. Es ist nur die deutsche Sprache, die gern auf die Tränendrüse drückt. 

In welchen Momenten oder Gefühlslagen entsteht bei dir die beste Musik?
Oft in der Nacht, wenn ich komplett übermüdet bin und nicht mehr darüber nachdenke. In Momenten, in denen man nicht mehr ganz bei sich ist, passieren meistens die schönsten und natürlichsten Sachen. Wenn ich untertags arbeite, habe ich oft diesen professionellen Gedankengang, dass ich so oder so viel schaffen muss. Dann kommt oft Scheiße raus.

Wieviel vom Album ist in solchen Momenten entstanden?
Es war eine gute Balance aus diesen Momenten und „Try-harden“, quasi gegen die Wand rennen bis sie aufgibt.

Also Ideen in der Nacht sammeln, die Tracks am Tag fokussiert fertigstellen?
Genau. Die Momente in der Nacht sind wichtig, um den Ball ins Rollen zu bringen. Ich erlaube es mir, mehr zu experimentieren. Da geht es nicht primär darum, etwas zu machen, das gut ist oder cool klingt – ‚schauen wir mal was passiert, wenn ich die zwei Sachen zusammenstöpsle.‘

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(c) Philip Pesic

Was für Tools und Equipment verwendest du? Eine große Bandbreite oder weniger als man glauben würde?
Es ist wahrscheinlich nicht weniger als man glaubt. Ich habe einiges an Outboard-Stuff. Einen kleinen Modularkasten, Synth-Klassiker wie einen MS-20 oder einen Prophet, eine Vielzahl an Gitarren und ein E-Cello, das ich gern quäle. Das habe ich mal gekauft, weil in der Filmmusik derzeit Cello so in ist.

„In Momenten, in denen man nicht mehr ganz bei sich ist, passieren meistens die schönsten und natürlichsten Sachen“

Du hast für die Post unter dem Titel „The Sound Of Lezzz Go“ einen Lehrlingsspot komponiert und produziert, adaolisa hat mitgewirkt. Wie hat sich das ergeben?
Ein Regiefreund von mir, Roland Schafek, hat mir geschrieben, dass er an einer Werbung für die Post arbeitet. Er hat mich gefragt, ob ich den Sound übernehmen möchte. Ich habe adaolisa angefragt, sie hat schon rein vom Moodboard und den Referenztracks super reingepasst.

Ist es das geworden, was du dir vorgestellt hast?
Eins zu eins. Es war nicht die Idee, dass ich mich bei einem Werbespot künstlerisch groß austobe. Wenn ich kommerziell arbeite, löse ich mich von diesem Innovationsgedanken. Den braucht niemand in diesem Kontext. Es geht ja basically darum, Wünsche von Kund*innen zu erfüllen.

Wie einfach ist es, den Schalter umzulegen?
Überraschend einfach, weil ich viel von beidem mache. Es ist manchmal schwieriger, wenn ich länger im Kommerzding war, wieder ins Experimentellere reinzufinden als andersrum.

Hast du auch abseits von Filmmusik und Werbungen kommerzielle Sachen produziert?
Ich habe immer wieder so Licensing-Geschichten. Sonst ein paar anonyme Werbesachen, wo ich nicht gecredited war. Das war bei der Post eine Ausnahme.

Verfolgst du den Plan, langfristig von der Musik zu leben – oder eher vom Gesamtding?
Schon vom Gesamtding. Da mal eine Popproduktion, dann Filmmusik, eigene Sachen, Gigs, Licensing und alles, was irgendwie zusammenkommt, damit ich über die Runden komme. Wenn ich paar visuelle Arbeiten machen kann, passt es auch. 

Hattest du schon Momente, in denen die Freude und Leidenschaft verlorengegangen sind?
Hauptsächlich bei langfristigeren Filmproduktionen, wo man monatelang am selben Projekt dran ist. Irgendwann will ich nur noch, dass es fertig ist. Wie bei jedem Job steht man auf, macht seine Stunden und hofft, dass am Ende die Leute zufrieden sind.

Andere Sache: Du warst sehr früh im NFT-Bereich aktiv. Was hast du angeboten?
Ich habe vertonte Animationen von meinen 3D-Skulpturen angeboten. Ich war so früh dran, dass bei weitem noch nicht diese Bandbreite an NFTs angeboten wurde. Man hat es noch Crypto Art genannt. Für mich war es spannend – ein neues Werkzeug, das unsere Zukunft sicher beeinflussen wird. Es war auch ein guter Weg, um von Konventionen wie Spotify bisschen wegbrechen zu können. Ich habe mich schnell aktiv gemacht in der Szene, aber es hat sich rasch so entwickelt, wie ich es nicht mochte. Darum habe ich mich wieder von der Materie distanziert.

Was hat dich gestört?
Eh diese Sachen, die man sich erwartet. Die hyperkapitalistischen Collectables, die Bored Apes. Ich habe damit gerechnet, aber es ist schneller passiert als erwartet. Meine Erwartung ist, dass sich dieser über die Jahre langsam legt, die Technologie geht deshalb ja nicht weg. Dann haben die Leute auch nicht diesen bitteren Nebengeschmack, wenn sie NFT hören.