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Mutter Teresa mit 44er-Bizeps: Kollegahs Nahost-Trip // Kommentar

Mutter Teresa mit 44er-Bizeps: Kollegahs Nahost-Trip // Kommentar

Gute Laune und Raketen: Kollegah (Screenshot)
Gute Laune und Raketen: Kollegah (Screenshot)

Deutschrap, Politik und Medien: Eine Dreiecksbeziehung mit großem Konfliktpotential und gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnissen. Falls eines der drei Elemente einen Ausflug zum jeweils anderen Ufer wagte, ist es meist bei einem kurzen Intermezzo geblieben. Beste Beispiele wären Bushidos CDU-Praktikum oder HC Straches Ausflüge in das Rap-Business.

Nun wagt auch der „Boss“ persönlich – Kollegah – den großen Schritt und vermischt direkt alle drei Themenbereiche, indem er ins Westjordanland reiste und dort eine „Dokumentation“ über Palästina drehte. Eine Aktivität, die Kollegah bereits im Sommer vornahm – das Ergebnis wurde erst jetzt im Zuge der Promophase zum neuen Kollegah-Release „Imperator“ unter dem Titel „Kollegah in Palästina (Eine StreetCinema-Dokumentation)“ auf dem „Bosshaft Kanal“ veröffentlicht. Die Reaktionen fielen gewohnt aus: Neben den erwarteten Lobhudeleien durch Fans, Genrekollegen und unkritischer Fachpresse brachen vereinzelte Stimmen mit dem unerträglichen Kuschelkurs. Marcus Staiger wäre als jemand zu nennen, der sich intensiv und reflektierend mit der Thematik befasste – die generell einer genaueren Beleuchtung bedarf, vernebelten die Charity-Aktivitäten Kollegahs in der „Dokumentation“ vielen scheinbar die Sicht auf das Wesentliche.

Kollegahs Charity-Aktivitäten vernebelten die Sicht auf das Wesentliche 

Natürlich beteuert Felix Blume (so Kollegahs bürgerlicher Name), dass er keinerlei böse Absichten mit der „Dokumentation“ hege und lediglich Aufklärungsarbeit über den Nahostkonflikt und Hilfe für die Palästinenser liefern wolle. Dennoch trübt alleine das Veröffentlichen der „Dokumentation“ zu einem Zeitpunkt, in dem die Promophase für sein neues Release auf Hochtouren läuft, das aufgesetzte Mutter-Teresa-Image des Düsseldorfers.

Mutter Teresa, weil Kollegah schließlich selbst anpackt. Nicht wie ein Barack Obama oder ein Bill Clinton, die von Washington aus keine Verbesserung der Lage erwirkten. Nein, Kollegah ist der starke Mann mit 44er-Bizeps, der diese Mammutaufgabe stemmen kann wie die Hantelstangen im örtlichen McFit. Wobei alleine die theoretische Vorstellung eines Felix Blumes, der gerade zu diesem Konflikt ein Filmchen drehen will, leichte Magenkrämpfe verursacht. War da nicht etwas mit dem früheren Holocaustleugner Harun Yahya, dessen Texte Kollegah ins Deutsche übersetzte? Und dem neuen Video zu „Hardcore„, eine Mischung aus Militäruniformen-Porno und „Wochenschau„, das kürzlich erst auf YouTube für Aufregung sorgte? Und ist jemand, der in einem seiner Tracks über die „Endlösung der Rapperfrage“ sinniert, wirklich der richtige Mann, um zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln? Wobei: Vermittelt wird in der „Dokumentation“ nicht, der Fokus richtet sich alleine auf Palästina. Israelische Stimmen, so viel vorweg, sucht man in der „Dokumentation“ vergebens.

Israelische Stimmen sucht man in der „Dokumentation“ vergebens

Der Film beginnt mit einer Aufnahme der neun Meter hohen Mauer, die Israel um die autonomen Gebiete Palästinas gezogen hat. Als Fahrgast im Taxi begrüßt Kollegah, der sich heute nicht als zerberstender Rapper, sondern als Berichterstatter präsentieren will, die Zuschauer. Am ersten Tag führt es den „Boss“ mit seinen Begleitern vom Flughafen in die Westbank, genauer gesagt in das Al-Am’Ari-Camp – ein Flüchtlingscamp, in dem seit  70 Jahren ungefähr 9000 Menschen leben. Um seine Fans nicht in Unwissenheit zu lassen, fügt Kollegah noch ein paar markige Worte zur Erklärung hinzu. „So wie sich die Palästinenser unterdrückt fühlen, fühlt sich die jüdische Bevölkerung auch bedroht“ und daher lebe die jüdische Bevölkerung „unter Paranoia„, stellt Kollegah im überzeugten Ton fest. Genau, alles Paranoia. Ist ja nicht so, dass sich der Konflikt durch Attentate der Hamas auf die Zivilbevölkerung gelöst wird. Angst wäre hier eine angebrachte Wortwahl, denn Paranoia bezieht sich auf eine inexistente Bedrohung. Die Mauer wirke schließlich wie ein Gefängnis, die „Israelische Armee kann hier jederzeit rein und bisschen Palaver machen„. Damit sollte bereits klar sein: Hier bekommt man keinen neutralen Bericht über die Umstände im Westjordanland, sondern eine klare Aufteilung in Schwarz und Weiß serviert. Die palästinensische Bevölkerung ist Opfer, Israel Täter – eine Feststellung, die sich wie ein roter Faden durch die „Dokumentation“ zieht.

Im Camp angekommen, wird sich „bosshaft“ erstmal ein Bild der Lage gemacht. „Also Urlaub macht man hier nicht“, stellt Kollegah wenig überraschend fest. Im „Deus Maximus“-Shirt gekleidet sucht Kollegah das Gespräch mit den anwesenden Palästinensern und legt ihnen brüderlich seinen Arm um. In einer Schule fehlt es an Computer und Möbel, erzählt einer von ihnen dem Bossrapper, der in bester „Shopping Queen“-Manier sich sofort auf dem Weg macht und alles organisiert, was in der Schule nötig ist. Kollegah handelt und labert nicht, wie in vielen Kommentaren und auch von ihm selbst festgestellt wird. Im angehängten Abspann verkündet er nämlich die Gründung seiner eigenen Hilfsorganisation, genannt „Die Anpacker-Stiftung“.  „Wir wollen genau das machen, was die anderen nicht machen. Die einen labern rum, wir fliegen hin und packen richtig mit an“. In der Dokumentation natürlich gezeigt beim Abtransport der gekauften Ware und auch beim Bezahlen dieser mit einem dicken Bündel Scheinen, selbstverständlich fixiert von der „Imperator“-Geldklammer. Mutter Teresa wäre stolz!

„Paar Ballerspiele zum Üben“

Kollegahs Aufenthalt im Computershop enthält eine Szene, in der er nach dem Zahlen der Waren zynisch hinzufügt, dass man ja noch „ein paar Ballerspiele installieren“ könne – „für die Kids“. Anschließend dreht sich Kollegah von der Kamera weg und murmelt „zum Üben“, die entsprechende Untertitelung bleibt aus. Die stets lückenhaften Untertitel zeigen ebenfalls, dass die „Dokumentation“ so objektiv wie der Body einer DSLR ist. Immer wieder findet der deutsche Zuhörer einen raffiniert redenden und wertenden Kollegah vor der Kamera, während die Untertitel ein gänzlich anderes Bild suggerieren.

Auf das Einräumen folgt ein kurzes Interview mit einem der Verantwortlichen des Camps. Zwar bemüht sich dieser um eine neutrale Darstellung der Angelegenheit, wird aber von Kollegahs Intentionen gestört. Der verfolgt schließlich scheinbar andere Absichten – nämlich zu unterhalten und gleichzeitig ein arg verzerrtes Bild des Konflikts zu überliefern. Kollegah, als schlagfertiger Witzbold szeneweit bekannt, setzt Pointe an Pointe. Selbst in Settings, bei denen Schweigen sicherlich die bessere Wahl gewesen wäre.

Exemplarisch hierfür eine Szene am Grenzübergang. Dort kauft Kollegah vor laufender Kamera einem palästinensischen Jungen einen Luftballon in Form einer Rakete ab und posiert damit anschließend in Richtung eines Überwachungsturms der Israelis. Denn: „Jetzt gibt’s noch eine Bizepspose für die Soldiers“. Anstatt kritisch zu hinterfragen, warum Luftballons in Form einer Rakete von einem Kind verkauft werden, treibt Kollegah lieber ein paar Scherze. Vielleicht unterhaltsam, aber keineswegs einer Dokumentation angemessen.

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Die bösen „Mainstreammedien“

Dabei agiert Kollegah über weite Strecken des Films wie ein offizieller Vertreter Deutschlands – und wendet sich auch bei einer Ansprache im palästinensischen Fernsehen dementsprechend an das „Volk“. „Imperator, Diktator“ eben, das kennen wir von der vorletzten Video-Single. Total surreale Sequenzen, gegen die das Treiben eines Bonos gänzlich sympathisch wirkt. Aber dennoch: Die gefilmten Personen aus Palästina zeigen sich richtig dankbar für die Unterstützung des Zuhälterrappers aus Düsseldorf. Bei der Eröffnung des „Kolligha (sic!) Education Center“ gibt es sogar einen offiziellen Empfang mit Trommeln und marschierenden Kindern – hätte auch Kaiser Nero gefallen, mit dem sich Kollegah unlängst in einer anderen Single aus „Imperator“ verglichen hat. Staatsrepräsentative Züge weist auch sein Besuch am Grab Yasser Arafats auf: Begleitet von Kameras, nähert sich Kollegah dem Grab des Volkshelden und legt in der Manier eines Staatsmannes einen Blumenkranz vor die Gedenkstätte. Im Anschluss gibt es Erinnerungsfotos mit den Grabwächtern. Und Informationen wie „Die stehen den ganzen Tag hier rum und bewachen es“. Hoher Informationsgehalt, definitiv.

Kollegah zeigt sich, mit wenigen Ausrutschern, während der „Dokumentation“ stets sehr in seiner Wortwahl bedacht. Ohne Wissen über den Background des Konfliktes wirkt Kollegah wirklich wie ein Heiliger. Ein muskulöser, adretter Mann aus Westeuropa, der sich für die Armen in einem Kriegsgebiet einsetzt. Weil diese von den „Mainstreammedien“ keine Lobby bekommen, muss Kollegah einschreiten. Ist die Abneigung zu Israel nur unterschwellig bemerkbar, ziehen seine Fans im Kommentarbereich aber ganz andere Geschütze auf: Kommentare wie „finde es großartig das kollegah ein Zeichen gegen Juden setzt danke Felix“ oder „Israel agiert 2016 wie die nazis vor über 70 Jahren und man muss sich Vorwürfe anhören wenn man diesen Teufel eines Landes kritisiert ?„, um nur einige zu nennen, finden sich im Kommentarbereich des Videos. Neben einigen kritischen Stimmen, die auf Facebook gänzlich fehlen.

Promo, Promo, Promo

Kollegahs misslungene Berichterstattung und die Abgründe seiner Fanschaft sind ein erneuter Beweis für die häufige Unfähigkeit deutscher Rapper, sich mit komplexen Thematiken auf entsprechende Weise auseinanderzusetzen. Einseitige Äußerungen – auch aus kommerziellen Gründen, kommt eine positive Position zu Israel bei der Hörerschaft mit „Free Palestine“-Avataren nicht gut an – und verblendete Ansichten, die einem Sammelsurium aus YouTube-Dokumentationen und Aluhut-Webseiten entstammen, sind der traurige Regelfall. Der Nahostkonflikt dient dabei als Lieblingsspielfläche für Rapper, die gerne mal erklären wollen, was „in der Welt wirklich abläuft„. Die Aufmerksamkeit der Fans wird dadurch gesichert – nicht selten ufert die Annäherung zu diesem Themenkomplex in blankem Antisemitismus aus. Ein Blick auf die Facebook-Seite von SadiQ, ein weiterer Spezialist in diesem Metier, genügt.

Ein Stück weit musste Kollegah seinen Heiligenschein bereits abmontieren. Sein neues Musikvideo „Fokus“ enthält reichlich Aufnahmen aus der Dokumentation und dient somit als Argument gegen seine Fürsprecher, die dem „Boss“ jegliche kommerzielle Absicht mit der „Dokumentation“ absprachen. Kollegah nutzte Charity vor allem als Promotion. Kein Problem, er hätte stattdessen auch ein angeblich hochwertiges Textilprodukt, das in der Deluxe-Box enthalten ist, anpreisen und damit Aufmerksamkeit generieren können. Aber ohne die nötige Ehrlichkeit bleibt einfach ein schaler Beigeschmack – und zur Ehrlichkeit hätte auch die Feststellung gehört, dass die „Dokumentation“ eben keine „Dokumentation“ ist.

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Text: Max Cornelius & Thomas Kiebl