"The hardest thing to do is something that is close…
Einen Weg zum kommerziellen Erfolg fernab eingetretener Marketing-Pfade fand der Heidelberger Rapper Kurdo. Ohne Promo-Interviews oder Beef-Geschichten weist nicht nur seine Facebook-Seite über 600.000 Likes auf (womit er hinsichtlich Reichweite mit einem Kool Savas konkurrieren kann), auch seine beiden Studio-Alben „Slum Dog Millionaer“ und „Almaz“ platzierten sich in den Top Ten der deutschen Albumcharts. Seit „Almaz“ gehört Kurdo zum Universal-Music-Roster, mit Major-Unterstützung im Rücken sollte sich auch der neue Streich „Verbrecher aus der Wüste“ in ähnliche Chartregionen bewegen wie seine Vorgänger.
Was Kurdo nun genau vom Gros anderer Straßenrapper unterscheidet, ist strittig. Pluspunkte sammelte der Heidelberger Rapper in der Vergangenheit durch seine geglückte Beatauswahl und seine charakteristische Stimme. Hinzukommt die bescheinigte Fähigkeit, mit wenigen Worten atmosphärische Geschichten erzählen zu können. Zudem trugen Lines wie „Freiheit, man hat’s ihm damals weggenomm’n/Deswegen flog er mit ’nem Flugzeug ins (…)“ zur Polarisierung seiner Person bei, mit denen sich der Rapper eine mystische Aura des „Verbotenen“ schuf. Der Zielhörerschaft gefiel Kurdos Strategie.
Auf dem neuen Album gibt sich Kurdo allerdings ungewohnt wortzahm, die einzige Terroranspielung kommt vom Kollegen Payy im Track „Uppercut Flow“: Das Bataclan hat die Ehre, auf einem Kurdo-Album verewigt zu werden. Sonst steht thematisch diesmal mehr oder weniger die Herkunftsregion Kurdistan im Mittelpunkt. Mit großem Pathos — nur der Lindenbaum, der den Himmel toucht, fehlt — lässt Kurdo den Wüstenverbrecher im gesprochenen Intro aus dem Sack: „Ich bin wieder zurück/Zurück an dem Ort, an dem alles begann/Mein erster Atemzug/Hier öffnete ich zum ersten Mal meine Augen/Hier lernte ich die Schritte, die ersten Schritte/Barfuß, zwischen Minen und Panzern“.
Wer sich erhofft, Kurdo würde sich im Folgenden reflektiert mit dem Thema „Kurdistan“ auseinandersetzen, wird – wenig überraschend – enttäuscht. Mit einem gefühlt fünfzig Wörter umfassenden Wortschatz rappt sich Kurdo auf rudimentärer Raptechnik durch das Album. Je länger dieses andauernd, desto stärker beschleicht einem das Gefühl, alles vor wenigen Minuten schon einmal gehört zu haben. Dieser ständigen Repetition mithilfe einer ausgeklügelten Ansetzung der Tracks entgegenzuwirken, ging als Strategie zumindest in Teilen auf: Immerhin kann der Opener-Track „Verbrecher aus der Wüste“ dank orientalischem Einfluss (der im Album immer wieder zum Vorschein kommt) ansatzweise überzeugen. In weiterer Folge schafft es Kurdo nicht, mit einem Konglomerat aus den Begriffen „Bayern München, Lacoste, Marlboro“ nur im Entferntesten zu überzeugen. Wäre in den ersten fünf Tracks nicht schon genug Material, um das Rot der Schamröte purpur zu färben, setzt der Heidelberger im Verbund mit Banger-Rapper KC Rebell durch eine gespenstische Dichte absurd schlechter Lines (wie „Sie gucken uns schief an/Weil wir nicht Ski fahren/Sondern Urlaub machen in Nordirak“) seinem Schaffen die Krone auf. Immerhin bleibt „Die üblichen Verdächtigen“ (passender Titel) damit im Gedächtnis.
Sonst passiert nicht viel: Kurdos angeblich vorhandene Fähigkeit, Geschichten detailliert in das Gehirn des Hörenden zu transportieren, ist ebenso wenig vorhanden wie sein geschmacksicheres Beat-Picking: Im Gegenteil, „Verbrecher aus der Wüste“ wirkt wie ein durchschnittliches Gangsta-Rap-Album aus der Post-Bushido und Prä-Kollegah-Ära, dem nur einige orientalische Vibes und ein bisschen Trap („Uppercut Flow“) hinzugefügt wurden. Wäre Kurdos traurige Gangsta-Rap-Saga nicht schon schlimm genug, wird der Rapper, der keinen Hehl um seine Herkunft macht, dem Ende zu noch einmal richtig sentimental. Denn selbst der größte Gee mit Lederjacke über den Lacoste-Pulli, Marlboro im Mund und Bayern-München-Abo hat ein weiches Herz. Aber nicht für „Schwuchteln“, die mag Kurdo nämlich so gar nicht. Schließlich ist das die einzige Beschimpfung, die ihm die Spielzeit über einfällt (immerhin auch auf Kurdisch, ein bisschen Kreativität ist also doch vorhanden).
Aber dafür gibt es Liebe für seine „Sherazade“. Die Liebe beruht hier auf Gegenseitigkeit, heißt es doch: „Goldschmuck, weißes Kleid, Saharastil/Sie sagt: “Baby du bist mein Aladin“/Sie connectet mit der Motocross-Gang/Das Motto auf dem Shirt „Mobobom baam, baam“. Aber Kurdo wäre nicht Kurdo, wenn er nicht noch ein Ass im Ärmel hätte: Die Hook übernimmt Massari, der mit einer Überdosis Schmalz in der Stimme die Hook trällert. Vor „Sherazade“ darf die Kurdo-Version von „Du bist Boss“ natürlich nicht fehlen — nennt sich hier „Star“ und lässt mit dem Einstieg „Yeah, es ist wahr, ich bin jetzt ein Star“ bereits Schlimmes erahnen. Aber nach „Sherazade“ weiß man wenigstens „Star“ zu schätzen. Auf dem „Outro“ wird noch das übliche „Ich-lasse-meine-Rapkarriere-Revue-passieren“-Schema bedient, danach ist Schicht im Schach.
Fazit: Auf „Verbrecher aus der Wüste“ kann Kurdo seine angedichteten Stärke keineswegs ausspielen. Die Stimme hat zwar die Marlboro-Zigaretten überdauert, die Beatauswahl versetzt einem jedoch sicher nicht ins Staunen. Ein unterdurchschnittlicher Rapper mit allerhand peinlichen Lines trifft auf höchstens durchschnittliche Beats, ergo: „Verbrecher aus der Wüste“ ist ein riesengroßes Ärgernis. Neben den Beats fällt nur der Punkt, endlich zu wissen, was man ungeliebten Menschen zu Weihnachten schenken kann, positiv ins Gewicht. Für den Rest üben wir uns besser in Schweigen.
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