Now Reading
„Dunkel und bös – mehr kann ich eh nicht“ // Pirmin Interview

„Dunkel und bös – mehr kann ich eh nicht“ // Pirmin Interview

Jedes Jahr findet in Tirol zur Sommersonnwende das Herz-Jesu-Feuer statt. Feuerwehrler der jeweiligen Orte schmücken Berge durch Fackeln mit teils riesigen christlichen Bildern, die von Weitem sichtbar sind. Nach diesem Brauchtum hat Pirmin seine Beat-Serie dialektgetreu „Bergfuir“ benannt. 2020 als Scherz und Schabernack mit drei Tracks gestartet, fällt der am 1. September erschienene zweite Teil der Reihe durchdachter aus. Tiroler Samples und Jodler treffen auf diverse elektronische Beat-Subgenres, auch Instrumente wie Hackbrett, Zither oder Maultrommel kommen auf den zehn Tracks zur Geltung.

Im Interview spricht der in Wien lebende Produzent über inneren Zorn, die Liebe für Turntablism, eine stilistische Neuorientierung, die leidige Equipment-Geilheit und mehr.

Nicht nur im Wohnzimmerstudio anzutreffen: Pirmin | Fotos: Niko Havranek

The Message: Du warst recht lange in Tirol im Tourismus aktiv. Was hast du gemacht?
Pirmin: Ich habe in einem Snowboardshop gelernt und war neun Wintersaisonen lang in St. Anton. Ich habe mit 15 angefangen, da war die Lehrzeit miteinbezogen. Ich habe am Schluss nur im Winter gearbeitet und dementsprechend viel Freizeit gehabt, weil in der Zwischensaison nichts zu tun ist. Aber es ist anstrengend, nach einer Wintersaison wirst du zum Zombie und bist voll im Arsch.

Kurz vor der Pandemie bist du nach Wien gezogen. Hat dich der Luftwechsel als Producer verändert?
Ich würde sagen, dass ich dadurch hungriger geworden bin – weil die ganzen Leute, mit denen ich Musik mache, in Wien wohnen. Stilistisch hat sich nicht viel verändert. Da hat Tirol eher was mit mir gemacht, das behandle ich musikalisch eh gern – auch mit dem neuen Album. Es ist was, mit dem ich gern abschließen würde, aber irgendwie hängt es in mir drinnen.

Weil du vom Abschließen sprichst: Du hast auch mal gerappt.
So isches! Mit Da Kessl haben wir als vier Dudes am Mic mit einem DJ angefangen. Der DJ ist irgendwann abgesprungen. Ich habe Turntables daheim gehabt und mir hat speziell die Scratcherei sehr getaugt. Ich habe dann beschlossen, mich aufs Auflegen, Scratchen und Beats bauen zu konzentrieren.

Aber aus der Not heraus.
Voll. Vielleicht wäre ich sonst jetzt noch am Mic.

Kannst du es dir noch vorstellen?
Eigentlich nicht. Ich habe es hin und wieder probiert, einen Verse zu schreiben, aber da bin ich draußen. Ich überlege oft, wenn ich einen Rapbeat baue, aber ich würde nicht einmal die ersten drei, vier Zeilen daschreiben. Es kommt nix raus, was mir taugt. Ich bin schlecht mit Worten (lacht).

„Scratching is dead – leider“

Was hat dich am Scratchen fasziniert?
Den Sound habe ich immer schon gefeiert und als angenehm empfunden. Dann habe ich mir Videos angeschaut, begriffen um was es geht und wie komplex das ist.

Hast du Scratch-Vorbilder oder -Helden?
Chrisfader hat mir damals sämtliche Techniken gezeigt. Ohne ihn wäre ich nie so ins Scratch-Game eingetaucht. International D-Styles von den Beat Junkies, natürlich DJ Qbert und die ganzen Oldschool-Master. Ich feiere es, wenn man Turntablism und Beatmaking verbindet, nicht nur Phrases oder Scratch Samples cuttet, sondern auch Synthieflächen oder Drums. Das machen D-Styles und seine Leute viel. Auch Restless Leg Syndrome sind in ihrer Liveshow immer voll dynamisch. Es ist mit viel Arbeit verbunden, aber es reizt mich sehr.

Cuts hört man hie und da in Tracks, aber Scratching war gefühlt schon mal deutlich präsenter.
Voll, Scratching is dead – leider. Was ich öfter mitbekommen habe, gibt es mittlerweile sogar viele Leute, die überkomplexe Cuts und generell diese Sounds stören.

Wie unterschiedlich ist deine Herangehensweise bei Rap- und Instrumentalbeats?
Ich kann im Vorhinein nie sagen, ob es ein Rap- oder Instrumentalbeat wird. Bei Instrumentals macht mir das Fertigstellen aber mehr Spaß als bei Rap-Tracks. Auch weil ich sie direkt abschließen kann und weil sie weniger reduziert sind. Ich finde es cooler, wenn es sich aufbaut, sich viel tut und sich im Arrangement verändert – von mir aus alle vier Takte.

Es gibt Wege, die Reichweite besonders auf Spotify massiv in die Höhe zu schrauben. Der Lo-Fi-Zug rollt bei einigen Producern in Österreich, die Klickzahlen von Beats gehen so gern mal in die Hunderttausend bzw. Millionen. Im Gegensatz zu konzeptuellen Beatreleases wie „Bergfuir 2“, die wenn es gut läuft auf ein paar Tausend Klicks pro Track kommen. Ist diese Welt für dich ein Thema?
Der künstlerische Anspruch ist das Wichtigste bei mir. Würde ich bewusst aus diesem Grund eine Lo-Fi-EP machen, wäre ich nicht cool damit. Ich würde es nicht als natürlich empfinden.

Wie stehst du dazu, wenn es andere Producer machen?
Jeder soll tun, was er will. Das machen eh so viele Producer, teilweise auch unter anderen Namen. Es ist irgendwo verständlich. Ich bin niemandem neidisch.

Wann bist du zufrieden mit einem Beat?
Ich bin kritisch gegenüber meinem Stuff und hole mir viel Feedback von meinen Homies ein. Wenn etwas länger herumliegt, bin ich schnell nicht mehr down damit. Es sollte schnell ready gemacht werden, damit ich nichts mehr daran ändern kann.

War das bei der „Bergfuir 2“ auch so?
Da war es bisschen anders. Ich bin im Winter mit Testa zusammengehockt und habe nicht gewusst, was ich als nächstes mache. Er hat gemeint, dass ich „Bergfuir 2“ angehen soll. Es ist dann schnell gegangen, weil ich gewusst habe, dass ich sämtliche Tiroler Tonkunst durchstierl und mir brauchbares Material schnappe. Ich habe innerhalb von paar Wochen alles produziert und war dann sehr happy damit.

Tirol TV?
Na, ich will nicht zu sehr ins VSDG-Ding mit den vielen Sprachsamples rein. Auf „Bergfuir 2“ sind auch paar Sprachsamples drauf, aber die sind nicht aus dem regionalen Fernsehen, sondern aus YouTube rausgecuttet. Bei „Nachmittags beim Eis“ geht es um den neuen Tiroler Landeshauptmann, er hat in einer Halle vor allen Leuten einen riesen Bullshit verzapft – „Sie sein so normal, sie essen da ein Eis neben mir“. Bei der ersten Nummer habe ich Blaskapellen gesamplet, ein reiner Brass-Horn-Speed. Für „Sensna“ habe ich Sensengeräusche auf den Takt gelegt und Almatmosphären gesamplet. Mit Testa haben wir Tiroler Hackbrettspieler gesamplet. Dann sind noch so Jodelbeats drauf. „Zammer Houngga“ ist aufs Faschingsfest in Zams bezogen – Four-to-the-floor. Den Beat könnte man vielleicht sogar dort spielen und die Leute würden es feiern.

Du hast vorab erwähnt, dass der zweite Teil von „Bergfuir“ durchdachter ist als Teil eins. Inwiefern?
Den ersten Teil wollte ich gar nicht releasen. Am ersten Track ist „Dem Land Tirol die Treue“ gesamplet. Der Beat hat eher als Scherz verstanden werden sollen, den ich Testa und Mo Cess geschickt habe. Weil die Jungs es dope gefunden haben, habe ich es rausgehaut. Diesmal wollte ich mehr Subgenres bedienen, es sind trappy Beats drauf, ein 2-Step-Beat und alles Mögliche. Ich wollte auch die Samples smarter flippen.

Wie flippt man smart?
(lacht) Ich habe viel gechoppt, es sind kaum geloopte Sachen.

„Ich trage anscheinend einen Zorn in mir“

Brauchst du ein Projekt, auf das du hinarbeitest, damit du funktionierst?
Ich funktioniere so am besten. Drauflos Beats machen zaht mich nicht mehr so. Ich mache es eh die ganze Zeit. Aber am besten funktioniere ich, wenn ich weiß, was ansteht.

Hast du derzeit etwas Konkretes in Planung?
Einiges. Mit Beda Ranx mache ich ein tanzbares Projekt, das mehr in die 2-Step- und Garage-Richtung geht. P.tah ist auch dabei, aber es wird rein instrumental. Für einen Rapper produziere ich ebenfalls eine EP. Es wird dunkel und bös – mehr kann ich eh nicht (lacht).

Hast du mal was anderes probiert?
Ja, schon. Aber ich trage anscheinend einen Zorn in mir.

See Also

Aus der Zeit, in der du im Tourismus gehackelt hast?
Ich glaube schon. Die ganzen Touris haben mir die letzten Nerven genommen (lacht). Ich stehe einfach auf sehr bösen Sound.

Hörst du selbst noch viele Instrumentalalben?
Absolut. Mehr als Rap sogar – vor allem Deutschrap regt mich mittlerweile eher auf. Ich habe früher Spotify eher verteufelt, aber mittlerweile bin ich dankbar, weil ich so viel geilen Sound übers Song Radio gefunden habe und die Vorschläge oft geil sind.

Welche Instrumentalalben haben dich in jüngerer Zeit geflasht?
Als gesamtes Release schwierig. Aber ich feiere yunis aus Berlin sehr, auch seine Tracks mit Mad Zach. Das neue Album von Glume & Phossa („Between Surface“, Anm.) finde ich sehr dope. Der Stuff von White Peach Records aus England ist generell sehr mein Shit. Dubsteppig, aber kein oager Bam-Bam-Dubstep, sondern bisschen reduziert und oldschool. Von den größeren Namen macht auch TroyBoi immer sehr dope Beats. Sonst fällt mir gerade kein Album von heuer ein.

Hörst du mehr einzelne Beats?
Am meisten meine Playlists, wo ich die Tunes, die mir taugen, reinhaue. Auch Beatplaylists häufen sich bei mir an. Ich habe um die 30 verschiedenen erstellt, ein bisschen nach Mood, aber nicht ganz konsequent geordnet.

Hat sich bei deinem Equipment in letzter Zeit etwas verändert?
Ja, weil ich eher vom Samplen weg will.

Das merkt man bei „Bergfuir 2“.
(lacht) genau. Na, das war eine Ausnahme. Aber die Rapbeats, die ich zuletzt produziert habe, waren Synthie-Beats, bei denen ich keine Samples verwendet habe. Ich bin in die Synthie-Welt reingekippt. Früher habe ich nur mein MIDI-Keyboard gebraucht. Vor paar Wochen habe ich drei neue Monosynths gekauft. Harten, bassigen Sound kriegt man mit denen gut hin. Ich arbeite auch wieder mehr mit meiner alten MPC 1.000, für fette Drums. Ich wünsche mir, dass sich meine Equipment-Geilheit wieder legt. Ich denke mir, ich gönne mir etwas und dann ist mal eine Ruh, aber es wird dann immer noch mehr – ich habe schon wieder einiges im Warenkorb. Das Studio bei mir im Wohnzimmer ist ja auch schon sehr in die Breite gewachsen. 

Wie wichtig ist es dir, deinen Beats eine politische Komponente zu verleihen?
Ich mache es immer wieder, aber eher aus Spaß. Zum Beispiel vor Kurzem die Aussagen von Karl Nehammer – ich habe mir gedacht: ‚Alter, was ist mit dir?‘ Ich habe es lustig gefunden und einen Beat dazu gebaut. Es ist was anderes, wenn ich mit einem Rapper zusammenarbeite, der auf ein bestimmtes Thema eingehen will. Dann wäre ich cool damit, passende Cuts oder Phrases zu suchen. Es kommt drauf an, aber kann man auf jeden Fall machen.

Ist das Insta-Game mit Beat-Reels etwas, das du gezielt angehst?
Absolut. Beat-Reels haben mir in letzter Zeit getaugt, ich habe mehrere gemacht. Ich probiere sie immer so zu gestalten, dass Außenstehende verstehen, was ich mache. Ich fange mit einem Element an, dann kommen Schritt für Schritt die nächsten dazu, damit das halbwegs überschaubar ist.

Reizen dich auch Field Recordings? Die könnte man auch mal mit bisschen härterem, düsterem Beat-Sound kombinieren.
Total, aber ich habe leider keinen Field Recorder. Ich sollte mir eigentlich einen holen.

„Bergfuir 2“ ist digital und auf Vinyl via Duzz Down San erschienen. Am 8. September präsentiert Pirmin das Release im Rahmen eines Beatset beim Reindorfgassenfest. Dort feiert auch das Label/Künstlerkollektiv ein Jubiläum – „15YRS Anniversary Pt. 2“.