Looking For The Perfect Beat
„Die Sonne scheint hier nicht so hell“
Interview: Toumaj Khakpour & Michael Reinhard
Fotos, Kamera & Schnitt: Daniel Shaked
Wien Mitte. Wir warten mit PMC, Produzent und Kopf der Eastblok Family, auf Rapper Manijak. Es wird geraucht. Die Gesprächsthemen variieren zwischen der Tristesse eines Anglistik-Studiums und den Migrationsproblemen in Österreich. Wie vielleicht kaum ein anderer verkörpert und vereint der sympathische Beatbastler die Gegensätzlichkeit Wiens. Von Simmering bis Ottakring. Straßenrap in Wien lebt – und wird gelebt. Rap ist Bühne, manchmal Provokation und manchmal eben Straße. Die Vorurteile der Kasteldenker werden hierbei von beiden gekonnt widerlegt. PMC Eastblock und Manijak über Wiener Parallelwelten und die Abgründe der österreichischen Musiklandschaft.
TM: Warum haben gerade Gangster- und Straßenrap so viel Zulauf bei jungen Leuten?
Manijak: Die Azzlack-Generation wächst, die kennen HipHop nicht. Wenn du ihnen irgendwelche Oldschool-Größen aufzählst, würden sie sagen: „Wer ist das?“
Das nächste Vorbild für sie wäre dann also beispielsweise Haftbefehl?
PMC: Straßenrapper sind populär. Die Kids hören das, sie feiern das. Das ist natürlich der erste Ansporn, wenn sie Musik machen wollen. Der erste Einfluss ist heutzutage nicht mehr amerikanischer, sondern deutschsprachiger HipHop!
Manijak: Das merkt man an denen, die nachkommen. Die gehen immer mehr in diese Azzlack-Schiene und machen sich somit selbst kaputt, weil sie nichts Eigenes, nichts Neues machen.
Wie steht es um das Niveau? Haftbefehl hatte noch einen anderen Zugang zu HipHop. Unter anderem über Biggie, Tupac und Nas.
Manijak: Es ist schon sehr stark gesunken. Haftbefehl rappt gut. Seine Fans hören ihn und haben gleichzeitig keine Ahnung von diesen anderen Namen. Auch wenn Straßenrap nicht das höchste Niveau hat, hat es doch irgendwo eines.
PMC: Wenn sie sich einmal stärker damit auseinandersetzen – sagen wir, sie fangen an zu rappen – müssen sie sich früher oder später mit der Sache befassen, um auf ein bestimmtes Level zu kommen. Irgendwann kommen sie auf die Einflüsse von Haftbefehl und dadurch auch einen ganz anderen Zugang. Oder nicht. Egal was du für eine HipHop-Richtung hörst, sie alle haben Vorbilder aus dieser Zeit. Ein Kollegah feiert diese ganzen Mobb Deep/New York-Beats. Jeder, der professionell HipHop macht, hat auch ein Herz dafür.
Wie authentisch kann Straßenrap in Österreich neben Problemvierteln wie in New York, Paris, Bukarest und auch Frankfurt sein? Wien ist eine laut Umfragen die lebenswerteste Stadt der Welt …
Manijak: Wir sagen in unseren Liedern nicht, dass Wien ein Ghetto ist, auch nicht, dass wir Gangster sind. Wir spiegeln einfach nur Wien wider. Und wer nicht akzeptieren will, dass es in Wien auch oarg zugeht, es täglich Stechereien und Schießereien gibt – und das gibt es – wer das nicht akzeptieren will, der lebt nicht in Wien; in Schwechat vielleicht. Es wird nur nicht jeden Tag so präsentiert und kaum darüber gesprochen. Wien ist nicht das Ghetto, aber für mich ist auch Paris nicht das Ghetto. Mein Dorf in Serbien – das ist für mich Ghetto!
PMC: Ich war in den USA und habe dort auch die Slums gesehen. Optisch betrachtet sieht das dort ganz nett aus. Wie eine richtig schöne Vorstadt. Der einzige Grund, warum die Ghettos in den USA so oarg sind ist, weil dort jeder eine Puffn hat. Die haben mehr Waffen als Einwohner. Was Wien betrifft: Wir propagieren keinen Gangster-Rap. Straßenrap ist das, was in den Parks abgeht, was in den Gemeindebauten abgeht. Wir leben nicht nur in einer reinen Akademikerstadt mit Oper und Schönbrunn und das war’s.
Manijak: Wien ist das Tor zum Osten. Da sind gleich Tschechien, Polen und die Ukraine. Es gibt hier alles, mehr als du in den meisten deutschen Städten finden kannst.
PMC: Was Österreich im Allgemeinen checken muss: Wien ist eine Baba Stadt. Die zweitgrößte deutschsprachige Stadt. Das ist mächtig! Man braucht das nicht runterzureden. Wir haben hier Sachen, davon können andere nur träumen.
Im deutschsprachigen HipHop sind Rassismus und Nationalismus leider sehr stark verbreitet. Woher kommt das?
PMC: Es kommt darauf an, wie du es siehst. Du kannst natürlich auf deine Nation stolz sein. Im HipHop wird viel represented. Die Gegend, der Bezirk, die Stadt, das Land. Aber das Ding ist, keiner sagt: „Ich komme von hier und deswegen sind die anderen schlecht.“ Es ist nicht so, dass wir hier verschiedene Szenen haben, wo jetzt nur Türken, Kroaten oder Serben miteinander rappen. Die machen hier einen Track gemeinsam!
Und bezüglich Spike – der Vorwurf des Antisemitismus und der Homophobie. Das mit den Türmen ist ein Zufall gewesen. Svaba hatte uns den Ort im dritten Bezirk vorgeschlagen. Er passt zu Wien und wir haben dort dann einfach gedreht. Spike ist selbst bosnischer Serbe, er spielt mit diesen rechten Klischees, ist aber selbst kein Rechter.
Nationalismus, Antisemitismus, Anti-Roma und Sinti, Frauenfeindlichkeit und Homophobie wird auch durch soziale Medien beflügelt. Eben weil es Rapper gibt, die dieses Lebensgefühl darstellen. Nur weil diese Migranten sind, heißt es nicht, dass sie dieses Gedankengut hier nicht weiter züchten könnten.
Manijak: Da du auch Homophobie und Frauenfeindlichkeit angesprochen hast – da bin ich ein Spezialist. Wenn ich in meinen Texten sage „Ich ficke deine Frau“, dann greife ich vordererst die Ehre des Mannes an. Seinen Stolz – und nicht den der Frau. Ich spreche zu meinem unsichtbaren Gegenüber. Ich finde Battlerap sollte sich nicht jeder anhören, sondern nur solche, die ihn auch verstehen. Es klingt vielleicht frauenfeindlich und ist es in einer anderen Umgebung als die meine auch. Aber unter Rappern glaube ich nicht, dass jemand von uns frauenfeindlich ist.
PMC: Gewisse Dinge müssen mit Ironie betrachtet werden. Wenn ein Kabarettist eine extreme Szene bringt, dann macht er das, um zu provozieren. Und so ist es beim Rappen auch. Das ist ein Teil seines Programms und er darf sich auch darüber lustig machen. Wenn Spike mit so einer Referenz kommt, dann ist das eben die Punchline. Leute, die sich mit HipHop wirklich beschäftigen, sehen das auch so.
Wenn jemand mit einem teuren Auto durch die Straße fährt, dann repräsentiert er Reichtum und Wohlstand. Und wenn jemand mit fragwürdigen Symbolen hantiert, dann suggeriert er auch ein bestimmtes Thema damit …
PMC: Gehen wir mal von den Medien aus. Klick-Klack-Kopfschuss. Als viele Medien darüber sehr negativ berichtet haben. Aber wenn Mevlut damals nicht diese Line gebracht hätte, sondern gesagt hätte – die Welt ist ungerecht – hätte das doch kein Schwein interessiert. Und wie kann man bei Rumänen, Türken und Serben auf einem Track mit der Faschismus-Keule kommen?
Ihr nützt die Mehrsprachigkeit in eurer Crew also gewissermaßen als Statement?
Manijak: Wenn man verschiedene Sprachen reinmischt, kann man erstens viel mehr reimen und es klingt einfach viel interessanter für mich. Sprache ist ein sehr wichtiges Gut für diese Musik. Warum sollte man das nicht nutzen?
PMC: Straßenrap hat sich immer weiter etabliert. Es wird einfach die Sprache der Straße genommen. Genauso wie Mundart-Rap sich die Sprache ausgesucht hat, die auch tatsächlich gesprochen wird. Deswegen ist es auch gut angekommen. Es gab früher typische HipHop Slangwörter wie „fresh“ – aber bei uns im Park hört man solche Anglizismen nicht.
Wie ihr schon erwähnt habt, ist Wien mittlerweile die zweitgrößte deutschsprachige Stadt. Warum steckt hier noch so vieles in den Kinderschuhen?
Manijak: Es liegt an dem System, das den Rap nicht fördern will. Das ist in Österreich aber allgemein so, nicht nur in der Musik, überall wo Talent ist. Die guten Künstler hauen aus Österreich ab – ich bin noch da.
PMC: Natürlich tragen auch die Künstler einen Teil der Schuld. Aber ich weiß es von mir als Produzent. Ich habe eine Idee, schreibe einen Rapper an – und es passt. Aber ab dem Zeitpunkt wo es fertig ist, fangen die eigentlichen Probleme erst an. Da kommen andere Faktoren ins Spiel, die über unsere Möglichkeiten hinausgehen. Zum Beispiel unsere Videos: Die haben wir komplett selbst organisiert, aus unseren eigenen Mitteln. Die haben jetzt 200.000 Klicks. Dann hat man in Österreich aber immer das Gefühl, dass man die Leute lieber auf die Schnauze fallen sieht als dass jemand Erfolg hat. Man sucht die Fehler heraus, anstatt zu sagen: „Bombe, das gibt massig Power.“
Manijak: Ich glaube auch, dass die nächsten Generationen, die gerade aufwachsen, viel offener für Rap sind als es die Jugendlichen vor zehn Jahren waren. In Österreich gibt es genügend Künstler, die den deutschen das Wasser reichen können. Und ich kenne auch Künstler, von denen ich glaube, dass wenn sie in Deutschland aufgewachsen wären, sie jetzt bei den Azzlacks oder einem anderen großen Label unter Vertrag wären. Noli ist so ein Typ. Wäre der in Deutschland aufgewachsen, hätte er jetzt ein Platz-1-Album.
PMC: Wien verkauft sich unter seinem Wert. Man darf nicht immer alles so kleinreden, bis sich keiner mehr dafür interessiert. Das ist Bullshit. Hier kommt alles zusammen. Aber das funktioniert nur, wenn die Leute auch checken, dass es so der Fall ist.
Zwischen Österreichischem HipHop und Straßenrap herrscht eine regelrechte Kluft. Beide Genres vermischen sich kaum. Sind die beiden Welten doch zu unterschiedlich?
PMC: Ich habe schon für die Droogieboyz produziert, die für Mundart-Rap stehen, und mit Demolux oder Def Ill zusammengearbeitet. Ich kenne die Oldschool-Rapper. Man kommt schon zusammen, sieht sich einmal, tauscht sich aus. Aber natürlich ist es nicht so stark, weil es hier keine gemeinsame Plattform, keinen gemeinsamen Nenner gibt – außer HipHop. Jeder macht sein eigenes Ding und ist vielleicht etwas zu zurückhaltend, dass man auf musikalischer und organisatorischer Ebene zusammenkommt. Das hat auch wieder damit zu tun, dass es kaum Labels oder Vertriebe in Wien gibt.
Es fehlt also an dieser eine Ort, an dem alle zusammenkommen können und sich regelmäßig austauschen?
Manijak: Ja
PMC: Hundertprozentig.
Die meisten Medien haben keinerlei Bezug zu HipHop. Und wenn, dann versuchen sie Zugang über die klischeehaften Themen wie Sexismus und Gewalt zu finden. Fehlt das Verständnis für die HipHop-Kultur?
PMC: Die Medien wollen immer polarisieren, aber es geht nicht nur um die heimische HipHop-Szene, sondern über die heimische Musikszene im Allgemeinen. Im Metal ist es sicher auch nicht einfach. Ich schau mir manchmal Die Große Chance an und da sind öfter einmal Bands dabei, wo ich sage „Bisd deppert, das ist nicht schlecht!“ Aber die gibt es wahrscheinlich auch schon 15 Jahre und ihre „größte Chance“ ist es, einmal in so einer behinderten Casting-Show aufzutreten? Ist das die einzige Möglichkeit, wie ich jemals darüber aufmerksam werden könnte? Das ist ziemlicher Beschiss. Und auf Facebook gibt es wieder zu viel Musikangebote, sodass man Sachen sehr leicht übersieht. Das ist der Punkt, an dem man anhaken müsste und sagen, dass das komplette Musikbewusstsein Österreichs sich wieder stärker ausbauen muss. Da gehört HipHop dazu, aber auch andere Musikrichtungen sind davon nicht ausgeschlossen.
Inwieweit helfen dann Auftritte wie von Hasan und Hueseyin (Rapterror) bei der „Großen Chance“? Kann so etwas für den Österreichischen HipHop fördernd sein?
Manijak: Weder noch. Ich fand es gut, dass sie sich im Fernsehen gezeigt haben und sich represented haben – aber falsches Publikum.
PMC: Ganz ehrlich, sie haben sich selber dargestellt mit dem Track und keinen extra sanften genommen. Sie haben extra ein Lied genommen, wo sie Hardcore spitten.
Manijak: Sie sind zwei sehr gute Techniker, Texter, Flower – und das haben sie mit dem Track auch präsentiert.
PMC: Sie sind auf die Bühne gegangen und haben provoziert.
Manijak: Man müsste viel mehr solche Sachen machen, damit das eine Wirkung hätte. Ein Auftritt von zwei talentierten Künstlern bringt leider fast nichts.
Wenn jemand Straßenrap nicht versteht, sollte er davon die Finger lassen. Und jetzt kommen zwei Jungs und präsentieren der großen Masse des konservativen Österreich genau das, was sie schon von Rap gedacht haben?
Manijak: Sollen sie das doch denken. Wenn jemand etwas nicht kapieren will, wird er es niemals kapieren. Sie hätten noch etwas Schlimmeres liefern sollen.
PMC: Das ist vielleicht auch eine Art, wie sich das etablieren kann. In den Mainstream-Medien muss man polarisieren, aber wer sich mit HipHop ein wenig auseinandersetzt, wird sicher feststellen, dass da auch Sachen für ihn dabei sind, die er feiern kann. Aber die Mainstream-Medien sind mir scheißegal. Es geht mir nicht darum, dass ich mich dort etabliere, um ein A-, B-, C-Promi zu werden. Auf irgendwelchen Galas zu sein und Fragen zu beantworten. Scheiß darauf, das interessiert mich alles nicht. Ich will aber, dass die Medien HipHop kennen, es schätzen, dass geile Videos produziert werden, dass dieser innere Kreislauf so richtig zu ticken anfängt. Bis sich die HipHop-Szene so stark etabliert hat, dass kein Weg mehr an ihr vorbeiführt.
Für euch begann Straßenrap in Wien mit Platinum & Mevlut Khans „Balkanaken“. Wie würdet ihr euch selbst in diese Riege des Wiener Straßenraps einordnen?
Manijak: Ich habe etwas sehr großes mit Wien vor – und ich will es so machen, dass die Leute sagen: „Verdammt, wir müssen nach Wien.“ Ich will, dass man den Hut vor Wien zieht. Rap-technisch und was überhaupt die Musik angeht. Wien hat extrem Potenzial, eine Hochburg für Rap zu werden. So wie es früher Berlin war.
PMC: Ich als Produzent kann tun was ich möchte. Ich muss die Person, mit der ich arbeite, aber respektieren können. Ich will nur so richtig fette Sachen machen. Wir haben schon ein paar Mal Ausrufezeichen gesetzt, uns auch schon ein bisschen etabliert. Aber es ist immer Luft nach oben. Hundertprozentig, das weiß ich. Die Leute realisieren teilweise auch gar nicht, was schon alles am Start ist.
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