Zeichen setzen mit Zeichensätzen. Mag Rap, Reisen und gutes Essen.
Aller guten Dinge sind drei. Oder sogar vier? Jedenfalls klappt es erst beim vierten Anlauf und nach einigen Wirren endlich mit einem Interview mit Prinz Pi. Der Berliner zeigt sich ruhig und entspannt, aber nichtsdestotrotz gesprächig, als wir ihn im Interviewcontainer am Gelände des HipHop Open Austria treffen. Dass sich Friedrich Kautz, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, in seiner jüngeren Musik vor allem mit Gesellschaft und ihren inhärenten Konflikten beschäftigt, nutzen wir für ein Gespräch über den Wandel der Medienlandschaft, die akute Terrorangst, seine Literaturprojekte sowie den Facettenreichtum der deutschsprachigen Rapszene.
Interview: Emil Delivuk & Julia Gschmeidler
Fotos: Daniel Shaked
The Message: Lass uns mit einer aktuellen Frage starten. Die gestrige Schießerei in einem Münchner Einkaufszentrum entpuppte sich als Amoklauf, nicht als islamistischer Anschlag. Wie beurteilst du das Medienecho, welches sofort von einem religiösen Hintergrund ausging?
Prinz Pi: Es ist krass, wie aufgeschaukelt die Debatte in den Medien ist. Ich erinnere mich an einen Anschlag auf eine deutsche Reisegruppe, nahe der Hagia Sophia in Istanbul, Anfang 2016. Ohne sich auf Fakten zu berufen schrieb die FAZ, die ich eigentlich für DIE seriöse Tageszeitung Deutschlands halte, dass es ein Monat nach deutschen Militäreinsätze in Syrien kein Zufall gewesen sein kann. Das ist eine Hetzpresse und ein Journalismus, wie man den aus Internetforen für Verschwörungstheorien kennt. Solche Spekulationen kann man als Privatperson tätigen, aber nicht als seriöser Journalist und auch nicht als DIE seriöseste Tageszeitung Deutschlands. Das fand ich skandalös.
Die Grenze zwischen kritischen Medienbetrachtern wie du es bist und jenen, die „Lügenpresse“ schreien, ist fließend. Wie verhinderst du es, mit AfD und Co. in einen Topf geworfen zu werden?
Ich finde, man muss Medien total kritisch beurteilen, aber was die AfD macht ist das Schlimmste, das man sich vorstellen kann. Die verunglimpft jeden als Teil der Lügenpresse, der sie kritisiert. Es ist fürchterlich, dass so etwas wie die AfD in Deutschland Fuß fassen konnte. An der Spitze dieser Partei stehen Leute, die früher im besten Fall Stammtischredner gewesen wären. Vor zehn Jahren hättest du jemanden wie Frauke Petry verlacht, wenn der gesagt hätte, er geht in die Politik. Heutzutage ist das eine Partei, die Wähler findet. Das ist auch etwas, was ich auf meinem letzten Album („Im Westen nix Neues“, Anm.) anspreche, dass plötzlich Leute ihre Stimme erheben, die sehr lange geschwiegen haben.
„Die lautesten Rechten sind die größten Nutznießer des deutschen Sozialsystems“
Die eine Seite ist, dass rechtspopulistisches Angebot vorhanden ist, die andere, dass die Nachfrage danach ständig steigt. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Dass rechte Parteien mitmischen können, gibt es in Österreich mit Haider und Strache ja schon wesentlich länger. In Deutschland ist das ein relativ neues Phänomen und das große Problem ist, dass diese Parteien ihren Anhängern relativ einfache Antworten auf ziemlich komplizierte Fragen geben. Die sind oft gar nicht wirklich rechts, die sehnen sich nach klaren Worten und einem Gegenpol zur gesichtslosen, langweiligen Politik der vergangenen Jahre. Sogar große Teile der Studentschaft, die in den 60er- und 70er-Jahre politisiert war, war in den vergangenen Jahren politikverdrossen und wollte sich nicht mit Politik auseinandersetzen. Und auf einmal hast du Rattenfänger, die die Leute anlocken – das ist ganz schlimmm.
Haben hohe Arbeitslosigkeit und die ökonomische Situation des „durchschnittlichen“ Bürgers einen wichtigen Einfluss auf das Erstarken dieser rechten Anti-System-Parteien?
Die Bedrohung, die ebendiese Parteien skizzieren, ist ja überhaupt nicht vorhanden. Die meisten Leute, die sagen, dass ihnen die Arbeitsplätze weggenommen werden, sind irgendwelche Alkoholiker, die selbst 20 Jahre arbeitslos sind und auf Staatskosten leben. Die lautesten Rechten sind die größten Nutznießer des deutschen Sozialsystems.
Wie sollte man der Angst vor den Flüchtlingen, der sich die Rechten ja bedienen, begegnen?
Ich wohne neben dem Flughafen Tempelhof, wo sich die größte Flüchtlingsunterkunft überhaupt befindet, wo mehrere Tausend syrische Flüchtlinge untergebracht sind. Man würde eigentlich meinen, dass die Straßen gesäumt sind, aber das fällt überhaupt nicht auf. Mir kann niemand erzählen, dass wenn in einem Dorf 20 Leute untergebracht sind, die Leute beunruhigt sein müssen. Ein Freund von mir wohnt in einem kleinen Dorf nahe Berlin, wo 50 Flüchtlinge in einem pleite gegangenen Hotel untergebracht werden sollten. Das wäre eine Win-win-Situation: Arbeitsplätze in einem leer stehenden Hotel und eine Unterkunft für Flüchtlinge. Erstmal haben die anderen Dorfbewohner eine Anti-Haltung aufgebaut, aber nachdem ein großes gemeinsames Essen organisiert worden war, waren praktisch alle Vorurteile abgebaut. Das ist ein kleines Beispiel, bei dem es funktioniert, aber solche Projekte braucht es. Der Fall zeigt auch, dass es idiotisch ist, Leuten Angst einzuimpfen. Der syrische Bürgerkrieg ist der wahrscheinlich fürchterlichste Krieg dieses Jahrhunderts. Wenn du drei Wochen in deinen Sandalen unterwegs bist und einfach mal in Deutschland verschnaufen möchtest, nachdem die Bomben um deinen Kopf geflogen sind und deine ganze Familie ausgelöscht wurde, und dann eine Partei wie die AfD kommt, die dich wieder nach Hause schicken will – das ist unglaublich.
Ist die Wahrung des sozialen Friedens in Zeiten vermehrten Zuzugs eine Verteilungsfrage, oder geht es eher um Aufklärung und interkulturelle Begegnung?
Aufklärung ist eine sehr wichtige Sache. Ich habe kürzlich mit einer türkischen Taxifahrerin geredet, die meinte, dass es unmöglich sei, dass jetzt die ganzen Ausländer kämen und Arbeitsplätze wegnehmen würden. Ich habe sie gefragt, ob sie denn denkt, dass es in Syrien so viele Taxifahrer gab, dass ihr Arbeitsplatz akut bedroht wäre. Da hat sie überlegt und die Sache danach anders gesehen. Es sind zum Beispiel viele Akademiker abgehauen und es ist schön, wenn die dann hier sind und was tun können. Man darf auch nicht vergessen, dass Deutschland immer ein Zuwandererland war und dass der Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ohne Gastarbeiter unmöglich gewesen wäre. Die Rechten vergessen, dass das Wirtschaftswunder nur durch die Gastarbeitergeneration möglich war. Alle Länder, die wirtschaftlich richtig prosperieren, haben immer viele Menschen ins Land gelassen.
In deinem Song „Drei Kreuze für Deutschland“ thematisierst du posttraumatische Störungen von heimgekehrten Soldaten, die immer weiter zunehmen, obwohl die deutschen Auslandseinsätze abnehmen. Wie sollte der Staat diese Menschen unterstützen?
Ich habe das Lied 2010 gemacht, in einer Zeit, in der es noch gar Teil des allgemeinen Bewusstseins war, dass deutsche Soldaten aus meiner Generation an anderen Orten der Welt im Einsatz sind. Mir ging es zunächst mal darum, Aufmerksamkeit auf den Fakt zu lenken, dass wir ein durchaus aktives Militär haben. Viele Deutsche haben ja das Bild, dass wir da gar nicht dabei sind und die Amerikaner, maximal noch die Briten, in militärische Operationen involviert sind. Ich denke, dass es sehr schwierig ist, derart traumatisierte Menschen wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Dazu kommt, dass einige von denen auch zu einer echten Gefahr werden können. Früher hat man „Shell Shock“ dazu gesagt, heute „Posttraumatic Stress Disorder“. Der Attentäter, der die Polizisten in Dallas erschossen hat, war auch ein zurückgekehrter Veteran, der einen Hass gegen Weiße entwickelt hat. Der hat sein Leben in Gefahr gebracht für sein Land und dann kam er wahrscheinlich nach Hause und hat nur den Rassismus der weißen Polizisten gespürt. Wenn er vorher nicht dieses Kriegserlebnis gehabt hätte, wäre sein Hass vielleicht nicht so ausgeartet.
„Keiner der großen Musiker, Dichter und Maler galt als braver 0815-Bürger“
Du hast dich immer wieder mit dem Thema Depression – auch als Quelle der Inspiration – beschäftigt. Welche Rolle spielt das psychische Auf und Ab für dein Leben und deine Musik?
In meiner Familie ist es leider eine genetische Sache, dass viele depressiv sind. Einige haben sich leider auch umgebracht, um ihrer Depression zu entfliehen. Ich glaube, dass du als total zufriedener und ausgeglichener Mensch selten ein wirklich spannender Künstler bist, weil du nicht so viel zu erzählen hast. Wenn man Kunst schaffen will, die irgendetwas bewirkt, oder die aus einer gewissen Energie heraus entsteht, muss man meistens schon nach oben oder unten extrem sein. Oft holen sich Künstler auch über Drogen ihre enormen Höhenflüge, haben dann aber auch tiefe Phasen, in denen sie ihre Kunst schaffen. Keiner der großen Musiker, Dichter und Maler galt als braver 0815-Bürger, jedenfalls würde mir jetzt niemand einfallen.
Ist es also notwendig, aus der Norm auszuscheren, um „große Kunst“ zu schaffen?
Ja, voll. Bei mir geht es ja oft darum, dass ich über die Gesellschaft oder meine Generation schreibe. Da ist es ein bisschen so, wie wenn du ein Foto von einer Menge (zeigt auf das Foto von einem Konzert, Anm.) machen willst. Wenn du mittendrin stehst, kannst du kein Bild von außen machen. Du musst irgendwie zu einem totalen Außenseiter werden, oder zu jemandem, der sich distanziert, um einen klaren Blick zu bekommen.
Auf dem Song „Schornsteine“ betrachtest du von außen die deutsche Waffenindustrie und lässt verschiedene Charaktere sprechen, um ein vollständigeres Bild eines komplexen Themas zu zeichnen.
Genau, es geht um Menschen, die Teil dieses Systems sind. In der ersten Strophe geht es um einen Ingenieur einer Waffenfabrik, der ein reines Gewissen hat, weil der Betrieb CO2-neutral produziert, Arbeitsplätze geschaffen werden und die Qualität der Waffen hervorragend ist. In der zweiten Strophe spricht ein Kampfpilot, der sich selbst als Held und Profi-Soldat sieht und nach einer gelungenen Operation stolz ist, anstatt sich als Mörder zu verstehen. In der dritten Strophe wollte ich eigentlich einen kurdischen, mit deutschen Waffen ausgestatteten Peschmerga-Kämpfer sprechen lassen, um noch eine andere Perspektive auf deutsche Waffen zu eröffnen. Eigentlich sollte Kurdo (kurdischer Rapper aus Deutschland, Anm.) die Strophe machen. Da sollte die Frage aufgeworfen werden, wie wir zu Waffenexporten stehen, wenn sie an „die Guten“ geliefert werden, die gegen den IS kämpfen. Der Song sollte einfach stark zum Denken anregen.
Der Kurdo, von dem du sprichst, bezeichnete sich selbst in dem Song „Riberstyle“ als „Deutschraps Salafi“ …
Kurdo? Ich glaube du meinst jemand anderen, der hat so was noch nie gesagt, das kann ich mir auch gar nicht vorstellen. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich definitiv nicht an einem gemeinsamen Track interessiert gewesen. Ich kenne ihn nur als kurdischen Musiker, der auch des Öfteren seine Herkunft thematisiert. Das was ich bisher von ihm kannte, fand ich supercool und es wäre interessant gewesen, wenn er noch einen anderen Standpunkt in den Song reingebracht hätte.
Zu etwas ganz anderem: Was machen eigentlich die Romane, die du schreibst?
Die sind eigentlich so gut wie fertig, aber ich traue mich irgendwie nicht die rauszubringen. Ich habe Scham davor und bin noch zu schüchtern. Aber es wird demnächst ein Kinderbuch mit dem Titel „Der Malfisch“ erscheinen.
Worum geht es in dem Buch?
Es geht um die Frage, warum das Meer blau ist und das Wasser im Fluss oder im Glas durchsichtig. Das Kind fragt das den Papa und der erzählt dann, dass es früher einen Fisch gab, der den ganzen Tag durchs Meer geschwommen ist und nicht wusste, wo er schon war, weil es ja durchsichtig war. Dann hat ihm sein Freund geraten, das Meer anzumalen, damit er weiß, wo er schon war. Mit seiner Lieblingsfarbe blau hat er angefangen, aber irgendwann geht ihm die Farbe aus und dann gibt es das rote und schwarze Meer, die gelbe See …
Früheren Statements zufolge geht es in deinem anderen Roman um ein Attentat auf den US-Präsidenten. Was kann man sich genauer dabei erwarten?
Es geht um einen Menschen, der stellvertretend für den Hedonismus der Ersten Welt steht. Jemand, der seine Erfüllung darin findet, dass er erfolgreich ist, gut verdient, Statussymbole leisten kann, seine Interessen auslebt und ungebunden und sexuell freizügig lebt. Irgendwann hat er ein einschneidendes Erlebnis, welches ihn von einem Extrem in das genaue Gegenextrem führt. Das ist dieser Roman.
Lass uns zum Abschluss noch ein wenig über die Deutschrapszene sprechen. Du lieferst als Rapper ja einen verhältnismäßig starken Output und hast dich mal mehr, mal weniger parallel zur Szene entwickelt. Wie siehst du den derzeitigen Status quo?
Ich finde die deutschsprachige Rapszene – inklusive Schweiz und Österreich – ist so facettenreich wie noch nie. Man kann diese einzelnen Sub-Genres überhaupt nicht in einen Topf werfen. Man hat zum Beispiel diese Cloud-Rapper, die sich selber und niemand anderen wirklich ernst nehmen. Dann gibt es Straßen- und Gangstarap, der sich selbst extrem ernst nimmt und einen gänzlich anderen Zugang wählt. Zusätzlich gibt es das, was Basti von Trailerpark „Clown-Rap“ nennt: K.I.Z., 257ers und Trailerpark. Da geht es um prolliges, humorvolles „auf die Kacke hauen“ und hat diesen Band- und Livecharakter. Natürlich dann noch die poppige Schiene, die zum Beispiel Casper, Marteria oder Sido die vergangenen Jahre gefahren sind, und dann noch ganz viele schwer kategorisierbare Randerscheinungen wie Käptn Peng.
Gibt es denn aktuellere Sachen aus dieser großen Auswahl, die dich persönlich wirklich überzeugt haben?
Auf jeden Fall! Also das neue Kamp-Album ist sehr gut geworden. Warum es bei ihm so lange gedauert hat, erzähle ich euch, wenn das Mikrofon aus ist. Jedenfalls eine ziemlich krasse Story. Ich fand das neue Ding von Audio und Yassin sehr gut, wobei die auch ein sehr schönes Artwork hatten. Und das letzte Zuhältertape von Kollegah war ziemlich gut, aber auch die neuen Sachen von Sido, die ein bisschen die Rückkehr zu seinem alten Style ankündigen. Das wird auf jeden Fall ein schönes Album. Und ich finde tatsächlich, dass die neuen Fler-Sachen das Beste sind, was er jemals gemacht hat. Ich glaube und hoffe, dass das Album an dem er derzeit arbeitet („Vibe“, Anm.) sein bestes Album werden wird. In letzter Zeit fällt mir sonst nicht mehr so viel ein.
Der Manager betritt den Raum mit den Worten „Time is up!“. Während Prinz Pi fotografiert wird, hält er sein Wort und wir erfahren noch die Geschichte von Kamps verspätetem Album. Tatsächlich eine sehr verrückte.
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