"The hardest thing to do is something that is close…
Vor vierzig Jahren veröffentlichten die Ramones ihr selbstbetiteltes Debütalbum. Ein Album, das den weiteren Verlauf der Rockmusik maßgeblich beeinflussen sollte und den Punk erst richtig etablierte — obwohl der Begriff damals noch gar existent war und die Ramones nur ein musikalisches Gegenprogramm zur damals populären Rockmusik entwerfen wollten. Hinter großen Innovationen steckt eben oft kein langfristiger Plan. Den verfolgte auch Bassist Dee Dee Ramone nicht, als ihm Mitte der 80er-Jahre plötzlich die Idee kam, sich unter dem Alias Dee Dee King als Rapper zu versuchen.
Auch wenn Frontmann Joey am stärksten mit dem Namen Ramones identifiziert wird, Bassist Dee Dee Ramone war das Hirn der Band, stammten viele Songs schließlich aus seiner Feder. In den Anfangszeiten der Ramones probierte sich Dee Dee, seine Kindheit mehrheitlich auf verschiedensten Armeestützpunkten in Deutschland verbringend, sogar als Sänger. Ein Experiment das scheiterte: Seine Stimme hielt kaum mehr als zwei Songs aus, ohne heiser zu werden. Zudem hatte Dee Dee Ramone, mit bürgerlichem Namen Douglas Colvin, große Probleme mit den simultanen Abläufen von Bassgitarre und Gesang. Nach den Positionsrochaden — Drummer Joey Ramone avancierte zum Lead-Sänger, Dee Dee konzentrierte sich auf den Bass — blieb der berühmte Ramones-Shout „1-2-3-4“ dennoch weiterhin Aufgabe Dee Dees.
„Fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-FUNKY“
In dieser Kombination veröffentlichten die Ramones in den 70er- und 80er-Jahren eine Reihe von Alben, die kommerziell kaum Erfolge darstellten, musikhistorisch aber umso mehr Gewicht haben. Dies trifft vor allem auf die ersten fünf Alben zu, die heute Klassikerstatus besitzen. Probleme traten allerdings in den 80er-Jahren auf, als nicht nur die Qualität der Platten variierte, sondern einzelne Band-Mitglieder auch mit Drogensucht kämpften. Dee Dee Ramone erlitt einen Rückfall, konsumierte er bereits in Deutschland Morphium und geriet in den USA in die Fänge von Heroin. Diese Sucht trug maßgeblich zur Idee bei, sich von der Band abzukapseln und zukünftig als Rapper Dee Dee King (in Anlehnung an B.B. King) für Furore zu sorgen: Im Drogentherapiezentrum kam er erstmals mit Rap in Berührung. Gesegnet von maßloser Selbstüberschätzung veröffentlichte er 1987 seine erste Single „Funky Man“: Auf einem Old-School-Hip-Hop x Punk-Rock-Instrumental übte sich Dee Dee darin im Sprechgesang und setzte mit der absolut stupiden Hook „Fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-fuh-FUNKY!“ und Lines der Marke „Sometimes I call myself/Dee Dee King/I like to hear /the birds of paradise sing“ fragwürdige Highlights. Ein passendes, grenzdebiles Video, in dem Dee Dee King seine neue Rapper-Persönlichkeit zelebrierte, durfte natürlich nicht fehlen. Schlimm – was aber zugleich die Frage aufwirft, warum keiner seiner Mitmenschen ihm diesen Blödsinn gleich wieder ausgeredet hat. Oder das Label, welches Dee Dee King, der sich mittlerweile auch wie der Standard-Rapper der 80er-Jahre kleidete (zum Ärgernis von Joey Ramone), den Unsinn sogar noch fortführen ließ.
„A lesson out of this/I am not a fish“
Der Vorwurf, Dee Dee King hätte sich nicht mit Rap auseinandergesetzt, geht jedoch ins Leere. Im Gegenteil, befasste sich der Bassist der Ramones intensiv mit Rappern wie Schoolly D und LL Cool J, die er beide zu seinen Lieblingskünstlern zählte. Zudem bezog er in einer Zeit, in der konservative Kreise bei jeder Rap-Platte noch hyperventilierten, in Ramones-Interviews eindeutig Stellung und verteidigte das Genre. Nicht nur deswegen erscheint eine glaubhafte Identifikation von Dee Dee King mit Rap gegeben. Verstanden hatte er Rap allerdings nicht, wie auf „Standing in the Spotlight“ exemplarisch exerziert wird. Von Warner gab es trotzdem grünes Licht — eine fatale Fehlentscheidung, wie sich später herausstellen sollte, wurde das zehn Tracks starke Album von Kritikern zerrissen. Zu Recht, klingt Dee Dee King zwar vom Namen her nach einem Rapper der Frühzeit, von seinen künstlerischen Fertigkeiten hatte er aber wenig damit gemein. Der Opener „Mashed Potato Time“, ein Cover des Dee-Dee-Sharp-Tracks aus 1962, erwies sich als musikalisches Gebräu, das direkt aus der Hölle stammte: Eine Doo-Wop-inspirierte Nummer, an der sich Dee Dee King am Stil von „Monster Mash“-Interpret Bobby „Boris“ Pickett versuchte. Formen eines Flows sucht man vergebens, stattdessen servierte Dee Dee King als Goodie ein extrem kitschiges Saxophon-Outro von Spyder Mittleman. Die Background-Vocals stammten von Blondie-Frontfrau Debbie Harry, die in den frühen 80er-Jahren große Erfolge mit dem Track „Rapture“ feierte und Rap nicht ganz abgeneigt war. Das folgende „2 Much 2 Drink“ erinnert an die zeitgleichen großartigen Taten der Beastie Boys, ohne dabei großartig zu klingen: „Heineken“ auf „Fun“ zu reimen, das hätten seine New Yorker Gesinnungsbrüder nicht gewagt. Mit der peinlichen Liebesschulze „Baby Doll“ und dem Pop-Punk-Song „Poor Little Rich Girl“ führte Dee Dee seinen Schrecken weiter, wobei letzteres gar nicht mal so übel klingt — unter der Voraussetzung, Dee Dee King besäße eine andere Stimme.
Äußerst seltsam auch die Tracks „Commotion in the Ocean“, welches vom Surfen handelt und mit der schönen Zeile „A lesson I learn out of this/I am not a fish“ endet. Wer dachte, Dee Dee King hätte hiermit schon komplett den Verstand verloren, bekommt „German Kid“ nachgeschoben: Ein „Rap“-Track, der englische und deutsche Zeilen gleichermaßen enthält. Seine deutschen Lines klingen so: „Ich hab immer sehr viel Glück/ Dee Dee King ist nicht verrückt“ beziehungsweise „Jetzt hab ich genug gesehen/Auf Wiedersehen, gute Nacht/ Ich finde es gut, wenn Leute lacht„. Zum besseren konzeptuellen Verständnis sei auf Dee Dee Kings schwere Identitätskrise, die ihm zu dieser Zeit befiel, hingewiesen. Obwohl: Das lässt sich schon aus den Zeilen herauslesen, dass hier jemand nicht mit sich im Reinen war.
Dieses Urteil passt auch zum nächsten ekelhaften Doo-Wop-Rap-Bastard „Brooklyn Babe“, auf dem Dee Dee King mit „Emergency“ ein Pop-Punk-Rap-Gemisch sowie die Wrestling-Ode „The Crusher“ nachschob. „The Crusher“ wurde Jahre später von den Ramones gecovert, womit man sich nicht an die Rap-Versuche Dee Dee Kings erinnern muss, welche den eigentlich ganz ordentlichen Track einen negativen Beigeschmack verpassten. Beendet wird das Trauerspiel mit „I Want What I Want When I Want It“, ein Representer-Track mit Zeilen wie „There’s no sense being a copycat/No one wants to hear rappers like that„, die ausgezeichnet auf „Standing in the Spotlight“ passen.
Und danach?
Wenig verwunderlich war das Album kommerziell ein totaler Flop — und eine noch größere Lachnummer, wenn dieses „Opus“ mit „Paul’s Boutique“ von den Beastie Boys verglichen wird, das im gleichen Jahr erschien. In seiner Autobiografie „Lobotomy“ erinnert sich Dee Dee Ramone an seine Rapphase mit folgenden Worten:
When I got into rap I didn’t exactly win any popularity contests. I called myself Dee Dee King, after B.B. King, to the total dismay of my fellow Ramones. Billboard called my solo album, Standing In The Spotlight, a great party album and even said that my raps put the Beastie Boys to shame. Standing In The Spotlight included some great experiments in rap and rock ’n’ roll and featured cameos by Chris Stein and Debbie Harry. I loved rap, especially in the early days. But I wasn’t trying to shove it down anybody’s throats. I didn’t have the confidence to leave the band because of a solo career, or anything like that. I just wanted to grow.
Still, the Ramones didn’t want change. They thought punk rock fans would hate me for my solo rap record. Which was bullshit.
Eine interessante Sichtweise, vor allem die Stelle über Billboard und der Vergleich zu den Beastie Boys übersteigt die allgemeine Vorstellungskraft. Dennoch schien Dee Dee King tief in seinem Inneren gewusst zu haben, dass die Sache mit dem Rappen nichts für ihn ist. Dahingehend ließ er das Mic nach „Standing In The Spotlight“ liegen, wenige Monate später stieg er auch bei den Ramones aus, für die er aber weiter Songs schrieb. Bis 2002, als Dee Dee Ramone an einer Überdosis Heroin verstarb, veröffentliche er drei Solo-Alben, die allesamt gänzlich im Punkrock verwurzelt sind und keinerlei Ansatzpunkte an seinen Ausflug ins Rapmilieu beinhalten. Ein Ausflug, der in der Retrospektive einfach nur als skurril kategorisiert werden kann. In der Ramones-Dokumenation „End of the Century“ erörterte er sein damaliges Genre-Hopping mit den resignierenden Worten, einfach nicht rappen zu können, weil er kein „Negro“ sei:
When Schoolly D came out with that album, and he’d say, “What time is it? It’s Gucci time,” you know, I understood that. It’s rising above oppression, a Negro being able to buy a Gucci watch. I get it. Great. I’m a Negro too. I felt the same excitement when I could buy a Gucci watch and spend a lot of money, like an outlaw. I don’t think it was worth fighting over. It wasn’t so good anyway, the album. I couldn’t do rap. I was trying. I don’t know how. I’m not good enough to know. I’m not a Negro.
Das klingt deutlich reflektierter als sein Statement in der Autobiografie, obwohl die Wortwahl („Negro“) beweist, dass einige wesentliche Punkte Dee Dee Ramone selbst zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht verstanden hatte. Dieser Mangel prägte seine gesamte gescheiterte Rapkarriere — und erklärt, warum „Standing In The Spotlight“ zu den schlechtesten Rapalben, die in der reichhaltigen Pophistorie herumgeistern, zählt.
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