Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Im Kamin lodert das künstliche Feuer, die Pendeluhr tickt leise vor sich hin, die dunkle Holzvertäfelung und das schummrige Licht der Kronleuchter verleihen dem Raum eine noble wie kitschige Atmosphäre. Etwa 50 Leute haben in dem kleinen Separee eines griechischen Restaurants, welches nicht viel größer als ein Wohnzimmer ist, einen Platz gefunden – weitere Besucher mussten leider vertröstet werden. Das Plaudern des Publikums wird unterbrochen, als David Scheid alias DJ DWD, der durch den Abend führt, mit einer Schere gegen das Weinglas klopft. Der Moderator verspricht, uns durch einen „illustren wie tighten“ Abend zu geleiten. Es gäbe Hochkultur, nicht Club Couture. Trotzdem ist alles ein Experiment, ein kontrastreiches Programm zwischen Literaturlesung und Rapkonzert, ein Battle zwischen Marcel Reich-Ranicki und Kool Savas.
Bevor die fünf Rapper und ein DJ die auserwählten Raptexte vortragen, sorgt DJ DWD beim Publikum bereits für die ersten Jubelschreie. „Finger weg vom Alkohol, aber nur den kleinen!„, warnt er, bevor er einen Schluck aus dem Tetrapak-Wein probiert und sich hinsetzt, um den ersten Raptext vorzutragen. Das Intro von Skeros „Fußboi“ wird angespielt, damit DWD lyrisch fortfahren kann. Mit Schauspiel-Talent und seiner Poetry-Slam-Erfahrung trägt er den in Linzer Mundart geschriebenen Text dramatisch vor und verdeutlicht, welches literarische Glanzstück Skero damit geschrieben hat. Mit dem Applaus danach ist er allerdings nicht zufrieden: „Da ist jedes 18-jährige Publikum beim Poetry Slam in St. Pölten lauter„, meint er ironisch.
Weiter geht es mit MsMc aus der Familienbande, der „Nie wieder gut“ von Kinderzimmer Productions vorliest, und L.A.R.. „Wenn Necro Deutsch verstünde, er würde sich in die Hosen scheißen„, definiert DJ DWD den musikalischen Stil des Wiener Rappers. Mit zu starker Brille beschwert sich L.A.R. beim Vortrag von Morlockk Dilemmas und Hiobs „Der Baum“ über die Rechtschreibfehler auf dem Ausdruck und heimst damit den Spitznamen „Herr Professor“ ein. L.A.R. rezitiert den Songtext penibel. „Morlockk hat manchmal Ungenauigkeiten drinnen„, beschwert er sich, wenn sich gewisse Zeilen nicht reimen. Witzig!
Nach einer Pause, in der DJ DWD zu Contenance aufruft, weil die Lokal-Betreiber mit so viel HipHop überfordert wären, kündigt er „das Kind aus der Landstraße“ und den „Dosenbier-Connaisseur“ Huhnmensch an. Dieser hat sich für einen Text aus 1998 von Waiszbrohd – später Brotlose Kunst – entschieden. „Parkbankphlows“ sei auch jetzt noch beachtlich und hätte ihn damals inspiriert, selbst Rap zu machen. Mitveranstalter Fozhowi probiert sich an Kool Savas‘ und Azads „Monstershit“ – eine gelungene Persiflage an den eigentlich ziemlich sinnbefreiten Text der beiden deutschen Rapper. Textzeilen wie „Ich komm‘ wie die Trenchcoat-Mafia zu dir Punk und shoot, shoot“ und „Mein Leben kommt mir kürzer vor wie die Beine vom Dackel“ verdeutlichen, wie viel ein guter Beat eigentlich zu einem Hit beiträgt.
P.tah hat sich für einen englischen Text des britischen Grime-Spezialisten Stormzy entschieden, den er ins Deutsche übersetzt hat. „Er hat einen Hype wie im Moment kaum ein anderer Rapper – aber er zu Recht„, kommentiert P.tah seine Textwahl. Den letzten Vortrag des Abends, Tibor Focos „99 %„, teilen sich DJ DWD, der am Oberösterreichisch scheitert, und Fozhowi – musste Digga Mindz doch krankheitsbedingt kurzfristig absagen.
„Es war ein schöner Hexenkessel“ – Interview mit den Veranstaltern
Fozhowi und Robert D – gemeinsam übrigens das Rap-Duo Dicke Mädchen – und DJ DWD über die Idee, den Zuspruch und eine mögliche Fortsetzung von „Rapper lesen Rapper“.
Wie seid ihr denn auf die Idee zu „Rapper lesen Rapper“ gekommen?
Fozhowi: Die Hauptmotivation war der Spaß. Es war lustig, harte Texte zu übersetzen und in diesen lyrischen Rahmen zu stellen. Weil sie dadurch eine ganz andere Dynamik kriegen, die sehr lustig ist. Gleichzeitig haben wir auch gemerkt, dass dieses langsame, literarische Lesen von Texten oft ganz feine Nuancen zeigt, die sonst untergehen. Das war die Mischung, bei der wir uns entschlossen haben, das zu machen. Wir haben von A bis Z für jeden was dabei.
Habt ihr das schon vorher in eurer Freizeit gemacht?
Fozhowi: Ja (alle lachen). Beim Abwaschen.
Robert D: Nix Harry Potter, Hundesohn!
Wie zufrieden seid ihr mit dem Abend?
Fozhowi: Der Ablauf hat mir sehr getaugt und ich glaube, die Leute waren gut unterhalten.
DWD, du hast schon Bühnenerfahrung. Was machst du außer bei „Rapper lesen Rapper“ zu moderieren?
DJ DWD: Das darf man nicht so laut sagen! (lacht) Das hören Rap-Fans nicht gerne, das „P-S-Wort“. Ich mach seit drei Jahren Poetry Slam (als David Scheid, Anm.), versuche mich aber jetzt zu emanzipieren und in die Kabarett-Schiene reinzukommen.
Welche Art von Kabarett ist das?
DJ DWD: Das Programm existiert schon zu 80 Prozent, ist gesellschaftskritisch und ich geh den Menschen an den Kragen, die die Jugendkultur dekadent leben. Weil ich nicht Gitarre oder Flöte spielen kann, wie die meisten Kabarettisten, habe ich meine Plattenspieler stehen, weil ich besser auflege als alles andere. Im März steht ein kleiner Nachwuchs-Kabarettpreis an, bei dem ich mich versuche und wenn das gut geht, werde ich danach mein Programm in Wien starten.
Wie seid ihr auf die Auswahl der heute vortragenden Künstler gekommen?
Fozhowi: Wir sind davon ausgegangen, dass wir es ganz klein halten, im engen Freundeskreis für maximal 20 Personen.
DJ DWD: Sound geht nicht in diesem Raum, es gibt keine Anlage, du kannst nicht rauchen. Was machst? Du kannst hier nur eine Lesung halten.
Fozhowi: Die Auswahl der Rapper hätte eigentlich ganz anders ausgesehen, wir hätten viel mehr Leute aus dem Honigdachs-Bereich gefragt, die auch alle zugesagt haben, aber gerade auf Tour sind und das nicht berücksichtigt haben. Ich hab dann angefangen, die Kontakte spielen zu lassen und gefragt, wer Bock auf so was hat. Da ist sehr viel Rückmeldung gekommen.
DJ DWD: Da haben wir plötzlich und unabsichtlich einen Nerv getroffen, der den Darbietenden und dem Publikum offensichtlich extrem getaugt hat. Plötzlich ruft FM4 bei uns an, damit hat ja keiner gerechnet. Da hast du 250 Zusagen auf Facebook und 1000 Interessierte und einen Raum, wo 30 Leute reinpassen. Es war ein schöner Hexenkessel.
Wie geht es jetzt weiter?
Fozhowi: Wir haben schon Anfragen von Locations bekommen, da ist auch eine große dabei. Wir haben eine Nachbesprechung und da schauen wir weiter.
Robert D: Wir haben alle nicht damit gerechnet, dass es so eine Hetz wird, jetzt steht man vor dem Haufen Zuspruch, aus dem man auch etwas machen will. Man versucht, dem gerecht zu werden.
Fozhowi: Wir wollen das auf jeden Fall weitermachen. Ich hoffe, es ist uns auch organisatorisch und finanziell möglich.
Weitere Bilder vom Abend von Niko Havranek:
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.