Die Verbindung von Literatur und HipHop. Eine Sache, die man vor allem in deutschsprachigen Ländern in der jüngsten Vergangenheit gerne mal verdrängt hat – und zwar völlig zu Recht.
Welcher Jugendliche liest denn heute überhaupt noch Bücher? Braucht man die überhaupt noch? Heutzutage bezieht man Informationen sowieso lieber aus einem Interview des brandgefährlichen YouTube-Thugs Leon Lovelock, der wunderbar vorführt, dass Dummheit im Deutschrap wie sonst wo nur die Krätze grassiert. Andere setzen hingegen bei zu großer Anstrengung aufgrund geringer Aufmerksamkeitsspanne das Gehirn zu den Klängen der aktualisierten Modus-Mio-Playlist auf Stand-by. Lelele, Gucci Gucci, Roli Roli, und so weiter. Kein Wunder, dass viele Literaten lieber einen Bogen um diese Auswüchse gestotterter Kleinganovenkunst machen.
Wenn es mal zu einem Kontakt zwischen HipHop und der Literatur kommt, dann ist es doch meist eine Beziehung von kurzer Dauer, ein Intermezzo, ein One-Night-Stand, ein Promo-Move, der gierige Griff nach einem Stück der anderen Torte.
Da hätten wir auf der einen Seite die intellektualisierenden Rap-Ratgeber und Themen-Bücher von fachbereichsfremden Schreiberlingen, die gerne als Weihnachtsgeschenk für den Heranwachsenden unter dem Weihnachtsbaum verenden. Auf der anderen Seite stehen die plumpen Business-Erweiterungsversuche jener Rapper, deren musikalisches Schaffen bereits den Zenit überschritten hat und die nun mit der Hilfe eines Ghostwriters versuchen, ihre mehr oder weniger erzählenswerte Geschichte in biografischer oder neuerdings auch in Ratgeber-Form an den Mann zu bringen. Nicht immer, aber sehr oft ein einziges Elend.
Dazu zählt sicherlich das Büchlein „Das ist Alpha!: Die 10 Boss-Gebote“ von Kollegah (ein Aka des YouTubers Felix Blume). Aber es gibt eben auch Ausnahmen, wie das Deutschrap-Geschichte-Nachschlagewerk „Könnt ihr uns hören?: Eine Oral History des deutschen Rap“ von Jan Wehn und Davide Bortot, das so unfassbare Dinge wie die Biografien von Silla, Massiv oder Fler vergessen lässt. Zumindest ein wenig.
Ziemlich überraschend ist nun, dass die renommierte, ungemein scharfsinnige deutsch-schweizerische Bestseller-Autorin Sibylle Berg sich entscheiden hat, ihren neuen Roman im HipHop zu positionieren. Warum, fragt man sich da.
Das neue Werk der Spiegel-Kolumnistin trägt schließlich den Titel „GRM: Brainfuck“. Es spielt in einer Utopie in der nahen Zukunft, genauer lokalisiert in Rochdale, einem Ort nahe Manchester in Großbritannien. Also kein Deutschrap-Bezug. Wie der Titel bereits impliziert, spielt der Roman auf Grime an. Laut Pressetext des Buches ist Grime „die größte musikalische Revolution seit dem Punk“ – kräftige Aussage, lassen wir mal so stehen.
Thematisch geht es stark Richtung Zivilisationskritik, Stichwort „1984“ oder „Brave New World“; mit dem kleinen Unterschied, dass Sibylle Bergs neues Machwerk im 21. Jahrhundert geschrieben wurde und an vielen Stellen nicht nur eine realistische Zukunftsvision beschreibt, sondern auch ein reelles Abbild unserer heutigen Gesellschaft und den bestehenden Herrschaftsstrukturen zeichnet. Ein Blick auf die jüngsten Ereignisse in Großbritannien und Julien Assange schafft Gewissheit.
Mit „GRM: Brainfuck“ wendet sich Sibylle Berg nun also auch an die Raphörerschaft und die heutige Jugend, die möglicherweise doch das ein oder andere aus diesem Buches mitnehmen könnte. Ob das Buch auf dieselben offenen Ohren wie Kollegahs Selbstverwirklichungs-Bibel stoßen wird, mag zu bezweifeln sein. Wer dennoch Lust auf einen Blick über den Tellerrand hat, dem sei die Lesung von Sibylle Berg am kommenden Montag im Wiener WUK ans Herz gelegt. Kann schließlich auch manch Schäden durch regelmäßiges Modus-Mio heilen.
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