Zur Feier des gestrigen „4/20“-Tages wurde Musik- und Marihuana-Liebhabern ein besonderes Geschenk zuteil: Dr. Dres Debütalbum „The Chronic“ ist nun, über 27 Jahre nach der Veröffentlichung, erstmals auf allen großen Streamingplattformen erhältlich. Ursprünglich im Dezember 1992 über Death Row Records erschienen, gilt es als Start der „G-Funk-Era“ und damit als Meilenstein für Gangsta-Rap von der Westcoast.
Beginnend mit „The Chronic“ prägte Dr. Dre den charakteristischen G-Funk-Sound, der vor allem auf Samples des P-Funk-Pioniers George Clinton und dessen Bands Parliament und Funkadelic fußt. Auf Basis der mit markanten Synths ausgestatteten 1970er-Funk-Tracks entstand ein smooth groovender und zugleich mitreißender Sound, der der Westcoast- und HipHop-Welt allgemein für einige Jahre den Stempel aufgedrückte. Das Album diente als Startschuss einiger Karrieren berühmter US-Rapper. Das gilt allen voran für Snoop Dogg, aber auch für Warren G, Kurupt oder Dres Cousin Nate Dogg, die neben vielen weiteren bekannten Gesichtern als Featuregäste vertreten waren. Während von „The Chronic“ insbesondere die Singles „Nothing But A G Thang“ und „Let Me Ride“ im Gedächtnis geblieben sind, trudelten die richtig großen Welthits auf G-Funk-Beats von Dre eher in den Folgejahren ein, etwa mit Alben wie „Doggystyle“ und Tracks wie „Regulate“, „Gin and Juice“ oder auch „California Love“ von 2Pac.
Wer hat’s erfunden?
Dr. Dre ist nicht nur der mit Abstand berühmteste G-Funk-Produzent, sondern genießt zumeist auch das Ansehen als als Erfinder des charakteristischen Sounds. Eine Zuschreibung, die umstritten ist und nach der Auflösung der Gruppe N.W.A. die Fronten zwischen Dr. Dre und seinem Ex-Kollegen Eazy-E, die ohnehin schon laufend auf Tracks gegeneinander feuerten, noch weiter verhärtete. Eazy-Es guter Freund und regelmäßiger Produzent Cold187um, damals Teil der Rap-Crew Above The Law, beharrt bis heute darauf, der Erfinder des G-Funk-Namens und -Sounds zu sein. Er habe Dre vorab bei einem Videodreh Entwürfe seines geplanten Albums „Black Mafia Life“ – das pikanterweise wenige Wochen nach „The Chronic“ erschienen ist und teilweise sogar auf den gleichen Samples basiert – vorgespielt und Dres Sound ab „The Chronic“ damit entscheidend inspiriert. Es habe ihn gebrochen, dass Dre sämtliche Credits in Verbindung mit G-Funk bekam und er selbst gleichzeitig international unbekannt blieb.
In weiterer Folge nannte Dre nannte Eazy-E seine 1993 erschienene EP, auf der der Hit „Real Muthaphuckkin G’s“ vertreten war, „It’s On (Dr. Dre) 187um Killa“. Eine klare Botschaft, zumal der Code 187 im kalifornischen Gesetzbuch für Mord steht – und gleichzeitig ein Hinweis an Cold187um, der den Track „Any Last Werds“ produzierte.
Ob letztlich Dre, Cold187um oder etwa sogar der einige Jahre zuvor mit dem ähnlich strukturierten Mobb-Music-Sound in der kalifornischen Bay Area aktive Too $hort als „wahrer“ Erfinder des G-Funks genannt werden kann, lässt sich wohl nicht mehr klären. Intern dürften die Differenzen zwischen Dre und Cold187um mittlerweile übrigens beseitigt sein, zumal es einen gemeinsamen Track auf dem 2015 erschienenen Dre-Album „Compton“ gibt.
Strahlende Wirkung
Weniger umstritten ist, dass „The Chronic“ zum Fundament von Death Row Records, einem der dominantesten Hip-Hop-Labels der 90er-Jahre, wurde. Das 1991 von Dr. Dre, Suge Knight, The D.O.C. und Dick Griffey gegründete Label brachte auf seinem Höhepunkt um die 100 Millionen Dollar jährlich ein.
Eine besondere Auszeichnung wurde „The Chronic“ im März zuteil. Als eines von 25 Aufnahmen ist es in das jährlich erweiterte National Recording Registry aufgenommen worden. Eine staatliche Auszeichnung für Tondokumente, die eine hohe kulturelle, historische und ästhetische Bedeutung für die US-amerikanische Gesellschaft haben und dadurch als besonders erhaltenswert eingestuft werden.
Mit der Freigabe des Kultalbums für digitale Streaming-Plattformen öffnen die Rechteinhaber von eOne Music ab sofort allen den Zugang zu diesem Meilenstein der HipHop-Geschichte. Wer also den gestrigen Tag noch nicht gefeiert hat, kann das nun in gebührender Manier nachholen – Happy belated 4/20 ya‘ll!
Text: Mira Schneidereit & Simon Nowak
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