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Toni L. Interview: „Uns war nicht bewusst, was da noch kommen kann“

Toni L. Interview: „Uns war nicht bewusst, was da noch kommen kann“

Photo by Daniel Shaked -3992

Ihre Namen sind in allen Musik- und HipHop-Geschichtsbüchern Deutschlands verewigt. Toni L. und Torch zählen trotzdem noch lange nicht zum „alten Eisen“, sondern zu einer der relevanten Größen in HipHop-Deutschland. Nichts an Relevanz und trauriger Aktualität eingebüßt hat auch mehr als 20 Jahre danach ihr Song  „Fremd im eigenen Land“.

Text & Interview:  Stefan Anwander
Fotos: Daniel Shaked, Rob Hak

Auch nach jahrzehntelanger Szenezugehörigkeit wird es einfach nicht still um Toni L. und Torch. Nicht nur ihre Liebe und Leidenschaft für die HipHop-Kultur treibt sie im Verlauf der Jahrzehnte immer wieder zu neuen Taten an, sondern auch ihr sozial-politisches Engagement.  Mit „Fremd im eigenen Land“  setzten sie Anfang der 1990er als Advanced Chemistry (gemeinsam mit Linguist) neue politische Maßstäbe für Rap aus dem deutschsprachigen Raum. Bis heute beziehen sich Rapper wie auch Politiker und unterschiedliche politische Gruppen aus unterschiedlichen Motivationen und Intentionen auf diesen Titel und diese Nummer.

Mit Toni L.  (Torch konnte dem Interview aufgrund zahlreicher Verpflichtungen nur zu Beginn beiwohnen)  rollten wir die Geschichte rund um den Song mehr als 20 Jahre später detailliert auf und mussten dabei erschreckende Parallelen zur aktuellen politischen Lage in Deutschland und ganz Europa feststellen.  Aber es wäre verkürzt,  Toni L. – wie auch Torch – in seiner mehr als 30-jährigen Schaffenszeit auf die (frühen) 90er, den „Mythos“ Advanced Chemistry und „Fremd …“  zu reduzieren.  Deshalb bietet das Gespräch einen facettenreichen Epochenüberblick, der sowohl weit in die Vergangenheit als auch in die Zukunft reicht – vom „New York Deutschlands“ in den 80er-Jahren bis hin zur Advanced Chemistry-Abschlusstour in 20 bis 30 Jahren.

The Message: Marteria hat in dem Intro zu seiner Version von „Wir waren mal Stars“ Heidelberg als das New York von Deutschland bezeichnet. Wie sind eure Erinnerungen an Heidelberg in den 80ern? War es tatsächlich ein „hartes Pflaster“, gab es „soziale Brennpunkte“ und konkrete Parallelen zu New York oder der South Bronx?
Torch:
New York mit Heidelberg zu vergleichen ist schon krass (lacht). Aber New York besteht ja nicht nur aus „sozialen Brennpunkten“. Das Heidelberg, in dem wir aufgewachsen sind, war eine lustige Mischung aus Provinzdorf in Baden-Württemberg, Touristenstädtchen, Universitätsstadt und Hauptmilitärstützpunkt der Amis in Europa. Diese Mischung war doch sehr speziell und hat gut zu dem gepasst, wie wir aufgewachsen sind und was wir gemacht haben. Wenn es eine Parallele mit New York gibt, dann vielleicht diese. Aber ich bin noch nie darauf gekommen, die beiden Städte zu vergleichen.

Toni L.: Ich denke, der Vergleich war eher auf die Entstehung von Rap bezogen, Heidelberg als die Quelle und Wiege von authentischem, deutschsprachigem Rap. Das würde ich als die Parallele sehen.

Torch: Genau. Aber es gab zu dieser Zeit ja nicht nur uns, sondern viele andere Leute und Crews. Gerade Deutschland ist sehr peripher strukturiert, obwohl es nach der Wende stärker auf Berlin konzentriert wurde. Aber eigentlich ist Deutschland genau das Gegenteil davon, wenn man sich Städte wie Hamburg, Köln oder München ansieht. In den Anfängen der deutschen HipHop-Szene fielen nicht nur die großen Städte auf, sondern auch ganz viele kleine Orte, wie Aschaffenburg, Gießen, Lüdenscheid oder eben Heidelberg. Wir sind aber nicht nur dort geblieben, sondern waren viel unterwegs, haben uns vernetzt. In der Location hier (Szene Wien, Anm. d. Red.) waren wir vor 22 Jahren, 1993, das erste Mal, das war auch einer unserer ersten internationalen Auftritte. Deswegen ist das für uns historisch gesehen schon etwas Besonderes.

Für Texta war „Heidelberg“ ein wichtiger Startschuss für ihre bis heute währende Musikkarriere. Auf ihrem 1. Album „Geschmeidig“ hatten sie einen ganz ähnlich angelegten Track mit „Da wo ich herkomm“. In den USA wurde schon lange davor die eigene Stadt und Hood, das eigene Viertel berappt und „representet“, im Rap im deutschsprachigen Raum war das damals noch nicht sehr weit verbreitet.
Torch:
Da war noch gar nichts verbreitet. (lacht)

Toni L.: Fast jedes Lied oder jedes Thema, das du angeschnitten hast, war eine Weltpremiere.

Torch: Wir haben auch die ersten politischen Rapsongs, die ersten Battle- und Liebes-Dinger gemacht … Das geht ja gar nicht anders.

Ihr seid Mitte und Ende der 90er-Jahre auch Dauergäste der Jams rund um Linz gewesen, sei es das HipHop Bazerk oder die Stay Original-Jams. Wie ist damals das enge Verhältnis zu Linz zustande gekommen?
Toni L.:
Die wichtigste Figur für uns in Österreich ist Moussa. (Diaw, Anm. d. Red.) Er war der Mann, der so vieles für HipHop hier bewegt und organisiert hat, und ein toller Mensch, der HipHop und uns immer die Treue gehalten hat. Daraus ist eine schöne Freundschaft entstanden und so sind wir auch regelmäßig nach Österreich gekommen. Aber wir waren nicht nur in Linz, sondern auch öfters in Wien, Graz, Salzburg, Innsbruck und sicherlich einigen kleineren Orten in der Berglandschaft, die ich jetzt nicht alle aufzählen kann … Es ist auf jeden Fall immer schön gewesen, nach Österreich zu kommen, weil wir immer herzlich empfangen wurden.

Ebenfalls in den 90er-Jahren gab es zwischen euch und den Fantastischen Vier einen offenen, schwelenden Konflikt bezüglich des jeweiligen Zugangs zu HipHop. Wie würdet ihr diesen Konflikt aus heutiger Sicht einschätzen? War das teilweise nicht zu übertrieben und hätte man, wenn man zu der Zeit gesagt hätte, wir machen gemeinsame Sache, HipHop in Deutschland nicht noch weiter bringen können?
Toni L.:
Jeder von uns hat HipHop auf seine Art und Weise weitergebracht. Außerdem wurde durch die Medien viel aufgebauscht. Wenn man den Konflikt mit den Konflikten der heutigen Zeit vergleicht, dann ist das Kindergarten gewesen. Im Endeffekt hat dieser Konflikt aber trotzdem eine große Rolle gespielt, weil wir damals mit dem Thema HipHop sehr sensibel umgegangen sind. Das war die Epoche, in der den Medien HipHop erst erklärt werden musste. Und da rede ich nicht nur von uns als Gruppe, sondern von der ganzen Szene, für die wir auch zum Großteil gesprochen haben. Da repräsentierst du was – die Elemente, die Kultur, den Underground – rockst die Jams jahrelang und europaweit und dann kommt der Punkt, an dem es im Fernsehen und Radio gespielt wird und auf einmal kommt jemand her und erklärt das Ganze. Aber dann will man es richtig erklären und dich auch richtig repräsentiert sehen. Da sind natürlich die Wege auseinandergegangen. Es war nie unser Ziel, die Mainstream-Welt zu erobern und man sollte Dinge auch nicht künstlich zusammenführen.

Ihr seid als Vertreter der „4 Elemente – Theorie“ bekannt bzw. für euch ist HipHop nach wie vor multielementar zusammengesetzt. Welchen Stellenwert sollten diese Elemente für die heutige HipHop-Generation noch haben – oder ist es damit vorbei?
Toni L.:
Es ist wichtig für die Definition von HipHop. Der Begriff selbst ist heute in aller Munde, in jeder Sparte und Gesellschaft redet man über HipHop. Die Kinder feiern und tanzen HipHop. Daher finde ich es schon wichtig, dass man HipHop in dem Sinne noch klassisch definiert und sagt, die Elemente gehören dazu. Jedes Element selbst hat sich ja auch extrem weiterentwickelt. So ist Graffiti in den Galerien angekommen, es gibt internationale Ausstellungen, wird als Streetart verkauft und etablierte Künstler sind in großen Grafikagenturen gelandet, arbeiten für große Konzerne oder machen Werbekampagnen. Klar, man könnte irgendwann auch sagen: Was hat das noch mit HipHop zu tun? Rap-Musik ist sowieso allgegenwärtig. Das DJ-ing bzw. die Art und Weise, so zu produzieren wie im HipHop, ist längst im Pop gelandet. Und zum Tanz, es werden noch immer weltweit Battles und Weltmeisterschaften ausgetragen, die Tänzer sind auch in Werbekampagnen und Kinofilmen vertreten oder sind im Theater und machen Choreographien. So werden auch ständig neue Felder aufgetan. Für die neuen Generationen spreche ich jetzt mal als Vater von Kindern, der ihnen gerne erklärt, wo die Ursprünge liegen und die auch sehr interessiert daran sind. Es gibt also einen „Stammbaum“, an dem gezeigt werden kann, dass es ursprünglich so war und heute gibt es eben diese Vielfalt, aber darauf lässt es sich zurückführen.

Mit „Fremd im eigenen Land“ ist euch der große Durchbruch gelungen, bis heute zählt die Nummer zu einem der wichtigsten Rapsongs aus Deutschland. Wie würdest du diesen – auch kommerziellen – Erfolg erklären, denn das war mit solch einem Track keineswegs absehbar?
Toni L.:
Eigentlich ist es ein Phänomen, denn das Lied selbst ist alles andere als kommerziell. Die Nummer ist sehr rough produziert, hat keinen eingängigen, schön klingenden Radio-Chorus und viel Text und Inhalt. So gesehen also eher ungeeignet für Radiosender. Es gibt  sicher mehrere Gründe für den Erfolg: Wir haben vielen aus der Seele gesprochen und Dinge ausgesprochen, die bis dahin noch niemand ausgesprochen hat. Wir haben ein neues Bewusstsein geschaffen und Deutschland eine bis dahin nicht anerkannte Identität gegeben. Zum Beispiel, dass ein Afrodeutscher genau so deutsch sein kann, wie der blonde Junge von nebenan. Zudem war es auch neu und exotisch, die deutsche Sprache so zu nutzen, wie wir es taten. Viele bekannte Künstler beziehen sich noch heute auf den Song und erklären, dass es für sie die entscheidende Inspiration war, selbst authentische Rapmusik machen zu wollen. Dann war das Thema „Rassismus“ durch die Brandanschläge auf die Asylbewerberheime in Rostock-Lichterhagen, Hoyerswerda oder Mölln auch in den Medien aktuell. Das ist jetzt leider wieder der Fall. Das zeigt, dass ein Teil der Menschen in dieser Beziehung immer wieder versagt und sich von dummen, rassistischen Gedanken leicht lenken lässt. Dadurch bleibt unsere Aussage leider zeitlos.

Wie gespenstisch war das für euch bzw. wie seid ihr dann damit umgegangen, dass sich die Ereignisse dermaßen überschnitten haben?
Toni L.:
Thematisch haben wir zuerst nur für uns gesprochen, inhaltlich hat sich das auch nicht komplett mit der Problematik der Asylantenheime gedeckt. Aber jedem war klar, die Botschaft geht absolut in die richtige Richtung, um eben ein neues Verständnis im Land zu schaffen. Das war der entscheidende Punkt, wir waren seit unserer Kindheit und Jugend, mit Eltern mit Migrationshintergrund, schon immer sehr sensibilisiert und hatten ein Gespür dafür, wie der alltägliche Rassismus in unserem Land stattfindet oder stattgefunden hat. Das war ein Tabuthema, das hat keiner thematisiert. Wir wussten auch nicht, ob es nur uns so damit geht oder wie die Leute da draußen empfinden. Aber als wir das Lied dann geschrieben haben – und zu dem Zeitpunkt wussten wir ja auch noch nicht wie viele Platten wir noch veröffentlichen werden – war klar: dieses Lied muss raus. Dass ein alltäglicher Rassismus, eine Diskriminierungsform stattfindet, das war uns immer bewusst. Aber uns war nicht bewusst, was da noch kommen kann. Im Nachhinein betrachtet, ist es natürlich gespenstisch und verrückt, dass die Anschläge so plötzlich und zeitgleich mit dem Release passiert sind, was das ganze auf eine andere Ebene gebracht hat, auf die wir allerdings zu gerne verzichtet hätten.

Bleiben wir bei „Fremd im eigenen Land“. Es gab von der Nummer einige Adaptionen bzw. Neu-Interpretationen (Anm. d. Red.: Nicht nur im Rap aus Deutschland wurde dieser Titel später aufgegriffen, sondern 2015 auch in der österreichischen Politik: die steirische FPÖ warb mit diesen Worten bei den Gemeinderats- bzw. Landtagswahlen um WählerInnen). Bereits 1995 brachte – nach „Fear of a Kanak Planet“ von Hannes Loh und Murat Güngor – die Gruppe ANTI aus dem Osten Deutschlands einen Song mit dem gleichen Titel heraus, der völlig aus dem ursprünglichen Kontext herausgesprengt und teilweise nationalistisch aufgeladen wurde. Mitte der Nuller hat dann auch Fler einen gleichnamigen Song releast, ebenfalls völlig aus dem Kontext gesprengt. Was hast du dir dabei gedacht, wie du die Nummer gehört hast?
Toni L.:
Da will ich mich gar nicht groß reinsteigern (längeres Nachdenken und Schweigen). Da geh ich nicht groß drauf ein. Du kannst es sowieso nicht verhindern, wenn so etwas passiert. Es zeigt vielleicht einfach nur noch stärker, wie viel Strahlkraft dieser Song bis heute noch hat. Und wie vielen Leuten es heute noch wichtig ist, sich auf diesen Song zu beziehen. Wie auch immer sie es dann interpretieren, selbst wenn sie es im Negativen machen, hat es sie so stark beeinflusst, dass sie es thematisieren und für sich aufgreifen müssen. Aus dem Blickwinkel betrachtet, ist es schon beachtlich, dass so jemand, der eigentlich dafür bekannt ist, viel Hass zu verbreiten, so was noch mal aufbauschen muss. Und darum geht es ja auch im Endeffekt: Viele bedienen sich bestimmter Begriffe, Schlagworte oder Sätze aus dem Dritten Reich und instrumentalisieren und nutzen sie noch mal für sich, um Aufsehen zu erregen und Promo zu machen. Das finde ich sehr traurig.

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(c) Philip Pesic

Es gibt heute das Phänomen des RechtsRap bzw. Nazi-Rap. Was die Autoren Loh und Güngör in dem Buch noch als Horrorvision ausgemalt haben, wurde mittlerweile zur Realität.
Toni L.:
Da muss ich dir gleich das Wort abschneiden. Das hat alles nichts mit HipHop zu tun. Selbst wenn sich die nach außen als HipHop definieren würden, in der realen HipHop-Szene hätten sie nie eine Chance zu existieren. Da hat das keinen Platz, das kann man schon allein in jedem B-Boy Kreis sehen. Sie nutzen einfach das Instrument Rap und versuchen mit dem Trend zu gehen, ihre Themen an die Jugend zu bringen, um damit einen gewissen Erfolg zu erzielen. Sie singen ihre sogenannten Lieder auch mit der Gitarre und nutzen andere Musikstile, die dadurch auch nicht infrage gestellt werden.

Photo by Daniel Shaked -3993In den letzten Jahren hat sich das Gesamtbild von Advanced Chemistry bzw. von Torch und Toni L. verändert. In den 90er-Jahren seid ihr die unumstrittenen Helden gewesen, heute kennen vielleicht viele der jungen Generation AC, Toni L. und Torch gar nicht mehr bzw. stehen als Sinnbild für den überlebensgroßen Zeigefinger. Wie seid ihr damit umgegangen, dass sich euer Bild in der HipHop-Community und vielleicht auch darüber hinaus doch stark verändert hat?
Toni L.:
Ich denke, du schätzt unseren heutigen Bekanntheitsgrad bezüglich der jungen Generation zum Teil falsch ein. Du kannst uns gerne mal begleiten, wenn wir Shows spielen und dir anschauen, wie viele junge Leute uns textsicher begleiten und feiern. Du hast recht, die HipHop-Community hat sich verändert, sie ist größer, vielseitiger und schnelllebiger geworden, wodurch auch einige Parallelwelten entstanden sind, die heute gut nebeneinander existieren können. Und da kommt der Punkt. Du kannst nicht alle jungen Leute pauschalisieren und in eine Schublade stecken. Klar, der Name Advanced Chemistry ist ein Mythos, den hauptsächlich die Leute kennen, die jene Epoche erlebt haben. Doch die größten kommerziellen Erfolge hatten wir später mit dem Album „Blauer Samt“ oder „Funkjoker“. Das heißt, die Namen „Torch“ und „Toni L.“ wurden auch von einigen Generationen gehört, die sich nie mit der History von „Advanced Chemistry“ auseinandergesetzt oder uns mit ihr in Verbindung gebracht haben. Da haben viele Quantensprünge stattgefunden, wir reden hier von mehr als drei Jahrzehnten HipHop-Aktivität, die du nicht auf ein paar Zeilen komprimieren kannst.

Wir schwelgen viel in der Vergangenheit, dabei vergisst man schnell, was und wie viel ihr heute eigentlich noch alles macht.
Toni L.:
Wir sind immer noch rastlos unterwegs, spielen auf Festivals, machen jährlich in Heidelberg eine 360° Summerjam und eine 360° Winterjam, auch für Österreicher immer eine Reise wert. Dann haben wir kürzlich über unser 360° Label, welches auch letztes Jahr 20 Jahre Jubiläum feierte, eine 7-Inch-Kollabo mit dem Kölner Label Entourage rausgebracht. Auf der einen Seite hat DJ Haitian Star einen Beat gemacht, auf dem Retrogott rappt und auf der anderen Seite hat Hulk Hodn einen Beat gemacht, auf dem Toni L. rappt. Schon jetzt eine coole, kultige und vor allem so gut wie vergriffene Single. Dann habe ich gerade mit Rene, Retrogott, Carl Crinx und DJ Coolmann von 5 Sterne Deluxe ein Video zu unserem Song „Perpetuum Mobile“ gedreht. Der Track ist auf MC Rene’s und Carl Crinx’ aktuellem Album, wobei es dazu noch eine EP geben wird. Torch ist viel als DJ Haitian Star unterwegs und hat gerade sein „German 80ies Funk“-Mixtape rausgebracht und in New York aufgelegt. Ich bin auch als TL-Boogie unterwegs, lege meine Vinyl-Favoriten auf und habe eine Veranstaltungsreihe mit dem Namen „Party Time Machine“, bei der man durch sämtliche Musikepochen reist. Außerdem bin ich noch an vielen Schulen und Universitäten unterwegs, halte Vorträge und gebe HipHop-Seminare, zum Beispiel für angehende Erzieher und Sozialarbeiter. Dabei wird ihnen Knowledge vermittelt, um den ganzen Klischees entgegenzuwirken, damit sie den eigentlichen Gehalt der HipHop-Kultur erkennen und das in ihrer Tätigkeit einfließen lassen und Brücken schlagen können.

Angesichts dessen, was in den Charts aktuell an Rap vertreten ist, scheint das relativ schwierig zu sein.
Toni L.:
Überhaupt nicht, es geht dabei auch eher darum Hintergründe zu verstehen und Gemeinsamkeiten zu finden. Man kann keinen Respekt erwarten, wenn man keinen Respekt gibt. Wenn man die Entstehungsgeschichte, die ursprünglichen Werte und Ideale und die Existenzen vieler guter Künstler zeigt, wird schnell klar, welche Bedeutung HipHop für die Gesellschaft hat. Es wäre interessant zu wissen, wie viele Schicksale HipHop aufgefangen hat. Für den Staat, für die Länder, für die Familien. Ich kenne unglaublich viele Menschen, die ohne HipHop ganz woanders gelandet wären. Und da geht es auch nicht darum, mit HipHop sein Geld zu verdienen, sondern darum, dass sie bestimmte Werte in sich tragen und einen Weg gefunden haben, in ihrem Leben einen Sinn zu finden und an sich selbst zu glauben.

Weil wir gerade bei Jugendlichen sind, HipHop wird bis heute vor allem als Jugendkultur präsentiert und wahrgenommen. Kann man im HipHop überhaupt in Würde altern? Es gibt genug Beispiele von „alten“, arrivierten Künstlern, die trotz großen Outputs nicht mehr wirklich an die Glanzzeiten anschließen können. Wie seid ihr im und mit HipHop gealtert?
Toni L.:
Man kann auf jeden Fall im HipHop würdig altern. Eine Kultur, die aus einer Jugendkultur entsprungen ist, aber dennoch hält HipHop jung, das kannst du an meiner dynamischen Ausstrahlung erkennen. (lacht) Wir sind weiterhin auf vielen Ebenen aktiv. Ich war jetzt gerade an der Universität Bern und habe einen Vortrag gehalten. Ich war auch Teil des Komitees in Heidelberg, welches die Bewerbung verfasst hat, um den Titel „UNESCO-City of Literature“ zu bekommen, das heißt Heidelberg ist jetzt UNESCO-Literaturstadt. Und ein Teil der HipHop-Geschichte, die in Heidelberg stattgefunden hat, hat dazu beigetragen. Es gibt viel Literatur und Bücher über HipHop, es werden darüber Doktorarbeiten geschrieben, es ist also auch unter Akademikern und in der Wissenschaft immer mehr ein großes Thema. Wir haben ein Niveau erreicht, auf dem sich viele selbst verwirklichen konnten. Viele sind in den letzten Jahrzehnten ihren Weg gegangen und konnten durch HipHop ihren Lebensweg bestreiten, sie haben als Selbständige gefestigte Jobs und sich was aufgebaut. HipHop ist mittlerweile fester Bestandteil der Gesellschaft. Von dem her kann man da auch würdig altern, je nachdem, in welchen Bereich du tätig bist – ob in der Veranstaltungsbranche, Grafik, Design, Werbung, Musik, Theater oder sonst wo.

Was machst du jetzt beruflich, abgesehen von der Musik?
Toni L.:
Ich reise herum, gebe Interviews und werde dafür sehr gut bezahlt. (allgemeines Auflachen)

Zum nostalgischen Abschluss: Wird von Advanced Chemistry noch was kommen oder wird es zum 20-jährigen Jubiläum von eurem Album 2016 noch eine Reunion geben?
Toni L.:
Advanced Chemistry wird ein Mythos bleiben, der auch in eine gewisse Zeit gehört, den muss man jetzt nicht noch mal auspacken. Vielleicht, wenn sie uns in 20 oder 30 Jahren anbieten, so eine Abschlusstour auf dem Traumschiff zu machen, wo wir dann noch mal loslegen und die Evergreens zum Besten geben. (allgemeines Auflachen) Aber bitte erst in 20 oder 30 Jahren …

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