Trettmann mit Geschichten vom Raven und gescheiterten Beziehungen // Review

Label: SoulForce/BMG // VÖ: 13.9.2019

Wenn “K-K-K-K-Kitschkrieg” aus den Boxen dröhnt, weiß man mittlerweile überall, was für die nächsten paar Minuten Sache ist: Neu gedachte Beats, perfektionierter Sound und meistens: Trettmann. Der lebt nämlich schon seit längerer Zeit eine treue und erfolgreiche Ehe mit Fizzle, Fiji Kris und awhodat des Berliner Produzenten-Teams. Doch wie in jeder Ehe braucht es viel Arbeit und Durchhaltevermögen. Drei EPs lang dauerte es, bis Trettmann und KitschKrieg “#DIY”, das wohl beste Album des Jahres 2017, veröffentlichten. Zwei Jahre später ist nun das zweite, lang ersehnte Geschwisterchen im Anmarsch: “Trettmann” heißt das neue Album, auf dem Tretti mit seinem unverkennbaren Stil Geschichten vom Raven, erfolgreichen und gescheiterten Beziehungen, vom “Ich” und vom “Wir” sowie seiner kleinen Tochter und der düsteren Vergangenheit seiner Heimat erzählt. Und das, wie immer, “nur mit den Echten”.

Nachdem sich Trettmann mit KitschKrieg eine eigene Sphäre mit Elementen aus HipHop, Reggae (Trettmanns Ursprung), Dancehall und melodischem R’n’B aufbaute, waren die Erwartungen an das Nachfolgealbum entsprechend hoch. “Und zeig mir auch nur ein’n, der #DIY nicht mag”, betont Trettmann berechtigt in “Du weißt” (feat. Gzuz). Auch wenn man selbst automatisch Vergleiche zieht, scheint Trettmann diesen Anspruch an sich selbst nicht gestellt zu haben. Track für Track verfolgt er seinen bis ins Detail kreierten Stil mit dem tonangebenden 808-KitschKrieg-Sound und den schwarz-weißen Visuals von awhodat, ist jedoch nicht darum bemüht, sich selbst oder anderen nachzueifern. Dieses Erfolgsrezept tut dem Album gut und lässt eingefleischte Rap-Fans wie den Feuilleton gleichermaßen anerkennend nicken.

Trettmann, mit 45 Jahren eigentlich ein alter Hase im pubertär geprägten Deutschrap, rappt Lyrics abseits von machistischem Alpha-Gehabe, scheint avantgardistisch wie sonst nur ganz junge Newcomer und zieht, ganz unscheinbar, mit seinem von Sonnenbrille, weißem Cap und KitschKrieg-Shirt geprägten Vibe Jung und Alt mit. Dabei bekommt er tatkräftige Unterstützung aus Berlin-Kreuzberg. Was den Sound betrifft, ist und bleibt KitschKrieg einzigartig. Das Team befreit sich von allen gängigen Regeln der Kunst und schafft Beats, die nicht nur für Tretti, sondern auch Joey Bargeld und Haiyti Gold wert sind. In Tracks wie “Zeit steht” (feat. Alli Neumann) oder “MDMDF” ein Erholungsurlaub der Sonderklasse für das Ohr. KitschKrieg ist deshalb ohne Frage eines der besten Produzenten-Teams, das derzeit unter uns weilt.

Auf “Trettmann” erzählt uns der Rapper aus dem Osten in elf Songs von seinem ereignisreichen Leben, thematisiert das Feiern und Raven, das er nach wie vor zelebriert, greift gescheiterte und glückliche Beziehungen auf und wird mit einem seiner Tochter gewidmeten Track und politischen Statements nachdenklich und persönlich. Im “Intro” hagelt es nicht nur Referenzen zu verschiedenen Leuten, die am Kunstwerk Trettmanns beteiligt sind, er bringt auch seine Treue zur Musik zur Geltung. Auf Tracks wie “Bye Bye aka Delicious”, “Retro Shirt” oder “Hätten wir sein können” verarbeitet er Geschichten von Liebe, Vertrauen und Freundschaft. Feiern, Drogen und Loslassen zeigen sich auf nahezu allen Tracks, so auch in “MDMDF” oder “Wir bleiben wach”, ein sanfter Afro-Trap-Track mit R’n’B-Elementen. Zackige Ansagen gibt es vor allem auf der Gzuz-Kollabo “Du weißt”. Die Grundstimmung des Albums ist dabei insgesamt konstant gefühlvoll, ausgeruht und mit schön platzierten Höhen und Tiefen ausgestattet.

Wir beide wissen, dass es so ist // Du und ich, nur in kleiner Dosis „Retro Shirt“

In den 37 Minuten ist es jedoch nicht die Stimmung, sondern einzelne Tracks, die einen aufhorchen lassen und nachdenklich stimmen. Der mit Abstand stärkste Track ist der mit Klavier-Akkorden untermalte Song “Stolpersteine”. Darin thematisiert der Rapper aus Chemnitz die nationalsozialistische Vergangenheit und erzählt, wie er nach einer Party auf dem Nachhauseweg Stolpersteinen begegnet, die für die Opfer des grausamen Regimes stehen und an ein gleichnamiges Kunstprojekt von Gunter Demnig erinnern. In dem schweren Song verpasst es Trettmann, der sich schon bei “Wir sind mehr” gegen Rechtsextremismus engagierte, nicht, die Linie ins Heute zu ziehen: “Der Schoß noch fruchtbar, aus dem das kroch”.

Schling’n werden wieder geknüpft // Messer wieder gewetzt // Nein, nicht woanders, hier und jetzt „Stolpersteine“

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Anders, aber ähnlich bewegend ist “Margarete”. Seine emotionalen Zeilen beziehen sich hier auf seine kleine Tochter, er erzählt eine schöne Vater-Tochter-Geschichte und betont: “Seit du da bist, macht endlich alles Sinn”. Eine Liebeserklärung mit sanften Soul-Elementen nach Trettmann-Manier. In Sachen Kollabos sind Alli Neumann, Gzuz und die Wiener Rapperin KeKe, die den Song “Wenn du mich brauchst” nicht besser hätte ergänzen können, im Boot. Viel Diskussion gab es bereits im Vorhinein rund um das Feature mit Gzuz, dem häusliche Gewalt vorgeworfen wird. Trettmann selbst meinte dazu, dass er mit Gzuz geredet und sich nach langer Überlegung für ein Feature entschieden habe. Häusliche Gewalt finde er verwerflich, über problematische Themen müsse man sprechen. Den fahlen Beigeschmack verliert der an sich stimmige Track dadurch kaum. Unweigerlich steht die Frage im Raum, inwieweit versöhnliche Worte reichen, wenn Gzuz von einem Feature mit Trettmann in vielerlei Hinsicht profitiert und seine Persönlichkeit starke Publicity einheimst.

Fazit: “Trettmann” ist ein stimmiges und gelungenes Album, und doch zieht man schnell mal Vergleiche zur großen Schwester. Textlich ist das Album stellenweise schwach und sehr ähnlich. Der inhaltliche Höhepunkt findet sich definitiv mit “Stolpersteine”, andere Songs sind zwar in kreativer Tretti-Manier gehalten, ähneln sich an manchen Stellen jedoch zu sehr. Dem Vibe der Platte hätten ein paar mehr Kracher wie “Grauer Beton” oder auch “Standard” durchaus gut getan. Und auch wenn manche Tracks schwächeln, bleibt der von Trettmann angenehm versprühte Vibe in den elf Tracks bestehen. Es bleibt abzuwarten, was Trettmann nach dieser über mehrere Jahre andauernden Erfolgswelle von qualitativ hoch gesteckten Tracks noch abzuliefern vermag. Ob er das zukünftig konsequent fortsetzen kann, bleibt offen. So warnt er doch selbst bereits: “So gut wie heute wird’s nie wieder.”

3,5 von 5 Ananasse

Am 8. Dezember ist Trettmann live im Wiener Gasometer zu sehen, tags darauf im Posthof Linz.