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Wælder und die mystischen Klänge des Cyberspace: „Non Places“ // Review

Wælder und die mystischen Klänge des Cyberspace: „Non Places“ // Review

(Denovali/Vö: 26.01.2018)

Drei Jahre nach “Anachronie” melden sich die Experimental-Musiker Jan Preißler und Moritz Nahold, zusammen als Wælder unterwegs, mit einem neuen Album zurück. Anders als der Vorgänger erscheint „Non Places“ über den deutschen Imprint Denovali Records, worüber auch die superbe französische Black-Metal-Band Celeste oder Joe Acheson als Hidden Orchestra seine wunderbaren, genre-übergreifenden Symphonien veröffentlicht. Die Ausrichtung des Labels, das sich vor allem als Plattform für musikalische Nischenproduktionen versteht, sollte mit den Kompositionen aus dem Hause Wælder bestens harmonieren.

Keine Veränderung gab es bei der Arbeitsweise. Unverändert schickten sich Preißler und Nahold ZIP-Files zu, in denen sie ihre künstlerischen Visionen festhielten; bis zum Endprodukt wurden weite Strecken auf dem Datenhighway, der sich Cyberspace nennt, zurückgelegt. Auf diesen Arbeitsprozess nimmt auch der Albumtitel Bezug, spielt “Non Places” auf  “Non-Lieux”, das bekannteste Werk des französischen Anthropologen Marc Augé, an. In „Non-Lieux“ stellt Augé sein Gedankenkonstrukt der “Nicht-Orte” vor, worunter er monofunktionale Flächen im urbanen und suburbanen Raum ohne Identität, Relation und Historie versteht. Ein klassisches Beispiel dafür der einzig zum Zwecke des Transits geschaffene Flughafen; ein anderes, neueres Beispiel ist eben der Cyberspace, der ein Bündel an Eigenschaften mit den klassischen “Nicht-Orten” teilt. Ähnlich wie beim Flughafen oder Bahnhof ist der Cyberspace eine Durchgangsstation, dessen Identität sich aus seiner Rolle als Transitraum ergibt. Nicht der Ort selbst ist identitätsstiftend, sondern das Jenseitige, auf welches er hinweist. Im Falle von Wælder ist dieser „Nicht-Ort“ die Brücke zwischen dem kreativen Prozess und der fertigen Musik.

Auf welche Weise man sich musikalisch einem „Nicht-Ort“ annähern kann, zeigten im Feld der Ambient-Musik Produzenten wie Chino Amobi oder Ambient-Godfather Brian Eno. So veröffentlichte Amobi mit “Airport Music for Black Folk” 2016 eine sieben Tracks starke EP, deren Soundwelt, wie der Titel schon erahnen lässt, vom „Nicht-Ort“ Flughafen inspiriert ist. Natürlich erwies sich Amobi bei diesem Vorhaben von Brian Eno beeinflusst, der bereits 1978 mit “Ambient 1: Music for Airports” die Atmosphäre eines Flughafens in einer Soundinstallation gekonnt einfing. Allerdings suchten sich sowohl Amobi als auch Eno einen „Nicht-Ort“ aus, dessen Soundästhetik deutlich weniger abstrakt erscheint als bei der von Preißler und Nahold gewählten Location. Den Cyberspace musikalisch einzufangen, das ist zweifelsfrei ein ambitioniertes Vorhaben.

Wie klingt also der Cyberspace? Oberflächlich haben sich Wælder am musikalischen Standard-Katalog des Ambient-Industrial beziehungsweise Dark Ambient bedient, sprich: Dissonanzen prägen das Soundbild, es klirrt, es kratzt, es wimmert. Fragmente animalischer Geräusche mischen sich zwischen verzerrten Sprachsamples – ein wesentlicher Unterschied zum Vorgänger, der klare Vocals enthielt – harmonische Klangwelten und perkussive Rhythmen tauschen sich mit Soundwolken aus einschüchterndem Lärm aus. Dazwischen greifen Wælder immer wieder auf eine Verknappung der Töne zurück, auf eine feine Dosierung, die den Hörenden vor Rätseln stellt. Die Ungewissheit, mit welchen Tönen die Reise durch den Cyberspace fortgesetzt wird, entfacht ein Gefühl der Anspannung. Die Schaffung dieses Stimmungsbildes macht einige der stärksten Momente auf “Non Places” aus.

Während die meisten Tracks auf dem Album dem beschriebenen Muster folgen und sich als Klangcollagen, extrahiert aus einer ganzen Bandbreite an Lärmquellen, präsentieren, fällt “Every Child May Joy to Hear” aus der Reihe. Wagen sich Wælder auf diesem Track beinahe schon in den Pop hinein. Harmonisch ertönt hier ein Falsett im Hintergrund, kontrastierend zur klappernden Perkussion. Doch auch auf “Every Child May Joy to Hear” ziehen Wælder ihr gewohntes Spiel durch und beenden harmonische Sequenzen mit wuchtigen Störgeräuschen. Ein Statement dazu, dass Harmonien in der Welt des Cyberspace immer nur für einen kurzen Zeitraum Bestand haben? Weil dort Fake-News-Katapulte, Propagandisten und Trolle fast ununterbrochen ihr Unwesen treiben? Gut möglich und genauso plausibel wie die Interpretation als Spiegelbild der ritualisierten Nicht-Kommunikation, die an diesem „Nicht-Ort“ stattfindet.

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Im Detail gehen Wælder mit ihrem Ambient-Sound schließlich einen eigenen Weg. Denn trotz all der Dissonanzen driften sie nie in das Depressive oder Bedrohliche ab – weil sie auf genretypische Stilmittel wie gregorianische Chöre zur Verstärkung einer traurigen Stimmung (man höre Raison d’être) verzichten oder von jener absoluten Dunkelheit und Einsamkeit, wie sie beispielsweise Brian Williams als Lustmord kreiert, abkehren (wenngleich ein gewisser Einfluss auf Wælder nicht abzustreiten ist). Wælders Musik auf „Non Places“ ist kakofonisch, aber an keiner Stelle wirklich bedrückend. Merkmale, die eben auch den „Nicht-Ort“ Cyberspace ausmachen, der in filmischen Darstellungen wie in „Matrix“ oder „The Thirteenth Floor“ zwar auch als düsterer, aber vor allem als geheimnisumwobener Raum charakterisiert wird. Die Musik von Wælders ordnet sich diesbezüglich in dieses Muster ein.

Fazit: Mit „Non Places“ wagen sich Wælder an einer Vertonung des Cyberspace heran. Dabei greifen sie zwar auf eine Vielzahl von herkömmlichen Ambient-Industrial-Zutaten zurück, geben ihrer Musik aber noch eine ganz individuelle Richtung mit. „Non Places“ klingt düster, entbehrt aber einer depressiven Stimmung und resultiert als Ansammlung geheimnisvoller Töne, mit denen Wælder die Mystik des Cyberspace greifbar machen. Ein mehr als funktionierender Zugang.

3,5 von 5 Ananasse

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