"The hardest thing to do is something that is close…
Schon praktisch, so eine selbstzerstörende Nachricht, wie sie in „Mission: Impossible“ vorkommt: In den Brian-de-Palma-Blockbustern wird Tom Cruise als Ethan Hunt die Auftragsbeschreibung stets via Tonband überreicht, welches die Eigenschaft hat, sich wenige Sekunden nach dem Abspielen selbst in Staub aufzulösen. Der streng geheime Inhalt soll nämlich nicht in unbefugte Hände geraten, verständlicherweise. Nun sind dergleichen Mechanismen längst nicht nur Gimmicks in Agentenfilmen, sondern ganz real. Das Bedürfnis nach einem Verflüchtigen von festgehaltenen Eindrücken erklärt den Erfolg von Snapchat (naja, zumindest in den Anfangstagen) oder von Instagram-Storys. Für kurze Zeit vorhanden und dann für immer weg. Ein Gefühl, das im Zeitalter des Information-Überflusses durchaus befreiend wirken kann.
Für einen Überfluss an Informationen steht Yung Hurn, Wiener Rapper mit dem Talent, in seiner Musik genau eben diese Ästhetik des Moments aufzugreifen, nicht. Mit Erfolg, hat Yung Hurn längst aus seinem Internet-Hustle Kapital schlagen können. Drei Jahre nach der „Wiener Linien“-EP mit Lex Lugner befindet er sich auf der Höhe seines Erfolgs. Yung Hurn ist gegenwärtig Werbefigur für einen Online-Versand-Riesen, auf „Promiflash“ zu sehen und Reizfigur für gewisse Berliner Rapper, die mit dem Wiener Schmäh des bezirkspatriotischen Donaustädters nicht wirklich klarkommen.
Und das alles, ohne ein „richtiges“ Album veröffentlicht zu haben. Weil das Independent-Label Live from Earth abseits von Money Boy die einzigen und zugleich die letzten vor dem Durchbruch des Streaming waren, die die Wirkmacht der amerikanischen Mixtape-Kultur erfolgreich in der DACH-Region umsetzten. Schließlich verdankt Yung Hurn Free-Download-Tapes wie „22“ mit dem Smash-Hit „Nein“ oder dem „Krocha Tape“ seinen Status. Auf ein Solo-Album im eigentlichen Sinne ließ Yung Hurn lange warten. Vielleicht, weil ihm nicht danach war (wahrscheinlich), vielleicht, weil er sich künstlerisch noch nicht reif dafür fühlte (unwahrscheinlich).
Egal, denn nun ist die Zeit gekommen. „1220“ lautet der Name des Debüts, das anhand des Titels einen Anknüpfungspunkt zu den Anfangstagen bietet. Hinsichtlich seines Teams hat sich inzwischen aber einiges geändert, kommen die Beats nun nicht mehr überwiegend von Lex Lugner, sondern von DJ Stickle. Ein Übergang mit Tücken: Den Spirit der Mixtapes, deren Beats, wenn sie nicht von Lex Lugner stammen, in Pac-Man-Manier auf SoundCloud aufgeklaubt wurden, in ein professionelleres Produkt mitzunehmen, ist eine Schwierigkeit, bei der manche in der Vergangenheit scheiterten.
Auf „1220“ gelingt beattechnisch der Übergang, umgeben die Synthielandschaften wie gewohnt die Zeilen von Yung Hurn. Dabei driften sie manchmal ins Bedrohliche ab und zeigen sich als rücksichtslose Klaustro-Trap-Abfahrten („MHM“, „Ok Cool“), bieten in den meisten Fällen jedoch eine Überdosis Kitsch und Schmalz auf („Sie schauen“, „Bis du alleine.“). Anders als auf den Mixtapes, wo beattechnisch Hit-or-Miss das Credo lautet, ist der Sound auf „1220“ durchgängig auf einem passablen Niveau, ohne dabei Ausreißer nach unten oder, was selbstredend besser wäre, nach oben vorzuweisen. Doch die Beats sind auf einem Yung-Hurn-Release bei Weitem nicht die wichtigste Zutat. Es sind die lallenden Sprachfetzen, die „Süssiboy“ über die Instrumentals stülpt und ihnen damit erst richtiges Leben einhaucht. Manchmal mit dem Resultat eines Hits, manchmal mit dem Resultat von brabbelnden Unsinn.
Seinem Rap-Konzept bleibt Yung Hurn auch auf „1220“ treu. Viel hat er immer noch nicht zu erzählen, alles wird erneut auf ein Minimum reduziert. Das kann stellenweise und beim ersten Hören durchaus unterhaltsam sein, etwa auf den „Nein“-Nachfolgern „Ok Cool“ oder „MHM“. Auch das kontradiktorische „Hellwach“ über einem verträumten Sandmännchen-Beat gefällt in der typisch verballerten Inszenierung. Bei den autotunegeschwängerten Liebestracks mit 80s-Flavor und NDW-Einschlag ist aber die Repetition immer gleicher Muster der Todfeind, nimmt Yung Hurn nur diesen einen funktionierenden „Love Hotel Band“-Zugang und spult sein Programm auf großen Teilen des Albums ohne Variation ab. Eine musikalische Endlosschleife, die mit der Zeit nur noch langweilt und auf „1220“ schon fast zur Gänze ausgereizt wird. Wobei sich das nach dem Hören des Albums als generelles Fazit zur Stilistik sagen lässt.
„1220“ ist nämlich ein ungemein kurzlebiges Album mit großteils Inhalten, die sich mit wenigen Ausnahmen in Windeseile sofort wieder aus dem Gedächtnis entfernen. Die „Nein“-Kopien verfügen über mehr Halbwertszeit, aber alles unter dem Niveau der vergangenen Jahre. „1220“ (die Postleitzahl von Donaustadt wird regelmäßig in den Songs wie ein Audio-Tag platziert) fehlt es an Raffinesse, an Überraschungseffekten, insbesondere im Songwriting. Auch JONNY5, der quasi als Yung-Hurn-Klon auf den Tracks „Du lügst“ und „Lachs Anthem“ in Erscheinung tritt, kann hier nichts retten.
Humorvoll-skurrile Lines könnten dies schon eher, aber bis auf die „Supreme“-Line auf „Ok Cool“ („Es ist Donnerstag und ich kauf mir nix“) und der Karl-Heinz-Grasser-Line auf „Du Lügst“ („Meine Haare so schön wie die von Karl-Heinz Grasser (King)/Ich will so viel Geld wie Karl-Heinz Grasser (jaa)“) bleibt nichts hängen, alles verflüchtigt sich wieder innerhalb weniger Minuten. Natürlich wahnsinnig dem Zeitgeist entsprechend, wo die durchschnittliche Rotationszeit eines Albums nicht ganz eine Woche beträgt. Aber ob das musikalisch wertvoll ist, sei dahingestellt. Die Verwendung einer Speicherkarte als Cover ist deswegen eigentlich schon witzig. Ein selbstzerstörendes Tonband, wie bei „Mission: Impossible“, hätte besser gepasst.
Fazit: „1220“ ist zwar Yung Hurns Debütalbum, viel geändert hat sich bei seinem musikalischen Zugang aber nicht. Die Produktion, über die er seine hingefetzten Gedankensplitter malt, ist sauberer geworden, die Inhalte sind gleich geblieben, entbehren aber zu oft irgendeines Spannungsmomentes. Yung Hurn hat das ganze Album über eigentlich nichts zu sagen. Wie lange dieser Zugang noch funktioniert, steht stärker denn je infrage. „1220“ wirkt deswegen auch oft wie der letzte Hauch einer musikalischen Idee, die auf ihr kreatives Ende zusteuert. Was das für Yung Hurn bedeutet, kann sich jeder selbst ausmalen. Und wenn Yung Hurn wirklich das musikalische Äquivalent zu Snapchat ist, heißt das nichts Gutes.
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