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Austro Round-up (KW 12/20)

Austro Round-up (KW 12/20)

Auch abseits der Coronakrise und unserer Spezial-Ausgabe „Sound of the Quarantine“ gibt es derzeit jede Menge zu berichten. Während Kinetical & P.tah kürzlich mit „Temperament“ den ersten Vorboten aufs kommende Album veröffentlicht haben und die Familienbande mit „Zeit für mich“ aus dem 2018 erschienenen Album „Ihr seht fabelhaft aus“ visualisiert hat, haben unter anderem Polifame mit „Richtungsweisendes“ oder die AMS Gang mit „Grenadiermarsch“ neue Tracks veröffentlicht. Was vergangene Woche sonst so passiert ist, haben wir in gewohnter Manier zusammengefasst diesmal mit etwas Verspätung.

Releases

Sonde44 – Kontakt

Mit Mundart-Battlerap auf roughen Beats und Cuts hat Da Kessl bereits einige Duftmarken hinterlassen. Die Crew aus Landeck im Tiroler Oberland brachte 2016 das Mixtape „Fischkoch“, 2017 die LP „Größenwahn“ heraus. Nun geht es in reduzierter Besetzung weiter – Rapper Klaus Run und Produzent Pirmin machen als Duo namens Sonde44 weiter. Mit dem Album „Kontakt“ wechseln sie teils in galaktische Sphären, ohne auf angriffslustige Texte zu verzichten. Die Tracks fallen durchwegs unterhaltsam aus, besonders stechen etwa „Killa Mr Alls“ mit Gastpart von Yo!Zepp, „Zviele“ mit Mo Cess oder der Abschlusstrack „Sun“ heraus. Der Sound-Unterbau fällt – wie bei Releases von Duzz Down San gewohnt – überzeugend aus. Düsterer, experimenteller Sound mit tiefen Bässen trifft auf raue 90-BPM-Kopfnicker, teils unterstützt durch Cuts und Scratches. Am Ende steht eines der stärksten Rap-Releases des laufenden Jahres – Sonde44 verdient sich definitiv auch außerhalb der Tiroler Quarantäne Aufmerksamkeit.

Bella Diablo – Smokeahontas

Bereits Anfang März ist die „Smokeahontas“-EP von Bella Diablo erschienen. Gewohnt schnell gerappt, vereint die Linzer Rapperin klassische Representer mit Underdog-Mentalität, das Brechen gesellschaftlicher Muster und die Verarbeitung von Liebesgeschichten. Dabei ergänzen kurze Ausflüge ins Vietnamesische, wo ihre Wurzeln liegen. Die sieben Beats von C.O.C.-Labelboss Def Ill gehen vermehrt in die elektronische Richtung, zudem ergänzt ein Fireclath-Dancehall-Remix des ursprünglich 2017 erschienenen Tracks „Endlich Lebendig“. Beachtlich ist, dass sich Bella Diablo von einer Atemwegserkrankung nicht kleinkriegen lässt, wie sie auf „Baddest Gyal“ eher nebenbei thematisiert: „Bella Diablo Baddest Gyal / Ich bin des Teufels Talisman / Am Rappen obwohl ich Asthma hab / Im früheren Leben Rastaman“. Sperriger fällt der Titel zum Track „DPLDLLZ“ ausgeschrieben „Die Pure Logik der LowLife Zelebrierung“ aus, zu dem kürzlich ein Video erschienen ist.

Freshmaker – No Limit

Produzentenalben sind kein leichtes Unterfangen. Wenn über 20 Rapper mit je ein, zwei Parts aufeinandertreffen, ist ein kohärentes Konzept schwer umzusetzen und hohes Durchskip-Potenzial kaum abzuwenden. Für Freshmaker sind sie dennoch das bevorzugte Format – so folgte auf „Checkpoint“ und „Fusion“ kürzlich mit „No Limit“ ein drittes Werk. Längst tief im Deutschrap-Game verwurzelt, verwundert es nicht, dass Featuregäste wie Kollegah, Silla, Bizzy Montana oder Cr7z aufscheinen, mit denen der Wiener schon zuvor mehr oder weniger intensiv zusammengearbeitet hat. Daneben ergänzt der in der Slowakei erfolgreiche Rapper Radikal Chef. Aus Österreich sind, wie schon bei „Fusion“, Chakuza und Dame vertreten. Mit 13 Tracks – und tendenziell weniger Rappern pro Beat – ist es weniger überladen als die Vorgänger. Auch dank der Vorgabe „Straight Rap“ wirken die Parts auf seinen eingängigen Signature-Sounds insgesamt hungriger und motivierter. Der ein oder andere weniger etablierte Rapper aus Österreich wäre vielleicht noch eine feine Ergänzung gewesen. Doch wie uns Freshmaker anlässlich „Fusion“ im Interview erzählte, sei das nicht unbedingt fehlenden Anfragen geschuldet: „Man bietet Rappern die Möglichkeit, aber sie haben entweder abgesagt oder zugesagt und dann nicht abgeliefert“, fand er vor rund einem Jahr klare Worte.

Videos & Tracks

Crack Ignaz – Vöslau

Crack Ignaz drippt durch Ottakring wie das Vöslauer beim G’spritzten im Heurigenglas. Zeigte er sich auf seinem ersten musikalischen Vorboten aufs neue Album im Herzschmerz-Modus, schlägt er diesmal die Representer-Richtung ein. Sein Kreis bleibt klein, wer hier rein will, kommt allerhöchstens ins Fadenkreuz, heißt es auf dem Track. Der Sound zeigt sich dabei angenehm entspannt, wenn doch mit einer gewissen Härte. Glücklicherweise ist nach dem sprachlich glatten „Herzschmerzgang“ der Dialekt zurückgekehrt so kommt Crack Ignaz zweifellos besser zur Geltung.

Mr. Käfer – Dawn At The Souk

Mittlerweile nach Köln gezogen und bei Melting Pot Music aktiv, veröffentlicht Mr. Käfer demnächst einen Nachfolger seiner 2019 erschienenen EP „Lost Reflections“. „Orientation“ soll am 8. Mai erscheinen. Mit dem ersten Vorboten blickt der Salzburger Produzent auf seine zum Teil in Nordafrika liegenden Wurzeln zurück. Benannt nach den dortigen Märkten und ausgestaltet mit Saxofon, Gitarre und Bass, pendelt sich „Dawn At The Souk“ bei rund 110 BPM ein. Das Instrumental erzeugt einen angenehmen, lebhaften Vibe und sorgt für eine gelungene Einstimmung.

Mavi Phoenix – 12 Inches

Some Things gotta be said / ‚fore I die, before it’s too late„. Mavi Phoenix schießt einen starken Track voller Selbstvertrauen in die Welt, performt in aller Ruhe bei der morgendlichen Routine vor dem Badezimmerspiegel. Darin beschreibt Mavi das Fremdbild der Außenwelt auf seine Person, porträtiert Facetten der Selbstwahrnehmung und thematisiert das Verhältnis zur Familie. Ausgangspunkt ist das Release zu „Bullet in my Heart“ der Song, mit dem Mavi vergangenen Juli den Prozess seines Outings als Transgender in die Öffentlichkeit rückte. Neben einigen Andeutungen zum männlichen* Körper, setzt Mavi Phoenix mit „12 inches“ ein klares Statement gegen alle negativen Meinungen, mit denen er sich konfrontiert sieht: „I’m sweet, I’m fly, I’m an average guy„. All das macht Mavi aber nicht, ohne sich zuvor im Video noch gründlich die Hände zu wachen, richtig so! Die laufende Tour musste Mavi zwar vorzeitig abbrechen, das Album „Boys Toys“ soll wie geplant am 3. April erscheinen.

Jonny5 – €€€

Bei Sportrecords-Member Jonny5 dreht sich wieder einmal alles um die Scheine. So rappt er auf „€€€“ etwa: „Hab‘ Schuhe, die kosten verdammt viel / Euros auf der Bank, manchmal aber auch in meinem Schrank / Ich nehm einen Zug und werd waach / Du nimmst einen Zug und du fährst“. Produziert von Andrewetendo, kann Jonny5 auf einen gewohnt atmosphrischen Trap-Unterbau bauen, wenn er über gerauchte Joints, verdiente Marie und seine Connection zum Keplerplatz sinniert.

K.S.Kopfsache, Mahagoni & Eamir Wely – Plata o Plomo

„Plata o Plomo“, zu DeutschSilber oder Blei“. Eine klare Ansage, die der Drogenboss Pablo Escobar ab den 1970er-Jahren etablierte. Mittlerweile kommt sie neben der Netflix-Serie „Narcos“ auch regelmäßig in deutschsprachigen Rap-Tracks zur Geltung etwa bei Manuellsen. Nicht nur Blei kommt aus der Pistole geschossen, sondern auch die Lines des Linzers und seiner beiden Featurepartner Mahagoni und Eamir Wely, die bereits auf anderen Songs gemeinsame Sache mit K.S. gemacht haben. Auf einem Oldschool-Boombap-Beat, der zur Abwechslung nicht von Def Ill produziert wurde, rappen die drei angriffslustige Parts. K.S. betont – passend zum Titel – dass er Latino ist. Auch die Erwähnung der allgegenwärtigen Quarantäne kommt nicht zu kurz und das Rap-Trio gibt uns am Ende noch einen gut gemeinten Tipp mit auf den Weg: „Immer schön Hände waschen ihr Wix*r!“

AUTsiderz – F#ck You All

„Go and fuck you“, wünschen sich die AUTsiderz auf ihrem neuen Song. Wie gewohnt ordnet sich der Track zwischen Pop und HipHop, zwischen Deutsch und Englisch ein. „F#ck you all“ ist die dritte Singleauskopplung ihres kommenden Albums „No Pressure“. Auch wenn sich die AUTsiderz diesmal dezent hasserfüllt zeigen, plädieren sie am Ende des Videos dafür, in Zeiten wie diesen zusammenzuhalten und aufeinander Acht zu geben. #FuckCorona heißt es dort folglich.

See Also

Ixan & Baron – Verbrecher

Ixan & Baron liefern mit dem neuen Track „Verbrecher“ geballten Gangster-Rap aus Wiens Straßen. Auf einem dramatischen Beat, der von Veysigz produziert und voon PMC Eastblok gemischt und gemastert ist, rappen die Gesetzlosen über Drogen und Kriminalität. Das düstere Video ist am Hafen Wien entstanden, der Umschlagplatz spiegelt den Track passend wider. „Das ist Mucke für Verbrecher“, konstatieren Ixan & Baron, die zugleich sich selbst als die wahren Verbrecher bezeichnen.

https://www.youtube.com/watch?v=KU96LHQEZjI

Nike101 – Kafa Bye

Schwarze Luft vor dem Fenster, weißer Stoff in dem Sack / Fühlt sich gut an in dem Benza, heute Nacht mach ich Krach.“ Erst kürzlich mit dem SXTN-Verschnitt „Platz ein“ erstmals in Erscheinung getreten, möchte Nike101 mit „Kafa Bye“ die Sehnsucht nach einer Nacht, zugedröhnt von rücksichtslosen Entscheidungen und Wiener Party-Klischees, noch mehr aufglühen lassen, als sie ohnehin schon unter der Haut brennt. Wie sich beim von Kilian Gamlich eingängig produzierten Track offenbart, hat die junge Wienerin raptechnisch noch viel Luft nach oben. Nichtsdestotrotz birgt „Kafa Bye“ das Potenzial, neben Tracks von Ronnie Flex und Konsorten eine „Guilty Pleasure“-Nummer in der Vorglüh-Playlist zu werden, die uns möglicherweise noch länger begleiten wird.

Text: Simon Nowak, Chiara Sergi, Francesca Herr & Mira Schneidereit