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Austro Round-up // September 2021

Austro Round-up // September 2021

Seit dem vergangenen Austro Round-up hat sich releasetechnisch einiges getan. Wir haben die wichtigsten Alben und EPs zusammengefasst. Ein Interview mit Eli Preiss über ihr Schaffen und die kürzlich erschienene „Wie ich bleib“-EP erscheint demnächst gesondert. Wie gewohnt haben wir auch die „Austro Round-up“-Playlist aktualisiert. Da uns momentan die Ressourcen fehlen, auch regelmäßig adäquat auf Videosingles einzugehen, möchten wir an dieser Stelle an die Kollegen von WNMR verweisen, die in ihrer aktuellen Ausgabe neben einigen besprochenen Artists/Releases und einem Interview mit Appletree über die Business-Komponente in der Musik wie gewohnt eine umfassende September-Releaseliste verlinkt haben.

Text: Simon Nowak & Michi Koffler

Texta – Mehr oder weniger

Texta auflösen oder in Würde weitermachen? Diese Frage haben sich die drei verbliebenen Mitglieder Flip, Laima und DJ Dan nach dem Tod von Huckey gestellt. Was zwischenzeitlich stark nach HipHop-Pense ausgeschaut hat, ist nun doch noch kein Thema, zumal sie neue Energie schöpfen konnten. Diese mündete in ihrem mittlerweile achten Studioalbum „Mehr oder Weniger“, dem Nachfolger des 2016 erschienenen „Nichts dagegen, aber“. Das Ableben ihres Kollegen und die Auswirkungen davon zeichnet das Trio mit der Single „Ka Hoibe Soch“ nach – inklusive einem von DJ Dan zusammengescratchten Part aus Huckey-Lines. Darüber hinaus ist er auf „Ein besserer Ort“ mit einem „richtigen“ Part zu hören. Dabei handelt es sich um einen Lost-Track von 2016, bei dem die Ursprungsformation ein letztes Mal zusammenkommt, zumal auch Skero in der Hook zu hören ist. Die restlichen Tracks sind neu und wie gewohnt von Flip produziert. „Beatmäßig hab ich versucht sowohl den 90ies Sound als auch den ‚modernen‘ Sound zu vermengen, von sehr samplelastigen Tracks hin zu rein instrumentalen Beats“, schrieb er kürzlich dazu.

Inhaltlich fangen die 13 Tracks den Status der drei zwischen 2019 und 2021 ein, vom Persönlichen zum Politischen. Laima und Flip pendeln zwischen einem philosophischen Blick auf die Welt über die Texta-Tradition der aus verschiedenen Blickwinkeln gerappten Parts bis hin zu den Mühen des Vaterseins und der Liebe zur jeweiligen Frau. Teils ernster, teils mit auflockerndem Schmäh und manchmal auch mit nebenbei eingebauten rezitierten Rap-Lines anderer österreichischer Rapper und Crews. Schönes Album, mit dem das Trio gut für die anstehenden Live-Shows aufgestellt ist. Mal schauen, was sich noch bis zum 30-Jahre-Jubiläum von Texta tut. Das wäre dann 2023, auch gar nicht mehr so weit weg.

Johnny Messer – Vorstadtcasanova

Eine Legende aus der Innsbrucker Kneipen-Meile, ein Urgestein der Hochhaussiedlung” – so wird Johnny Messer im Intro seines neuen Albums “Vorstadtcasanova” anmoderiert. “Der auf dieser Langspielplatte beklatschte Künstler, bringt unter dem Synonym Johnny Messer seine Gefühle zum Ausdruck.” Was mit Gefühlen gemeint ist, wissen auch alle die Johnny zum ersten Mal hören spätestens nach dem ersten Track. Wie gewohnt haut der Innsbrucker gleich von Beginn an messerscharfe Lines raus. Lustige, ironische Zeilen treffen auf politisch unkorrekte Beleidigungen und selten aber doch reflektierende Gedankengänge. Stammproduzent Hoes’n’pza sorgt für energetische, aufgeladene Beats, die gleichzeitig voller kleiner Details und Einzelheiten stecken. Nur auf “Babygirl Pt. II” wechselt der aggressive Sound über zu einem funky Schlafzimmer-Beat.

Als Gesamtwerk ist es vor allem eine Hommage an den Alkoholismus und das Nachtleben in Innsbruck. “Ich bin kein Künstler, ich bin ein Alki mit ‘nem Mic.” heißt es auf “Magnum für Arme”. Dabei braucht ihm niemand erklären, was Innsbruck ist. Vor allem nicht die Studenten – oder die mit Sternchen. Oder die “Hipster Fotzen”, die drei Jahre zum Studieren hier sind und in Techno-Clubs gehen. “Politisch korrekter HipHop is überhaupt koana sei HipHop”, erklärt er bekanntlich auf “Halt mi zrugg” – was Johnny Messer gewöhnlich macht ist eben passionierter Kneipen-Rap in aller Eindringlichkeit. Ein sehr gelungenes und unterhaltsames Album, nicht nur als Soundtrack für flüssige Nächte.

Zion Flex – Loyalty

Aufgewachsen in Bristol und mittlerweile seit einigen Jahren in Wien lebend, tritt Zion Flex mit visueller Kunst und Musik in Erscheinung. Als Singer-Songwriterin und MC bewegt sie sich zwischen elektronischer Musik mit melodischem Gesang, Spoken Word und Rap. Neben einigen Live-Auftritten, zuletzt etwa zum „Fridays For Future“-Klimastreik, arbeitete sie im vergangenen Jahr mit Def Ill an „Loyalty“ – ihrem ersten größeren Release seit der vor zehn Jahren erschienenen „Hypervigilance“-EP. Unterstützt von der Vernetzungsplattform kültüř gemma!, die migrantische Künstler*innen in Wien fördert, war Zion Flex zudem kürzlich in der ORF-Sendung „Heimat Fremde Heimat“ zu Gast.

„I do my music and my art for the outsiders, for the ones who have been rejected, for the ones who live in pain with chronic illnesses, different sexuality, different gender or different skincolour“, erzählte Zion Flex in der Sendung. Auch wenn sie Wien auf Kunstebene als avantgardistische, vielseitige und offene Stadt schätzen gelernt hat, gibt es auf „Loyalty“ einige Emotionen und Erfahrungen aus der Wahlheimat zu verarbeiten. „The project is about my daily experiences in this country. My daily struggles with others and the struggle to manifest myself as an artist. It’s about my powerful conversation, my life, my body, existence in this world, my pain“. Auf elektronischem Sound von Def Ill sorgt Zion Flex für klare Botschaften. Dem titelgebenden Thema Loyalität haben sich die beiden auch mit einem Single-Track gewidmet. Ein Projekt, das sich eine größere Aufmerksamkeit verdient hätte.

Big Bang & Tschernophil – Keine Zeit

Gut ein Jahr nach Johnny Aitsch ist es bei Big Bang so weit. Auch dem letzten Rapper aus der ruhenden Wienzeile-Hüttenzauberliebhaberfraktion muss es mittlerweile kräftig unter den Fingern gejuckt haben. Keine Zeit hin oder her, ans Mic steppen geht immer, auch wenn sich das nach zehn Jahren Abstinenz fast wie eine neue Erfahrung anfühlt. Und Big Bang rappt auch so, als wäre er gerade aus einem Winterschlaf erwacht und hätte sich mit Stift, Block, Beats und Mic im Gepäck auf Futtersuche Richtung Booth begeben. Oder anders formuliert: Er ist immer noch der Alte, der tiafe Hau-drauf-Style mancher Lines erinnert an die alten Wienzeile-Alben. Diesmal eben als Soloprogramm. Einmal Gestalt, immer Gestalt.

Der teils raue Boombap-Sound von Tschernophil trifft immer wieder auf Sentimentalität, tiafe und selbstreflexive Lines. Gestaltenlifestyle mit Mitte 30 ist eben was anderes als Gestaltenlifestyle mit Anfang 20. Die Spuren lassen sich nicht verwischen, die verlorene Zeit sich nicht mehr zurückdrehen – wie er etwa auf „Hinter der Fassade“ aufarbeitet. Ein Track über eine letztlich gekratzte Kurve, der neben dem Folgetrack „Death is not the End“ über den Verlust der Mutter zu einem der stärksten der EP zählt, eine neue Seite von Big Bang offenbart. Schön dass er wieder da ist – und das offenbar bleiben möchte.

Embuna – 5:20

Mit dem Sampler „5:20“ tritt das Salzburger Label Embuna nach einigen Videosingles erstmals im größeren Rahmen in Erscheinung. Vor zwei Jahren vom Studiobetreiber des Late Hour Studios und dessen Bruder gegründet, ist aus einer ursprünglich geplanten Plattform für junge Rapper*innen ein Label mit Qualitätsanspruch geworden. Das verdeutlicht der Roster, bestehend aus Mace, Drexor, Dazart, den über eine Studiosession dazu gestoßenen jungen Rappern Lira und Moned sowie dem Stammproduzenten Harry Butcha. „Wir möchten regelmäßig veranstalten und releasen. Der Sampler ist ein erster Vorbote, der einen Überblick zu unseren Skills und technischen Raffinessen verschafft“, sagte Drexor kürzlich auf FM4 Tribe Vibes. Neben dem Stammpersonal sind auf dem Sampler Hunney Pimp, Edwin und Bacardy52 mit Parts vertreten. Inhaltich pendeln die neun Tracks zwischen klassischen Representern und Lovestories, der Sound fällt den Texten entsprechend mal hart, mal eher poppig-clean aus. Für den Abschluss sorgt mit „Streetlights“ ein von Fid Mella produzierter Track mit Silk Mob-Vibes und den wohl persönlichsten Lines auf „5:20“.

Vertreten ist mit „Du liegst richtig“ auch ein Solotrack, der einen Beef zwischen Drexor und Def Ill ausgelöst hat. Drexor teilt mit einzelnen Lines gegen mehrere Rapper aus. Unter anderem gegen den Linzer und die mangelnde Zugänglichkeit seiner Tracks. Mittlerweile hat Def Ill mit dem Diss-Track „Die Verwarnung / Dead Bull“ reagiert. Nicht „nur“ auf die Line aus „Du liegst richtig“, sondern auch auf die mehrmaligen Disses von Drexor gegen Mirac und Insta-Sticheleien gegen das Duzz Down San-Camp – mitproduziert von Mirac im Duo Vorsicht. Wir sind schon mal auf eine mögliche Antwort gespannt. Unabhängig davon wäre der Beef ein Kandidat fürs kürzlich von Embuna ins Leben gerufene Rap-Newsflash-Format Embuna TV, das sich allen voran internationalen, aber auch österreichischen Kurzberichten widmen möchte und neben der YouTube-Sendung auch für Social-Media-Kanäle optimiert ist.

Illpower – Musclefever

2012 erstmals als Crew namentlich erwähnt, haben sich Illpower viel Zeit bis zum Release der ersten offiziellen Tracks gelassen. Erst vor zwei Jahren erschien die Debüt-EP „Doppel L“, im März folgte die Single „Meine Hood“ mit entspanntem 90er-Kopfnicker-Sound. Auch wenn Onkel Ossi, Klangbauer & Q betonen, dass ihre Musik seit jeher ohne Maß und Vorgaben entsteht, klingt „Musclefever“ wie ein bewusster stilistischer Schritt. Statt dem bisher prägenden Boombap kommt ein modernes, waviges Soundbild zur Geltung und das sehr fein produziert, ohne eine funktionierende Formel zu bedienen.

Gehen die Tracks auf der neuen EP oft ums eigene Schaffen und das Untergrund-Selbstverständnis, sorgt der Titeltrack für tiefenentspannte Urlaubs-Vibes. Als einzige Featuregäste sind die Kollegen von Source45 auf der zweiten Videosingle „Undercover“ vertreten. Am Ende runden zwei Freestyle-Tracks wobei der erste ansatzweise an den Rapstil von Galv erinnert , eine gelungene EP ab.

An Exciting Kind Of Average – Songs for the Intoxicated

Vor ein paar Jahren ist An Exciting Kind Of Average von Brasilien nach Wien übersiedelt und somit auf der heimischen Bildfläche erschienen. Nun können wir bereits von seiner zweiten EP berichten, die ganz genau genommen schon Ende Juli erschienen ist. “Songs for the Intoxicated” heißt das Werk und vereint sieben Tracks, die stimmungsmäßig ohnehin weniger nach Spätsommer klingen, sondern viel mehr dem Herbst entgegensteuern. Selbstproduzierte, melancholische und düstere Beats treffen auf nachdenkliche Lines.

Die Texte schrieb er schon 2019, sie handeln von den Erfahrungen des Rappers mit dem Wiener Nachtleben. “Oft waren ich und alle um mich an diesen Abenden ziemlich dicht. Und obwohl wir meistens echt Spaß und gute Zeiten hatten, hatte ich oft das Gefühl, dass viele mich auch inkludiert – oft ihre Ängste und Depressionen sehr stark unterdrückt haben oder verstecken wollten.” erzählt er. Die EP schafft es somit beide Seiten des Nachtlebens einzufangen Euphorie, Rausch und Zwanglosigkeit, wie es beispielsweise auf dem Track “Alice” zu hören ist, auf der anderen Seite stehen Sorgen und Unsicherheiten, von denen besonders im ersten Teil der EP die Rede ist. Spätestens beim letzten, von Sedafoxx geremixten Track, ist von den Sorgen aber keine Spur mehr.

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Bella Diablo – Klittape (Straight Outta Lescoast)

Ein weiteres gänzlich von Def Ill produziertes Werk kommt von Bella Diablo. Ihr „Klittape (Straight aus der Lescoast)“ ist via C.O.C. erschienen. Kürzlich bei unserem Format „The Message Word“ mit einem A-cappella-Part zu hören, hat die Linzer Rapperin Ende September elf neue Tracks veröffentlicht. „Sie ist sweet wie ein Cheesecake, Baby nenn mich B-Pain und ich mach ihr ein Klittape“, rappt Bella Diablo etwa – und deutet damit den Fokus der Tracks an: Die Liebe nimmt die Hauptrolle ein. Und das in diversen Facetten.

Bella Diablo bewegt sich in den Tracks zwischen Player-Gehabe, authentischen Herzschmerz-Emotionen und allem dazwischen. Bei klassisch gerappten Parts und Autotune-getränktem „Rapsang“ wechseln sich Begierde und Melancholie stetig ab, dazu gibt es wavigen Sound. Ohne Features untermauert die Rapperin nach ihren jüngsten Releases „Smokehontas“ und „Bellas Beruhigende Bars“ ihren vielseitigen Zugang – und zeigt eine neue Facette.

Bibiza – Zwei Zöpfe auf dem Kopf

Über die vergangenen Wochen – naja, eigentlich Monate – releaste Bibiza eine Single nach der anderen. Mit “Zwei Zöpfe auf dem Kopf” kommen nun einige der Tracks auf einem Mixtape zusammen. Gleichzeitig liefert er drei neue Songs aus dem Keller. Es ist eine Sammlung an Tracks über das Strawanzen in Wien, “Ich bin auf Mischko, am Block, nicht in der Disco” heißt es auf “Dito”. Und ein Bibiza-Mixtape wäre kein Bibiza-Mixtape, wenn er dabei nicht wiederholt auf 1060 zu sprechen käme – Pilgramgasse, Esterhazygasse, Wientalterrasse und den Kebab holt er sich natürlich bei Side drüben in 1050.

Durchs Tape ziehen sich elektronische und basslastige Sounds, die manchmal entspannter, manchmal energiegeladener daher kommen. Als Featuregäste sind beslik meister, Liebcozy und Ski Aggu zu hören, als Produzent war wie gewohnt prodbypengg am Start. Die passende Pippi-Langstrumpf-Referenz kommt dann auf “Widewidewitt Skit” – ein ironischer Merchstand-Werbetrack. Abgesehen davon geht es in den Songs hauptsächlich ums Kiffen und ums High-sein wie auf “Wolke 5”, nicht auf Wolke 7. Der Drogenkonsum wird auf den meisten Tracks generell ganz easy genommen und erst auf “So bei mir” ein bisschen reflektiert. Am Ende des Tapes also ein schönes Aufwachen zu einem entspannten House-Beat.

Kinetical, P.tah & Vorsicht – Quality on Ice

Ihren qualitativen Output konservieren statt auf Eis legen möchten Kinetical & P.tah, die ein Jahr nach ihrem zweiten gemeinsamen Album „Lift“ weiterhin intensiv mit Mirac sowie mit Sebasi808 in deren Produzentenduo Vorsicht zusammenarbeiten. Die neue EP ist in diesem fixen Gespann entstanden.

Auf den sieben Tracks – darunter die bekannten Singleauskopplungen „Hang Loose“, „Spaceship“ und dem DDS-Blockparty-Absage-Ragetrack „Wettergott“ – bleibt der Sound gewohnt grimig und trappig, garniert mit Representer-lastigem Rap. Als Besonderheit erweist sich „Nice Try“, wo Kinetical – sei es erstmals oder doch „nur“ seit langer Zeit wieder – einen Part im oberösterreichischen Dialekt ins Mic „eineplaazt“. Klingt naturgemäß ungewohnt, aber hat durchaus Wiederholungspotenzial.

Yung Braces – Wien City

Yung Braces – ein Wiener Rapper, den man vielleicht noch nicht allzu gut kennt. 2020 releaste er seine ersten Singles, nun hat er sein erstes Mixtape am Start. Wie schon der Name erkennen lässt, ist “Wien City” der Heimatstadt gewidmet. “Gib mir das Mic, ich bin der Stadt was schuldig, muss mal aufräumen”, heißt es im Intro. Abgesehn davon rappt er auf dem Tape über das Schreiben und Rappen und darüber, dabei ehrlich zu bleiben. Gegen die, die das nicht tun, teilt er hingegen aus. Auch gegen die, auf die kein Verlass ist und auf die Schlechten unter den Freunden. Soundtechnisch sind vor allem oldschool Boombap-Beats, dazwischen aber auch modernere Beats zu hören. Abgesehen von den Gesangsparts, an denen hie und da noch etwas gefeilt werden kann, ist es eine gelungenes Tape über das Leben eines Rappers in Wien, der lieber keine “Nuttensongs” schreiben will.