Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Durch grauweißen Rauch kämpft sich Zugezogen Maskulin als Grauzonenband durch ostdeutsche Plattenbauten und Moorteiche. Immer einen Seitenhieb auf Hipster parat, Weltpolitik im Visier und eine Dosis Methamphetamin in der Blutbahn. Grim104 und Testo formen mit „Alles brennt“ eine Collage, die die Sehnsüchte des deutschsprachigen Rap perfekt abdeckt. Es sind nicht die raffiniertesten Reime oder neuartigsten Beats. Eher die abgewandelten Zitate von Sigmund Freud, Karl Marx, Die Toten Hosen, Che Guevara oder K.I.Z., die die Mundwinkel automatisch in die Höhe schnellen lassen.
Die zwei Rapper haben sich bei Praktika in der Rap.de-Redaktion kennen gelernt, Staiger war ihr Chef. Und der Chef ist Fan geworden. Genauso wie Thees Uhlmann und Kraftklub, für die Zugezogen Maskulin als Support Act bei Konzerten gespielt haben. Da waren ZM bereits auf dem Hamburger Label Buback gesignt, neben Musikern wie Jan Delay oder Deichkind, geführt vom bildenden Künstler Daniel Richter.
Nach dem Debütalbum „Kauft nicht bei Zugezogenen!“ vor vier Jahren schaffen Grim104 und sein Compañero Testo mit „Alles Brennt“ nun die flächendeckende Begeisterung. Die HipHop-Medien, das deutschsprachige Feuilleton, ja sogar die GALA hat ein Interview mit den beiden veröffentlicht. Und das obwohl Zugezogen Maskulin sich vom derzeit kommerziell erfolgreichen Rap distanzieren – keine Selbstverliebtheit wie bei Kollegah, keine neue Wortkreationen eines Haftbefehl und auch kein Versuch, sich neu zu erfinden. Zugezogen Maskulin bleibt Zugezogen Maskulin. Trotzdem zeichnen sich immer wiederkehrende Themen auf „Alles brennt“ ab. Hipster-Disharmonie, Drogen-Glorifizierung und das Leben in jugendfeindlichen, ländlichen Regionen beschreiben Grim104 und Testo in mehreren Songs. Verständlich, kommen Moritz Wilken und Hendrik Bolz selbst von dort, wo sich friesische Jugendliche an Tankstellen quer durch die Hitparade hören oder sich im trostlosen Plattenbau in Stralsund mit Engelstrompeten betäuben.
Die größte Stärke des Albums ist allerdings die teils unterschwellige, dann wieder offensichtliche Kritik an Staat, System und Flüchtlingspolitik. „Ich bin politischer Künstler, aber kein rappender Politiker“, fasst es Grim104 in einem Interview passend zusammen. Und das ist auch gut so. Denn so kann er, ohne an Wahlkämpfe denken zu müssen, die Misere des geräumten Flüchtlingscamps am Oranienplatz, den Rechtsruck in Europa und Rassismus in Deutschland monieren. „Wenn nicht gerade ein Turnier ist, bist du nicht zu Gast bei Freunden“, spricht Grim104 die fehlende Akzeptanz der Deutschen abseits einer Fußball-WM an. „Du hast viele Träume? Wir haben viele Zäune!“, unterstreicht er das Problem in dem Track „Oranienplatz“. Mit spanischem Akzent wird dann in „Monte Cruz“ weiter angeprangert. Mit südländischem Rhythmus wird die Geschichte von Mustafa Mustermann erzählt. Das Deutschsein liegt diesem bereits so sehr im Blut, dass er sonntags immer Tatort schaut und seinen Zorn auf die spanischen Zuwanderer richtet. „Spanier sind faul, asoziales Pack, es ist 2050 und Deutschland schafft sich ab.“ Gar nicht so ein abwegiges Zukunftsszenario von Zugezogen Maskulin, punktet die FPÖ mit ihren rechtsextremistischen Kampagnen seit Jahren schon bei Wählern mit Migrationshintergrund.
Einen Lichtblick in diesem Strudel aus Suchtmittel, Tristesse und Fremdenhass stellt die letzte Nummer „Schiffbruch“ mit einem hoffnungsvollen Beat dar. Das erste Mal lassen die beiden Rapper Gefühle zu, es geht um die Angst vorm Mittelmaß und die Unvollkommenheit einer exzessiven Stadt wie Berlin. „Bitte sag mir, was ein Kreuzberg am Meer bringt, wenn man darin ertrinkt“, fragt sich Testo und spricht damit eine Nummer von Marteria an. Es geht ums Heimfahren zu den Eltern, um den Moment, wenn man sich schweigend am Tisch gegenübersitzt und die eigenen Zweifel zu verbergen versucht. „Porno-Gifs, Konfetti-Regen und bedingungslose Liebe, alles verschwindet zwischen miesen Perspektiven und steigender Miete“, gibt Grim104 die Stimmung in der Wahlheimat Berlin wieder.
Den Dubstep-lastigen Unterbau konstruierte großteils der Münsterländische Produzent Silkersoft. Noch vor „Alles brennt“ konnte er den kanadischen DJ und Produzenten Ryan Hemsworth mit seinem Track „Wasserlevel“ überzeugen, Hemsworth hat ihn in seinem „Cool DJ Mix“ eingebaut. Weitere Produzenten wie Dieser Morten, NVIE Motho oder Nobodys Face verleihen dem Album die Einflüsse, die es neben Saxophon-Einspielungen, Kirchenorgel und harten Beats noch benötigt. Und als halber Holländer versteht Grim104 was davon: „Wenn ich auf Familienfesten in den Niederlanden bin, singen wir Gabber Piets „Hakke en Zage“ mit Tränen in den Augen, der Hand auf dem Herzen, die Frikandel Speciaal im Mund, während meine Oma Jumpstyle tanzt.“ Ein Zitat, das all das umfasst, wofür Zugezogen Maskulin stehen: Spaß, Ironie und Gesellschaftskritik.
Text: Julia Gschmeidler
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.