"The hardest thing to do is something that is close…
Bekanntermaßen wird im Herbst nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland gewählt. Der nördliche Nachbar ist sogar noch um einige Wochen früher dran und ruft schon am 24. September zu den Urnen. So richtig Spannung will diesmal aber nicht aufkommen, zu klar scheint die Ausgangslage. Angela Merkel wird allerhöchstwahrscheinlich Kanzlerin bleiben. Nur wer sich nach der Wahl an die Seite der CDU/CSU als Koalitionspartner stellen wird, darüber darf wild spekuliert werden. Ein Happy-End für den SPD-Schulz-Zug scheint hingegen ausgeschlossen, die Hoffnungen im Willy-Brandt-Haus auf die Stimmen unentschlossener Wähler wirken zweckoptimistisch, Rot-Rot-Grün sowieso utopisch. Das Gefühl eines nie in die Gänge gekommenen Wahlkampfes verstärkte sich noch durch das zahme TV-Duell zwischen Merkel und Schulz. Dass Christian „CL“ Lindners Instagram-Account, Peter Altmaiers Tweets („Soeben gelandet. Airberlin war gecancelt. Habe. Off Bär nicht Jetzt schnellstmöglich zu #fedidwgugl CDU Programmhaus!“) und Jens Spahns Hipster-Rage zu den spannendsten innenpolitischen Ereignissen in den vergangenen Wochen zählen, sagt eigentlich schon alles aus. Glückliches Germany, es geht schließlich auch ganz anders.
Neuland soll’s richten
Größter Störfaktor der ganzen Harmonie ist – neben dem sehr realistischen Einzug der rechtspopulistischen AfD in den Bundestag – aber die Befürchtung, viele würden ihren Wahlsonntag mit allem Möglichen, aber nicht mit Wählen verbringen. Immerhin stieg der Anteil der prognostizierten Nichtwähler im jüngsten Stern-RTL-Wahltrend auf 26% an, der höchste Wert seit Januar. Vor allem um die Jungwähler macht man sich Sorgen, Politikverdrossenheit ist gerade in diesem Segment keine Randerscheinung. Vielfältig daher die Versuche, junge Leute für Politik zu motivieren. YouTube avancierte hier zur bevorzugten Spielwiese für allerlei neumodischer Konzepte, die ihren Starting-Point mit dem berühmt-berüchtigten Merkel-LeFLoid-Interview haben. Der Kanal Hyperbole, bekannt durch das klickstarke Format „Disslike“, beteiligt sich ebenfalls beim Ringen um mehr Interesse an Politik. Im Format „Strassenwahl“ interviewt allerdings kein YouTuber einen Politiker, sondern Rapper unterhalten sich einfach mit ihnen. Kurz runtergebrochen: Rapper trifft auf Politiker, Niko Hüls aka Niko Backspin moderiert. „Strassenwahl“ hinterließ, auch dank seiner Simplizität, in den ersten beiden Ausgaben einen positiven Eindruck. Das Zusammentreffen von Der-Terminator-der-mit-dem-Panzer-durch-Wedding-rollt Massiv und Anton Hofreiter vom B90/Grünen war sympathisch, die Auseinandersetzung zwischen Disarstar und FDP-Politikern Katja Suding gar eine Konversation mit einem hohen Grad an inhaltlicher Schärfe – mehr Schärfe als bei Schulz gegen Merkel. Schade nur, dass die Klicks unverdienterweise recht mager ausfielen und das Format mit einer viel zu kurzen Sendezeit von zehn Minuten auskommen musste. Aber für den dritten Teil sollte sich das ändern.
Denn, bei allem Respekt für Disarstar und Massiv: Bushido ist eine andere Hausnummer. Und sein Gegenüber, Beatrix von Storch von der AfD, wohl die deutlich kontroverseste Figur, die Hyperbole für dieses Format aufbieten konnte. Von Storch, abhängig wie wohlwollend man ihr gegenübersteht, vertritt nämlich zumindest ultrakonservative Ansichten. Und ist für manch Skandal und fragwürdigen Tweet (schlag nach bei „Nationalmannschaft“) gut, der einen schon einmal ratlos zurücklasst. Besonders ihre Ansichten zum Islam sorgen immer wieder für Aufregung. „Der Islam ist an sich eine politische Ideologie, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist“, sagte von Storch beispielsweise beim Parteitag der AfD im vergangenen Jahr. Oder „Die größte Bedrohung für Demokratie und Freiheit geht heute vom politischen Islam aus“, äußerte sich die AfD-Vizevorsitzende im gleichen Jahr gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung. Bushido als Moslem, aber auch als Vertreter einer liberalen und toleranten Jugendkultur (zugegeben sehr theoretisch) sollte daher reichlich Material vorfinden, um von Storch genügend Kontra zu geben. Sollte.
Die AfD als Hort gegen Ausländerfeindlichkeit?
Wenigstens in den ersten Minuten des Gesprächs entsteht auch der Eindruck, dass Bushido darum bemüht ist, die vielen Widersprüche in der Ideologie der AfD aufzudecken. Bei der Frage nach dem Deutsch-Sein und dem Umgang mit dem Islam tut sich von Storch sehr schwer, ihre Partei aus der rechten Schmuddelecke wegzubewegen. Gelingen will ihr das nicht, wofür Bushidos Hartnäckigkeit sorgt. Bei der erneuten Pauschalisierung des Islams durch die Politikerin hätte der Rapper, der von Storch in einen seiner Songs bereits namentlich verewigte („Beatrix von Storch, du bist ein Hundesohn wie Dieter Nuhr“ auf „Buttplug“), trotzdem noch stärker nachhaken müssen. Sonst entlarvt sich von Storch glänzend von selbst. Als außerordentlich absurd bleibt dabei ihr Versuch, die AfD als Hort gegen Ausländerfeindlichkeit zu inszenieren, im Gedächtnis. Björn Höcke und Alexander Gauland haben ihre kruden Biertisch-Patriotismus-Äußerungen bestimmt in diesem Kontext gemeint. Alles klar.
Je länger das Gespräch dauert, desto grotesker entwickelt sich aber die ganze Veranstaltung. Das beginnt mit der Auseinandersetzung um die Frage, wer von den beiden nun mehr für die Integration leiste – und beide, fast zeitgleich, „Ich“ rufen. Integrationsleistungen erwartet man von Beatrix von Storch nun wirklich nicht. Bei Bushido als Deutschen auch nicht, aber der hat 2011 einen Bambi dafür bekommen. Logisch, dass Storch nicht ohne Zynismus fragt: „Was ist ihre Leistung für Integration gewesen? Wen haben sie wo reintegiert?“. Das sitzt. Eine überzeugende Antwort weiß Bushido, der stets lieber in die Sonne als seiner Gesprächspartnerin ins Gesicht blickt, nicht. Doch es kommt noch schlimmer. Beim Thema islamistischen Terrorismus tappt Bushido in von Storchs Falle, aus die er nicht mehr herauskommt. Auf die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Islam und Terrorismus hätte sich der Hinweis auf bestimmte radikale Strömungen, die nun einmal ein Problem für die innere Sicherheit darstellen, aber keineswegs die Mehrheit der Moslems repräsentieren, angeboten. Strömungen, die auch ein MC Bogy bei TV Strassensound schon als Problem benannt hat, wenn es um seinen ehemaligen Kumpel Deso Dogg ging. Ein Appell ans Differenzieren, das von AfD-Seite so selten stattfindet. Doch Bushido fabuliert lieber von irgendwelchen christlichen Terroristen, von der ETA oder vom Irland-Konflikt. Die verzweifelte „Die anderen auch!“-Strategie. „Wo ist das passiert? Wann ist das passiert?“, fragt von Storch. Bushido fällt daraufhin nichts mehr ein. Ein einziges Unbehagen.
Dann lieber Instagram-Bilder von Christian Lindner
Wer aber denkt, es geht nicht noch peinlicher, wird danach gleich eines Besseren belehrt. In den Minuten zuvor schon kurz angeschnitten, nun aber im Detail diskutiert: Die Frage nach der Toleranz gegenüber Homosexuellen. Die Absurditäten nehmen minütlich zu. Bushido als Verfechter von LGBTQ-Rechten? Wirklich? So richtig kauft man ihm das nicht ab. Der Fremdscham kommt dann am stärksten zum Ausdruck, als Bushido mit felsenfester Überzeugung behauptet, dass er sich keinen homosexuellen AfD-Wähler oder gar ein homosexuelles AfD-Mitglied vorstellen könne. Gäbe es einfach nicht. Blöd nur, dass AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel homosexuell ist, wie seit ihrer Bestellung im April in quasi jedem Medium zu lesen war. Bushido scheint die vergangenen Monate unter einem Stein gelegen zu haben, anders lässt sich dieser Fauxpas nicht erklären. „Ups“, heißt es dann von von Storch schadenfroh. Und wäre das nicht schon genug, endet die ganze Chose mit einer Ausführung Bushidos, warum Wählen sowieso unnötig ist. Großartig.
Die dritte Ausgabe von „Strassenwahl“ endet also mit der Erkenntnis, dass Bushido Politik eigentlich total egal ist und er rhetorisch weiterhin wenig überzeugen kann, sobald inhaltlich mehr gefordert wird als ein Status-Update hinsichtlich seiner Beziehung zu Fler. Aber das ist man seit Jahren gewohnt. Beatrix von Storch hingegen hat es sogar geschafft, sich in manchen Punkten von Bushido vorführen zu lassen, was wirklich nicht für sie und ihre Partei spricht. Insgesamt also eine halbstündige Veranstaltung, die lediglich als große Ansammlung an Fremdschammomenten in Erinnerung bleiben wird. Für Politik hat dieses Aufeinandertreffen aber bestimmt keinen begeistert. Dann lieber Instagram-Bilder von Christian Lindner.
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