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„Soziale Medien sind manchmal asoziale Medien“ // Chefket Interview

„Soziale Medien sind manchmal asoziale Medien“ // Chefket Interview

Mit seinem kürzlich erschienenen Album „Alles Liebe (Nach dem Ende des Kampfes)“ ging Chefket der Vision nach, etwas mehr Liebe in der sonst oft so negativen Welt zu verbreiten. Der im schwäbischen Heidenheim groß gewordene Rapper setzt dabei seit jeher in seinem musikalischen Schaffen auf Authentizität und inhaltliche Tiefe. Chefket ist aber nicht nur „der glücklichste Rapper der Welt“, der gute Laune verbreiten möchte, sondern ebenso jemand, der als Sohn türkischer Eltern mit zwei kulturellen Identitäten aufgewachsen ist und gerne mal die Integrationspolitik kritisiert. Mittlerweile wohnt Chefket in Berlin, für seine „Alles Liebe“-Tour reist er jedoch aktuell durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Im Interview erzählt er vor seinem Auftritt in der Grellen Forelle, vom Großstadtleben und was es mit einem macht, von Playback-Rappern und warum er vor jenen keinen Respekt hat, aber auch um dem Leitmotiv seines Albums gerecht zu werden von den Dingen, die er liebt.

Foto: Georg Roske

The Message: Du bist gerade auf Tour und hast nun schon einige Gigs gespielt. Merkst du jetzt schon irgendeinen Unterschied, dass auf dieser Tour irgendwas anders ist als bei den Touren in den Jahren zuvor?
Chefket:
Ja, die Tour ist komplett anders. Wir sind mit einem riesigen Bus unterwegs und bei kleinen Locations ist das total witzig, weil wir dort ankommen und es eigentlich gar keinen Parkplatz für unseren großen Bus gibt. Und das Team ist wirklich geil. Die Fans sind auch überwältigt, weil sie in so einem kleinen Laden noch nie so eine geile Show gesehen haben. Das spüre ich auf jeden Fall.

Auf dem Song „Live MCs“ sagst du „Keine Special Effekts nötig, nur Mics und Beats“. Der Song ist von 2013. Gilt das heutzutage immer noch oder legst du mittlerweile viel Wert auf Licht, Bühnenbild, etc.?
Ich finde Flammenwerfer, Konfettikanonen und Schaum ja trotzdem gut. Nur wenn das alles weg wäre, dann könnte man als Live MC immer noch eine geile Show machen. Darum geht es bei dem Song. Wenn noch was dazukommt, ist es natürlich noch besser für den Fan. Aber wenn alles weg wäre, der Künstler dort steht und dann nicht abliefern kann, weil ihm diese Effekte fehlen, würde ich das problematisch finden.

„Wenn es mal technische Probleme gibt, können die Live MCs immer noch die Crowd rocken“

Du sagst selbst, dass du keinen Respekt für Playback-Rapper hast. Viele Fans gehen heutzutage auf Konzerte, weil sie eine Party feiern wollen. Merkst du, dass sich diesbezüglich auch deine Crowd verändert hat?
Zum Glück ist das ja meine Tour mit meinen Fans, die eher drauf stehen, wenn jemand wirklich rappen kann. Alles aus diesem Party- und Rave-Gefühl heraus sehe ich überhaupt nicht im MC-Bereich. Dort geht es darum, der Master of Ceremonies zu sein, der die Leute mit seiner Performance beeindrucken muss. Das ganze Playback-Rapper-Ding hat auch viel mit sozialen Medien beziehungsweise Instagram zu tun. Da geht es nicht primär darum, was der Rapper jetzt genau sagt, wofür er steht und was seine Haltung ist, das rückt eher in den Hintergrund. Auch dadurch, dass sehr viele junge Leute in dieser Szene sind, die vielleicht erst vor Kurzem eingestiegen sind, sind viele von ihnen leider nicht wirklich kritikfähig. Das ist aber alles okay. Nur wie gesagt, wenn es mal technische Probleme gibt, können die Live MCs immer noch die Crowd rocken.

Der Inhalt von einem Song wird heutzutage oft vernachlässigt, Storytelling verliert gefühlt immer mehr an Bedeutung. Verliert Rap dadurch auch folglich an Qualität? Ist Rap noch das Sprachrohr der Gesellschaft?
Ich glaube, es ist genauso wie früher. Bei Aggro Berlin haben alle gesagt, dass positiver Rap nicht mehr erfolgreich sein wird. So etwas passiert immer phasenweise. Im Underground ist aber viel mehr vertreten; dort gibt es immer noch genügend Leute, die auf Storytelling setzen und das auch geil machen. Es wird also immer weitergelebt werden. Irgendwann ist die aktuelle Phase ja auch wieder vorbei und dann wird Storytelling wieder gehört werden wollen. Ich bin jedoch bei meinen jungen Fans oft erstaunt, dass die wirklich auf die Inhalte achten. Dadurch sehe ich, dass man gar nicht pauschal sagen kann, was die Jungen oder die Alten bevorzugen. Alles ist individuelle Geschmackssache und für alles gibt es eine Nische.

Warum zieht es mehr, wenn man über Fußballer oder Mode rappt anstatt so wie du es tust über die Liebe?
Wenn wir uns die Welt mal angucken, mit einem Trump, einem Putin und was sonst noch so alles passiert: Worauf soll man sich denn konzentrieren? Diese Ohnmacht, die man verspürt, dass man da nicht viel ändern kann, führt eher dazu, dass man sich mit sich selbst auseinandersetzt. Und dann kommt man irgendwann zu dem Punkt, an dem man sich mit Liebe befasst, das hat auch viel mit Selbstliebe zu tun. Deswegen war es für mich einfach wichtig, dieses Thema zu behandeln, weil ich gemerkt habe, dass ich selbst überall nur vom Negativen mitbekomme. Ich wollte derjenige sein, der ein bisschen Positives vermittelt. Erst gestern habe ich auf Instagram gesehen, dass eine Hochzeit stattfand und mein Song „Immer“ im Hintergrund lief, während das Brautpaar getanzt hat. So etwas freut mich auf jeden Fall.

Was sind drei Dinge, die du sehr liebst?
Hits, Hits, Hits. Nein, was mir spontan einfällt, was ich liebe, sind auf jeden Fall mal Käsespätzle. Dann Kaffee am Morgen mit Hafermilch. Und selbstgedrehte Zigaretten.

„Du kannst RTL2 gucken oder Arte, das ist deine Entscheidung“

Lieben wir uns in Zeiten von Social Media und den ständigen Vergleichen, denen wir dadurch ausgesetzt sind, zu wenig selbst?
Zwischen Künstlern sehe ich keinen großen Konkurrenzkampf. Aber jeder denkt inzwischen, er müsste glücklich sein oder zumindest glücklich tun, weil Glücklichsein erfolgreich aussieht. Fast keiner würde zugeben, dass es einem wirklich schlecht geht. Wobei in letzter Zeit ist mir dieses Social-Anxiety-Ding aufgefallen. Aber auch da habe ich leider das Gefühl, dass viele absichtlich damit spielen, um Reichweite zu generieren. Soziale Medien sind halt manchmal asoziale Medien. Im Endeffekt ist es bei sozialen Medien aber genau das Gleiche, wie wenn man früher ferngesehen hat: Du kannst RTL2 gucken oder Arte, das ist deine Entscheidung.

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(c) Philip Pesic

Du kommst ursprünglich aus Heidenheim, einem kleinen Dorf. Jetzt lebst du schon länger in Berlin. Was sind die Vor- und Nachteile am Großstadtleben?
Ich muss ehrlich sagen, in meiner Kleinstadt habe ich nie so viele Obdachlose und Junkies auf der Straße gesehen wie in Berlin. Zuerst hat mich das mitgenommen, irgendwann bin ich dann aber abgestumpft. Das hat dazu geführt, dass ich einmal auf den Philippinen war und als mich Leute um Geld gebeten haben, habe ich einfach Nein gesagt, weil ich von Berlin so abgestumpft war. Aber eigentlich waren das wirklich arme Menschen. Ein kleiner Junge war dort, der mich gefragt hat, ob er was von meiner Pizza haben kann. Ich habe ihm ein Stück gegeben, das er dann mit seinen fünf Geschwistern geteilt hat. Dann dachte ich mir nur so: „Fuck. Hier, nimm!“.

„Die Großstadt ist wie eine Menükarte, du kannst dir anschauen, was es hier alles so gibt und dann bestellst du was. Aber du musst erst mal gucken, ob du das überhaupt verdauen kannst“

Einerseits stumpft man schon ab, andererseits bekommt man durch diese Anonymität in der Großstadt aber auch seine Freiheiten. Für alle, die ein alternatives Leben führen möchten, ist es in Berlin wahrscheinlich viel einfacher, weil sie hier Gleichgesinnte finden können. Die findet man in einem bisschen spießigen Heidenheim nicht. Aber nach und nach merkt man auch, wie unangenehm diese Anonymität manchmal sein kann. Nicht nur auf mich bezogen, letztens wäre jemand in seiner Wohnung fast verreckt und es hat keiner gemerkt. Sowas passiert in Kleinstädten nicht, da achtet jeder aufeinander.

Könntest du dir vorstellen, wieder in einem Dorf zu wohnen?
Ich habe auf jeden Fall vor, mal nach Heidenheim zu gehen und mit den Jugendlichen dort zu arbeiten. In Heidenheim bleiben die Leute bei der roten Ampel einfach stehen, auch wenn kein Auto kommt, nur aus dem Grund, weil sie die Zeit dazu haben. Man kann zu Fuß überallhin, hat alles erledigt und danach ist immer noch genug Zeit. Ich glaube, die Lebensqualität steigt dadurch auch, weil man nicht so hektisch lebt. An so einem Ort kann man halt viel bewegen. In Berlin gibt es zwar sehr viele Angebote, dadurch wird es aber auch schnell unübersichtlich. Um für immer dort zu wohnen wäre mir Heidenheim aber zu klein. Außer vielleicht als Bürgermeister.