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Mit harten Bandagen: „THE VANDALIST“ von Noga Erez // Review

Mit harten Bandagen: „THE VANDALIST“ von Noga Erez // Review

Als hätte sie Streichhölzer und Benzinkanister in den Händen: So präsentiert sich Noga Erez (34) auf dem Opener und Titeltrack ihres dritten Studio-Albums „THE VANDALIST“. Der Einstieg mit spannungsvoll anschwellenden Streichern ist der Vorbote eines Albums, auf dem die Israelin mit dem Feuer spielt. Die Finger verbrennt sie sich dabei nicht, auch wenn sie diesmal thematisch durchaus ins Risiko geht: Ein Song wie „PC People“, in dem sie gemeinsam mit ihrem musikalischen- und Lebenspartner Ori Rousso gegen die „Cancel Culture“ wettert, lässt so manche Augenbraue in die Höhe schnellen. Damit wandelt sie auf den Spuren von Kendrick Lamar, der auf „Mr. Morale & The Big Steppers“ ebenfalls Statements ähnlicher Art abgibt.

„Come Back Home“ als Herzstück

Weitere Themen, die Noga Erez auf „THE VANDALIST“ mit bitterem Ernst oder beißender Ironie behandelt, sind etwa die psychische Gesundheit: Dazu zählen die Songs „SAD GENERATION, HAPPY PICTURES“ mit dem Duo Flyana Boss aus Los Angeles und „Smiling Upside Down“ mit Rage-Against-The-Machine-Referenz („F*ck you, I won’t do what you tell me“). Auch mit Identitätsfragen setzt sich Noga Erez auseinander: So konstatiert sie in dem dramatischen „GODMOTHER“, in dem der israelische Popstar Eden Ben Zaken den Refrain singt: „Mommy from the desert, daddy from the snow/And I am everywhere because I got nowhere to go“.

(c) Daniel Shaked

Das Herzstück des Albums ist „Come Back Home“, das nach dem 7. Oktober 2023 eine neue Bedeutung bekommen hat: Zeilen wie „I can’t wait to hear the sound/Of you marching back in town/So won’t you count it down…/Three, two, one“ sollten ursprünglich die Gefühle nach einer Trennung beschreiben, werden heute aber mit den von der Hamas entführten Geiseln assoziiert. Der Track, der auf dem hebräischen Folk-Song „Kama Tov Shebata Habaita“ (1972) von Arik Einstein basiert, ruft Bilder leerer Tische hervor, die unter anderem in Tel Aviv für die Hamas-Geiseln zur Feier des Shabbats gedeckt wurden. „I set the table, waiting for you“, singt Noga Erez fast gespenstisch passend im Outro des Liedes.

Die wandelbare Noga Erez

„Come Back Home“ ist als erster Song des Albums entstanden und ein Überbleibsel des ursprünglichen Konzepts, wollte sich Noga Erez auf dem Album eigentlich den Themen Beziehungen und Liebe widmen. Mit seiner nachdenklich-traurigen Beschaffenheit fällt „Come Back Home“ auch ein wenig aus dem Korsett des Albums, spielen sich die restlichen Songs in anderen Gemütslagen ab. Beispielhaft dafür „DUMB“, das an den gleichnamigen Titel von R.A. The Rugged Man erinnert und auf dem sich Noga Erez nicht zu schade ist, sich einmal selbst durch den Kakao zu ziehen.

R.A. The Rugged Man ist nicht der einzige Rapper, an den Noga Erez, die spielerisch leicht zwischen Gesang und Rap changiert, auf dem Album erinnert:  Auf „NOGASTEIN“ kreiert sie à la Eminem ein böses Alter Ego und rappt wie eine Little Simz, während auf „A+“ der Einfluss von Tyler, The Creator hörbar wird. Auf „PC People“ befindet sich Noga Erez hingegen im Manu-Chao-Modus – und mit ihrer betont gelangweilten Attitüde auf „Police“ ähnelt sie Billie Eilish, wobei sie hier so eigen klingt, dass sich dieser Vergleich bei genauerem Hinhören nicht aufdrängt. Noga Erez ist eine Künstlerin für sich – diese Aufzählung soll nur einen Eindruck von ihrer stilistischen Vielfalt vermitteln.

Prominentes Feature

Auch der Sound von „THE VANDALIST“ ist breit gefächert: Ein verspielter Piano-Loop in Dr.-Dre-Manier auf „NOGASTEIN“, BoomBap auf „A+“, Reggaeton auf dem Sugar-Daddy-Song „AYAYAY“ und Bossa Nova auf „Mind Show“ geben sich auf dem Album die Klinke in die Hand. Doch damit nicht genug: Mit dem argentinischen Rapper Dillom auf Spanisch und Ravid Plotnik auf Hebräisch gibt es auch zwei nicht-englischsprachige Feature Parts zu hören.

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Das prominenteste Feature ist aber zweifellos Robbie Williams, der sie auf „Danny“ unterstützt; Robbie Williams outete sich 2023 bei einem Auftritt in Tel Aviv als großer Fan von Noga Erez, die bei seinem Konzert für den Song „Kids“ die Kylie Minogue mimte. Auf „Danny“ unterstützt Williams sie bei ihrem Rückblick auf vergangene Liebschaften. Doch ob Williams oder Dillom: Alle Gäste tragen dazu bei, dass „THE VANDALIST“ ein rundum gelungenes musikalisches Werk geworden ist.

Fazit

Noga Erez ist mit ihrem dritten Studio-Album „THE VANDALIST“ ein großer Wurf gelungen. Das Album besticht durch messerscharfe Texte, abwechslungsreiche und detailverliebte Beats sowie jede Menge fieser Ohrwürmer. Getragen wird das Ganze von einer wunderbar wandlungsfähigen Noga Erez, der die Rolle des mit harten Bandagen kämpfenden „Vandalen“ perfekt steht. Das Ergebnis ist ein Album, das mit Sicherheit zu den musikalischen Highlights des Jahres zählt.

4,5 von 5 Ananas