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„Jebiga“ versus Winterdepression // Al Pone Interview

„Jebiga“ versus Winterdepression // Al Pone Interview

Mit “Jebiga” hat Al Pone Anfang November eine neue EP veröffentlicht – den Nachfolger der 2022 erschienenen Balkanski-EP. Zumindest knüpft der Grazer Rapper mit bosnischen Wurzeln stilistisch dort an. Zeitgemäße Beats von 4Tact treffen auf Jugo-Referenzen, Lebensgeschichten und eine gesunde Portion Geflexe. Mit uns spricht Al Pone über seine zwei emotionsgeleiteten Musik-Gesichter, die Social-Media-Figur Čoban Čobanski, sein geplantes Debütalbum und Träume am Balkan.

The Message: Was kann die neue EP, was „Balkanski“ nicht kann?
Al Pone
: Gemeine Frage (lacht). Wenn 4Tact und ich die Projekte anhören, merken wir performancetechnisch eine krasse Steigerung. Es ist subjektiv, weil man bei sich selbst immer kritischer ist. Ich bin stimmlich und technisch besser und es wird immer mehr der Sound, den ich machen will. Ich habe mit „Balkanski“ schon ordentlich vorgelegt. Weil mir die EP beim Schreiben so Spaß gemacht hat, wollte ich mit „Jebiga“ nicht sonderlich ausbrechen. Mir ist wie schon bei „Balkanski“ wichtig gewesen, dass die Tracks live ballern, weil Live spielen für mich alles ist.

Du arbeitest derzeit auf ein Album hin, das persönlicher wird. Hat das auch diesen Live-Anspruch? Oder trennst du diese Schienen?
Diese Frage zerbricht mir den Kopf, seitdem ich die ersten Tracks gemacht habe. Aufs Album kommen schon auch Tracks, die live cool kommen könnten. Es ist schwierig, weil ich auf einem offiziellen Release noch nie so persönliche Sachen gemacht habe. Es waren auch die Styles noch nie so verschieden. „Balkanski“ und „Jebiga“ sind styletechnisch weit weg von dem, was aufs Album kommt.

Kann man von Restlverwertung sprechen?
Nein. Ich habe nach „Balkanski“ begonnen, an einer zweiten EP zu arbeiten. „Jebiga 2“ war der Anfang. Der Drive war schnell weg, weil der Winter gekommen ist. Ich bin sehr anfällig für Winterdepressionen. Ich bin dagesessen, es war nur mehr scheiße und ich habe nur noch deepe Tracks gemacht. Sie haben unbeabsichtigt eine ganz andere Form angenommen. Ich habe mich schon auch an „Made it“ orientiert, aber in erster Linie ausprobiert. Ich wollte die Tracks im Frühling releasen, habe mir dann aber gedacht, dass sie für eine EP zu persönlich wären. Wenn ich die Tracks bisschen liegen und wirken lasse und mich noch mal hinsetze, kann ich daraus ein Album machen. Ich habe extrem Respekt vor dem Album – das ist für mich etwas sehr Persönliches, da bin ich ein bisschen alte Generation. Im Frühling habe ich wieder im „Balkanski“-Stil schreiben können. Bei mir hängt es extrem von den Emotionen ab, wie ein Track wird. Ich kann und will auch nicht auf Zwang schreiben.

Gibt es auch Jugodisko-Emotionen in dir?
(lacht) ich wollte mal was in diese Richtung probieren, es hat sich bei „Balkan“ so ergeben. Ich habe Bock darauf. Natürlich auch mit der Intention, es in Jugoclubs spielen zu können. Das ist eine Zielgruppe, die ich gerne hätte. Ein Traum von mir ist, dass ich es irgendwann über die Grenzen auf den Balkan schaffe. Dort werden gerade sehr viele deutsche Phrasen und Wörter in Jugotracks einbaut, weil sie wissen, dass die Diaspora voll mit uns ist.

Du machst es genau andersrum.
Genau. Die meisten kennen diese Standardphrasen. Es wäre das I-Tüpfelchen, wenn ich es eines Tages so kombinieren kann, dass genug Jugo und genug Deutsch drinnen ist und dass es vom Soundbild her in einen Club passt.

Zwischen den EPs hast du die Social-Media-Figur Čoban Čobanski ins Leben gerufen. Mit deinen Videos hast du insgesamt an die 6, 7 Millionen Klicks erreicht, deine Followerzahlen sind stark gewachsen. Ein nachhaltiger Boost für die Musik?
Ich habe schon gemerkt, dass Leute so auf meine Musik kommen sind. Der Character war aber gar nicht so durchdacht. Ich habe den Namen gehabt, mir war langweilig in der Arbeit und ich habe ein Video hochgeladen. Es ist durch die Decke gegangen, die nächsten paar auch. Durch dieses Jugo-Baustellending habe ich die Zielgruppe angesprochen, die ich mit meiner Musik erreichen will. Auf Insta ist es extrem schwierig, deine Bubble zu verlassen. TikTok hat sich dafür angeboten. Natürlich kam dann der Gedanke, dass ich so Leute auf meine Musik bringen kann. Funktioniert mal mehr, mal weniger. Es ist schwierig, beides zu handeln. Musik ist immer an erster Stelle, TikTok ist eher Mittel zum Zweck. Natürlich macht es Spaß und es ist cool zu sehen, wenn es zieht oder polarisiert. Bei mir ist das Ding, dass meine Videos ein bisschen länger sind. Ich habe noch nicht das Ding mit vielen kurzen Videos gefunden. Der innere Schweinehund sagt mir, dass ich nicht zu viel da reinstecken soll. Vielleicht die Angst vorm TikToker-Stempel.

Wie schnell nutzt sich das ab?
Die Gefahr besteht. Ich habe es noch am Schirm und werde mir nach dem EP-Release meine Gedanken machen. Ich will es weiterentwickeln. Aktuell ist es schwierig zu sagen, was passieren wird. Was mir auffällt: Ich habe ein paar Videos gemacht, der Algorithmus war auf meiner Seite, aber dann haben wir begonnen, die EP fertigzustellen. Ich habe keine Zeit dafür gehabt, aber genau da hätte ich reinhauen müssen. Ich habe den Drive nicht ausgenutzt, obwohl FedX mich gewarnt hat. Das Album ist ein Langzeitprojekt, wo es keinen großen Stress gibt. Vielleicht mache ich abwechselnd Album- und TikTok-Shit (lacht). Ich werde mich jetzt step by step wieder mehr ins Album reinfühlen. Jetzt nach der Zeitumstellung gehen die Depressionen eh wieder los. Also wird es wieder Zeit fürs Studio.

Foto: Sanctus Munyaneza

Wo willst du hin?
Ich kann es nicht sagen. Ich muss ehrlich sagen, ich habe schon immer den Grundsatz gehabt, Angst davor zu haben, anzukommen, weil das das Ende der Entwicklung darstellt.

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Wann bist du angekommen?
Wenn ich sagen kann, dass ich den Sound habe, den ich schon immer machen wollte. Ist es dann aus? Es ist ein ewiger Prozess. Ich war früher festgefahren. Boombap-Shit, Real-Keeping und so weiter, weil das andere Scheiße ist. Da ist in den letzten drei, vier Jahren viel passiert. Es war eine notwendige Entwicklung.

Gibt es dieses Ankommen überhaupt? Du kannst dann ja immer noch gute Musik machen oder wenn es langweilig wird, etwas Neues ausprobieren.
Das ist eh das Ding. Ich bin noch sehr weit weg von dem Punkt, wo ich mich frage: „Was mach ich jetzt? Will ich überhaupt noch?“ Dieses Jahr ist fucking viel passiert. Es fühlt sich seit der „Sin„-EP ein bisschen so an, als hätte ich erst wieder zu rappen begonnen. Seitdem ich aus dem Muster ausgebrochen bin, in dem ich mich jahrelang selbst festgehalten habe.

Was genau meinst du?
Ich habe wieder richtig Spaß am Musik machen. Das ist davor ein bisschen verloren gegangen. Ich habe gesehen, dass sich so viel entwickelt, jeder irgendwas macht und sich so viele neue Richtungen auftun – aber wo will man hin? Die „Sin“-EP war der erste Schritt in diese Richtung.

Was war deine jüngste Erkenntnis auf mentaler Ebene?
Ich habe jetzt wieder gemerkt, dass ich viel mehr auf mich selbst schauen muss. Das beginnt mit gezielten Auszeiten. Es geht nicht immer zu hundert Prozent, aber ich habe es in letzter Zeit immer wieder gemacht. Es ist manchmal notwendig, weil unser Leben so schnell geworden ist. Es gibt jeden Tag so viel Input – Werbung, Musik, TikTok, YouTube, was auch immer. Ich habe tausende Apps am Handy, die die ganze Zeit leuchten und klimpern. Man ist immer unter Stress. Ich bin sehr gut im Ignorieren von Warnsignalen, die mir mein Körper sendet. Es muss erst einmal alles in den Arsch gehen, damit ich sehen kann, dass ich eine Pause brauche oder was ändern muss. Das habe ich dieses Jahr erstmals richtig realisiert und ich versuche, es in Zukunft besser zu handeln.