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Ben Salomo über Antisemitismus im Deutschrap // Interview

Ben Salomo über Antisemitismus im Deutschrap // Interview

Vor knapp vier Jahren verkündete Ben Salomo das Ende des Rapbattle-Formats „Rap am Mittwoch“ – eine von ihm gegründete, äußerst populäre Rap-Spielwiese mit stolzer Historie, die manch heutiger Größe als Sprungbrett diente. Doch trotz der unbestrittenen Erfolgsbilanz hatte Ben Salomo genug. Als Grund nannte er den Antisemitismus in der Rapszene. Doch Antisemitismus ist nicht nur ein dortiges, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, wie Ben Salomo im Interview mit The Message konstatiert. Ein Gespräch über Parallelen zwischen Deutschrap und Rechtsrock, Verschwörungstheorien und falsche Toleranz.

The Message: Im Vorgespräch meintest du: Falls dir jemand 2 Millionen Euro gibt, würdest du Berlin verlassen und nach Israel ziehen. Warum?
Ben Salomo: Wegen des meteorologischen und gesellschaftlichen Klimas. Ich bin ein Kaktus. Man hat mich aus der israelischen Erde herausgeholt und in den deutschen Mischwald verpflanzt. Ich konnte mir mit meinen Stacheln ein Plätzchen an der „Sonne“ ergattern. Aber das gesellschaftliche Klima macht es mir immer schwieriger, in Deutschland zu leben.

Hat sich durch die Corona-Pandemie das gesellschaftliche Klima gegenüber Juden verschlechtert?
Die Corona-Krise hat ganz bestimmte Merkmale von Antisemitismus nach oben gespült. Dazu gehören die verschwörungsideologischen Aspekte, die Juden als Drahtzieher hinter einer Pandemie ausmachen. Ähnlich wie im Mittelalter, als man Juden für die Pest verantwortlich machte. Hinzu kommt ein Schuld-Abwehr-Antisemitismus durch eine Selbstviktimisierung – also wenn sich Leute auf Demos „Judensterne“ anheften und behaupten, man sei die neuen Juden, weil man sich nicht impfen lassen möchte. Diese Dinge werden als absolute Brandbeschleuniger in die Geschichte eingehen.

Ben Salomo beschreibt sich als Kaktus im deutschen Mischwald. // Fotos: Daniel Shaked

Brandbeschleuniger gab es in der jüngeren Vergangenheit auch unabhängig von Corona.
Ja. Ein solcher war etwa im Mai 2021 der Krieg zwischen Israel und der Terror-Organisation Hamas. Was ein solcher Krieg für Massen auf die Straße bringt, die hier ihren Antisemitismus und ihrem Israel-Hass freien Lauf lassen, ist unfassbar. Gleichzeitig sieht man niemanden von denen auf der Straße, wenn Bashir Al-Assad Fassbomben auf palästinensische Flüchtlingslager in Syrien schmeisst oder der IS die eigene Bevölkerung in Syrien ermordet. Ich beobachte diese Entwicklung schon seit locker 25 Jahren. Einer der Kristallisationspunkte war der 11. September 2001, als die Al-Kaida die Anschläge auf die Zwillingstürme in New York durchführte. Im Zuge dessen kamen antisemitische Verschwörungslegenden auf. Plötzlich war Israel oder der Mossad der angeblich „wahre“ Drahtzieher hinter diesem Terroranschlag. Durch die sozialen Netzwerke und irgendwelche YouTube-„Dokus“ ist eine sehr, sehr breite Bevölkerung mit unterschiedlichen Versatzstücken antisemitischer Verschwörungslegenden und Lügen über Juden infiziert – und die finden in Krisenzeiten immer ihren Anlass zum Ausbruch.

Der Rapper und Schauspieler Massiv hat beispielsweise eine antisemitische Verschwörungstheorie, die sich auf 9/11 bezogen hat, auf Facebook gepostet. 
Richtig. Er bezog sich dabei auf Fake-News eines syrischen „Nachrichtensenders“, der kurz nach dem 11. September diese Lüge verbreitet hat. Die Leute konsumieren in dieser Community weniger die Nachrichten in Deutschland, sondern die Nachrichten aus ihrem jeweiligen sprachlichen Background. Dann können sich diese Einflüsse hier auch manifestieren. 

„Hinter den Kulissen hatte ich das Gefühl, dass ich immer anders angesehen wurde als in den Jahren zuvor.“

Kannst du dich an die frühesten antisemitischen Vorkommnisse in der Rapszene erinnern?
Die frühesten waren rund um das Jahr 2003. Da hatte ich noch mein Label Templetainment und Kontakt mit Marcus Staiger von Royal Bunker. Marcus Staiger verkaufte unsere CDs in seinem Shop und hat mir immer wieder Tapes von seinem Label gegeben – von neuen Veröffentlichungen, mit der Bitte, ich solle mir die einmal anhören. Irgendwann gab er mir ein Tape von einer Gruppe mit dem Namen Battlemiliz in die Hand. Schon im Intro des Tapes zählt die Battlemiliz ihre „ideologischen Feinde“ auf, darunter die Zionisten. Es folgen Songs auf dem Tape, die heftige antisemitische Aussagen haben, wie „Du bist nutzlos wie das Juden-Mahnmal am Brandenburger Tor“. Diese Zeilen wurden von einem Rapper namens Hassanfall artikuliert. Ich habe Marcus Staiger dann damit konfrontiert. Er war auch geschockt. Das Tape wurde vom Label genommen und die Gruppe Battlemiliz konnte bei ihm dann nicht mehr recorden. Ich dachte zu diesem Moment, dass das ein Einzelfall ist.

Es war aber kein Einzelfall.
Mit der Zeit kamen immer mehr solche Aussagen. Auch hinter den Kulissen hatte ich das Gefühl, dass ich immer anders angesehen wurde als in den Jahren zuvor. Meine erste Single hieß „Rapmakkabäer“, ich habe meine Identität nie versteckt. Als ich sah, dass Rapper wie Bushido islamistische Bildsprache verwenden und mit islamistischen Metaphern gearbeitet wird, um Superlative auszudrücken, war mir klar: Hier hat sich ein antisemitisches Hintergrundrauschen aufgebaut. Ein Vorfall blieb mir besonders in Erinnerung: 2006 holte der spätere IS-Terrorist Deso Dogg zu Beginn seiner Show am Myfest eine Hisbollah-Fahne aus seinem Rucksack. Die 2.000 Leute, die dort standen, brachen in frenetischen Jubel aus. Da wusste ich: Islamismus und Antisemitismus sind in der Berliner Rapszene mehrheitsfähig geworden. Von Berlin ausgehend strahlte das in Restdeutschland aus. Dementsprechend wurde das Klima für mich mit den Jahren immer schwieriger. 

Ein anderes Beispiel ist der jüngere Bruder von Rooz, Sinan-G. Der posierte auf Instagram mit einer Hisbollah-Kette und lief 2014 bei den Israel-Hass-Demos durch Essen mit. Dazu hat man nie eine Distanzierung oder Kritik von Rooz gehört! Ich hatte mit Sinan-G auch hinter den Kulissen eine unangenehme Erfahrung, die das alles bestätigt hat. Das sind wirklich geschlossene Weltbilder, die viele von diesen Leuten haben. Man sieht das auch bei dem Rapper und Podcaster B-Lash. Der ist ein großer Multiplikator in diesen Sachen. Das „Who is Who“ des antisemitischen Abschaums ist bei B-Lash zu Gast – und die Rapper auch! Und wenn es da keine Abgrenzung gibt, dann müssen wir von einem fließenden Übergang, von Mitläufertum oder gar von Zustimmung im Bezug auf Antisemitismus sprechen.

Eine Begegnung mit B-Lash hast du in deinem Buch „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens beschrieben.
Selbst ohne die Situation an der Kasse (B-Lash soll nach Schilderung Ben Salomos eine Kassenkraft bei „Rap am Mittwoch“ aufgrund ihrer Davidsternkette angefeindet haben, Anm. d. Red.): Was B-Lash in den letzten zwei, drei Jahren an Aussagen im „100% Realtalk“-Podcast getroffen hat (schüttelt mit dem Kopf) … reicht schon. B-Lash sagt etwa, dass Antisemitismus nur ein Kampfbegriff ist, um Leute mundtot zu machen. Er deutete den Begriff um, meinte, Araber könnten keine Antisemiten sein, weil sie selber semitische Sprachen sprechen. Nach der Logik klammert das Wort Büroklammer ein Büro zusammen. Oder der Zitronenfalter faltet Zitronen. Aber niemand widerspricht ihm. Die Leute, die dort sitzen, nicken mit dem Kopf und in den Kommentaren gibt es Statements wie „Danke B-Lash, jetzt hast du mich aufgeklärt“.

„Als HipHop aufhörte, mit
HipHop etwas zu tun zu haben,
musste ich gehen.“ 

2016 führte MC Bogy ein Interview mit dir bei TV Strassensound. Als du ihn nach der reichsten Familie der Welt gefragt hast, antworte dieser sofort mit „Die Rothschilds!“ Ist dieser Ausschnitt charakteristisch für Teile der Deutschrap-Szene?
Ja, absolut. Die Lügen, die über jüdische Persönlichkeiten, jüdische Gebräuche oder den jüdischen Staat existieren, sind in der Deutschrapszene fast genauso weit verbreitet wie im Rechtsrock. Und die, die es nicht glauben, widersprechen nicht ausreichend, sind also Mitläufer. Ich hab ja diesen Slogan gehabt „Rap am Mittwoch – kommt alle mit, doch wenn ihr nichts mit HipHop am Hut habt, müsst ihr gehen“. Als HipHop aufhörte, mit HipHop etwas zu tun zu haben, musste ich gehen. 

Ist diese Entwicklung auch die Folge eines fehlenden Korrektivs in der Deutschrap-Medienlandschaft?
Definitiv. Die Medien sind sowieso leider auf die Position von Fanboys und Hofberichterstattern herunterreduziert worden – weil sie nicht mehr diejenigen sind, die die Reichweite generieren. Die Rapper sind es. Mit den sozialen Netzwerken haben die ihre Community bei der Hand. Früher war das anders. Du hast die HipHop-Medien gebraucht, um an deine Fanbase zu gelangen. 

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Das ist aber keine Entschuldigung. Früher, als Journalist*innen in einer anderen Position waren, wurde auch sehr viel kritiklos durchgewinkt.
Ich glaube, zu der Zeit war die „Awareness“ hinsichtlich der Wirkung von solchen Aussagen noch gar nicht gegeben. Viele dachten, dass es sich wirklich nur auf Punchlines beschränkt und nicht um Weltbilder handelt, die reproduziert und gelebt werden. Spätestens, als man wahrgenommen hat, dass das nicht stimmt, hätte man als Korrektiv agieren müssen. Das hat bis auf Nischen-Medien und ein bisschen rap.de niemand gemacht. 16bars.de oder hiphop.de haben nie diese korrektive Rolle eingenommen. Die Major-Labels hätten ebenso die Reißleine ziehen müssen. Deswegen spreche ich nicht von einzelnen Protagonisten, wenn ich den Antisemitismus in der Rapszene kritisiere, sondern von einem strukturellen Problem.

Ben Salomo

Inwiefern ist der Antisemitismus im Deutschrap ein strukturelles Problem?
Für eine Video-Single wie Kollegahs „Apokalypse“ ist der Rapper nicht alleine zuständig. Da hängt jemand drin, der das Video produziert, der schneidet, jemand vom Label, der es absegnet, und so weiter – und sie alle problematisieren den Antisemitismus nicht. Wenn die Medien dann nicht als Korrektiv darauf einwirken, sondern Fanboys sind, sind sie auch nur Mitläufer. Ein Beispiel: Zwei Wochen, nachdem Kollegah in Auschwitz war, sitzt er beim hiphop.de-Interview neben Toxik und behauptet, was Israel mit den Palästinensern mache sei das Gleiche, was die Nazis mit den Juden gemacht haben. Und Toxik fällt nichts Besseres ein als stotternd zu sagen: „Die Gleichsetzung ist ein bisschen hart“. Die Gleichsetzung ist nicht hart, sie ist falsch! Sie ist historisch falsch. Jetzt brauchen wir nur schauen: Tierstar ist jetzt Moderator auf hiphop.de und Tierstar war bei B-Lash und Bogy die ganze Zeit zu Gast. Wir reden hier von absolut fließenden Übergängen ohne kritische Einwirkung. 

„Dem Islamismus und dem muslimischen Antisemitismus wird größtmögliche Toleranz entgegengebracht“

Kommt man mit antisemitischen Aussagen in Deutschland zu leicht durch?
Es reicht in Deutschland heutzutage aus – nicht nur in der Rapszene – Juden mit Zionisten auszutauschen und sich dann zu entschuldigen. Die, die nicht davon betroffen sind, sind damit zufrieden und arbeiten mit diesen Leute problemlos weiter. Das würde aber nie mit einem ehemaligen NPD-Mitdemonstranten geschehen – was gut ist. Aber dem Islamismus und dem muslimischen Antisemitismus wird größtmögliche Toleranz entgegengebracht.

Sind antisemitische Äußerungen kein Karrierehindernis im Deutschrap?
Nein. Man sieht es ja an Kollegah. Kollegah hat genug antisemitische Aussagen vor der Echo-Geschichte getätigt. Farid Bang sammelte Spenden für den Moscheeverein Ansaar International, der direkt Gelder an die Hamas leitete. Antisemitismus ist überhaupt kein Karrierehindernis im Deutschrap. Antisemitismus ist eher karrierefördernd. So haben wir das bei ganz vielen anderen Rapper gesehen, und so sehen wir das jetzt bei B-Lash und Bogy. Bogy hat jetzt seinen Job bei MTV verloren, wird aber weiterhin bei Teilen der Rapszene hofiert. 

Siehst du auch von Seiten der jüdischen Community Versäumnisse in der Bekämpfung des Antisemitismus, vor allem gegenüber jenen Formen, die in den sozialen Netzwerken grassieren?
Man darf nicht vergessen, in welcher Position wir Juden stehen. Wir haben einen einzigen Staat. Es gibt 52 muslimische Staaten, von denen viele Geld haben. Die können mit dem Geld ihre Ideologien in Organisationen und NGOs reinbuttern. Wenn Israels Regierung Geld in eine deutsche NGO reinbuttern würde, gäbe es sofort einen Aufschrei. Das hat man bei der WerteInitiative gesehen. Alleine schon der Verdacht eines Sponsorings wird hier so dargestellt, als würde Israels Geheimdienst in die deutsche Politik einwirken. Gleichzeitig aber mischen sich deutsche politische Stiftungen massiv in sicherheitspolitische Bereiche in Israel ein. Dazu wird aber nichts gesagt. Das ist wieder dieser doppelte Standard. Zu wenige beschweren sich, dass Katar oder Saudi-Arabien in Deutschland Moscheenverbände finanzieren. Aber die WerteInitiative, ein Verein, der sich für jüdische Postionen und das Grundgesetz einsetzt und bei dem ich Mitglied bin, ein kleiner Verein wird imaginiert als geheime Proxi-Organisation der israelischen Regierung. Der Spiegel hat damals diesen diffamierenden Artikel veröffentlicht und der Verein wurde dadurch diskreditiert. Daran sieht man den Standard, an dem Juden oder der Staat Israel gemessen werden. Oder, noch ein Beispiel aus der Rapszene: Massivs „Blut gegen Blut“ wurde von Al-Jazeera gesponsert, darüber beschwert sich keiner. Wenn ich sagen würde, Arutz Eser (ehemaliger israelischer Fernsehsender, Anm. d. Red.) würde mein Album sponsern … da würde ich nicht mal mehr von der jüdischen Gemeinschaft eingeladen werden. 

Ben Salomo auf Instagram