Hochsommer in der Stadt, 37 Grad in der Nacht. Du verabredest dich zum Biertrinken mit Freunden in einem Park oder am Donaukanal. Ein laues Lüftlein weht und die Luft riecht nach Sommernacht. Aus den Boxen dröhnt Bilderbuchs Album „Vernissage My Heart“.
Ein kleiner Vorblick auf den Sommer 2019. Denn noch ist astronomisch gesehen Winter und die oberösterreichische Band Bilderbuch liefert nicht einmal drei Monaten nach ihrem Album „Mea Culpa“ ihr neues musikalisches Werk und damit die perfekten Sommer-Hits. Produziert wurde das Ganze von Marco Kleebauer, der Teil von Ant Antic und Leyya ist und als Karma Art eigene Instrumentalplatten produziert hat, sowie von den Bandmitgliedern selbst. Das Produktionslevel ist hoch, jedes Detail ist stimmig, und greift harmonisch ineinander. Auch das Artwork des Covers, welches von dem Künstlerkollektiv Mafia Tabak angefertigt wurde, unterstreicht das Künstlerische im Albumtitel.
Die Texte erzählen uns von Liebe, schweren Herzen sowie davon, seinen Kopf aus dem Cabrio zu strecken, und zeigen uns mit sanften Gitarren, Autotune und Sprechgesang, was Indie-Pop heutzutage zu bieten hat. Mit Zeilen wie ‘Du liebst mich und den weißen Wein’ fangen die Wahl-Wiener geschickt das Gefühl einer Jugend ein, die sich irgendwo zwischen Uni-Hörsaal, Nudelboxen und Tetrapak-Wein bewegt. Auch ‘Frisbeee’ ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie die Jugend von heute einen Lovesong formulieren würde. Hier ist kein Platz mehr für triefend kitschige Liebeserklärungen und den 90’s-Love-Song-Vibe, dafür aber für eine Anspielung auf Verschwörungstheorien. Der Satz „Meine Erde ist flach“ bezieht sich zum Beispiel auf die Flat Earth Community, zu der Sänger Maurice Ernst selbst sagt: „Das sind Leute, die tatsächlich ernsthaft glauben, dass die Erde flach ist. Heutzutage! Solche Auswüchse hat unsere Gesellschaft schon angenommen.“
Doch frei heißt auch alleine sein. Liebe is the place to be, ich bin bereit für diese Galaxie …. Ich bin so gern in dir, Baby. Du bist so gern mit mir, Baba
Bilderbuch zeigt uns mit diesem Song mal eben fix wie’s geht, und wir lieben es! Ein Interlude („Memory Card 2“), welches als Nachfolger des im Album davor veröffentlichten Songs ‘Memory Card’ dienen soll, wirkt allerdings eher, als wäre es Füllungsmittel. Als hätte noch ein Song gefehlt, der noch dazu musste. Sicherlich hören wir einen Unterschied zu dem im Dezember erschienen „Mea Culpa“, in welchem viel experimentiert wurde, und der Versuch stattfand, als Band über den Tellerrand zu sehen, was eigentlich alles geht, wenn man jedem Mitglied der Band die Möglichkeit gibt, der Dynamik freien Lauf zu lassen. Sänger Maurice selbst sagt dazu in einem Interview: „,Mea Culpa‘ geht nach innen. Da geht es um mich und vielleicht noch eine andere Person, auf jeden Fall aber um die private Liebe. Und ,Vernissage My Heart‘ macht die Arme auf, nimmt links und rechts Menschen an die Hand, pflegt das Gemeinschafts-Gefühl und den Hippie-Gedanken.“ Mit dem Hippie-Gedanken, der sich durch die Songs zieht, haben wir also ein Konzeptalbum, das uns Bilderbuch hier abliefert.
Mit diesem legen sie auch mit viel Fingerspitzengefühl einen Drahtseilakt zwischen Melancholie und Glückseligkeit hin, das in einer besonderen Leichtigkeit des Seins, nicht zuletzt auch wegen der Beats, seinen Ausklang findet. Maurice selbst dazu: „Ich finde, ,Vernissage My Heart‘ ist eine sehr positive Platte. Sie knickt hin und wieder mit ein paar lustigen Momenten ein, aber sie will umarmen. Ich finde es schön, dass es nicht nur um Satire geht und die Platte komplett von Zynismus vergiftet ist, sondern dass auch der Wille dahintersteckt, ein bissl eine Fantasie für eine positive Zukunft zu haben.“
Von Selbstbeweihräucherung oder derben Beleidigungen keine Spur – weshalb Bilderbuch auch mit ihrem neuen Album radio- und massentauglich bleiben. Eine weitere Konstante: Auch dieses Mal finden wir kein Feature. Es scheint so, als würden die Jungs lieber unter sich bleiben, um sich ihren authentischen und gewohnten Sound beizubehalten. Zumindest musikalisch. Denn eine Woche vor Veröffentlichung gibt die Band allen Menschen die Möglichkeit, sich ganz simpel einen Europa-Reisepass anfertigen zu lassen, für den man lediglich ein Foto von sich hochladen muss. Die Idee von einem grenzenlosen Europa kommt in den sozialen Netzwerken gut an, ist ein gekonnter Marketing-Trick und geht in durchdachter Symbiose mit den Inhalten des Albums einher. So finden wir auf dem Tonträger zum Beispiel den Song „Europa 22“ mit folgenden Zeilen:
Ein Leben ohne Grenzen, eine Freedom zu verschenken, eine Freiheit, nicht zu denken
Fazit: Wer auf der Suche nach sozial- und systemkritischen Texten oder einer sprunghaften musikalischen Weiterentwicklung ist, ist hier falsch. Diejenigen, die auf der Suche nach einfacher, nicht zu schwerer Musik wie für die lauen Sommernächte sind, die mit einer Prise von schöner Melancholie serviert wird, sind hier genau richtig. Maurice und seine Bandkollegen liefern uns wie gewohnt den gut durchdachten und vor allem sehr ehrlichen Bilderbuch-Sound, der international gefeiert wird.
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