"The hardest thing to do is something that is close…
Danny Brown ist eine auffällige Erscheinung – in musikalischer als auch optischer Hinsicht. Musikalisch, weil Danny Brown nicht nur über ein außergewöhnlich schrilles Organ verfügt, mit dem nur Ad-Rock von den Beastie Boys mithalten kann. Nein, Danny Brown besitzt auch einen ganz spezifischen Beatgeschmack. Einen, bei dem gerne Einflüsse von Detroit-Techno der brutalsten Sorte vorkommen dürfen. Diese Beats, die in der Vergangenheit unter anderem von Skywlkr oder Paul White kreiert wurden, dienen im Regelfall als Unterlage lyrischer Werke, die von Hedonismus nur so strotzen. Sex- und Drogengeschichten der skurrilsten Sorte sind, neben dichten Erzählung aus dem Leben Detroits, sein Metier. Ihren Ausdruck findet der musikalische Wahnsinn zugleich in der Optik Danny Browns, an der sich immer noch einige stoßen.
Was allerdings Danny Brown seit jeher total egal ist, wie er bereits auf „Blunt after Blunt“ aus dem Album „XXX“ rappte: „Rest in peace wack niggas with your oversized clothes/Complain about my jeans cause I’m taking all they hoes“. Danny Brown gehört eben nicht zur Sorte gewöhnlicher Rapper. Nein, Danny Brown fühlt sich vielmehr als waschechter Rockstar – und als solcher will er eines Tages draufgehen, wie er ebenfalls auf „XXX“ schon fantasierte („Die Like a Rockstar“). Ein Faden, den er auf seinem neuen Album, dem Warp-Records-Debüt „Atrocity Exhibition“ aufgreift und mit allen Details ausschmückt.
Bereits der Titel lässt die Richtung des Albums vermuten, ist dieser sowohl eine Referenz an einen Track der britischen Post-Punk-Band Joy Division, deren Lead-Sänger Ian Curtis bekanntlich Suizid beging, als auch an einen Roman des britischen Autoren J.G. Ballard, der seine Leser darin in eine Welt voller Psychosen führt. Dass Danny Brown sich in diese Tradition einfügen will, beweist der Opener-Track „Downward Spiral“, eine Zusammenstellung aller wesentlichen Inhalte auf „Atrocity Exhibition“. Drogen, Sex und Depressionen sind die Grundpfeiler des Danny Brown’schen Universum – auf Industrial-Klängen von Paul White schwadroniert das Detroiter Fashion Victim daher über seinen alltäglichen Albtraum inklusive ungeschütztem Geschlechtsverkehr und exzessivem Rauschgiftkonsum. Was die Spirale nach unten erst recht in Gang setzt. „Downward Spiral“ ist zudem eine weitere Referenz an eine andere große Band der Musikgeschichte, trägt das zweite Album von Trent Reznors Nine Inch Nails denselben Titel. Nicht die einzige Überschneidung, wie der Track „Dance in the Water“ beweist, das lyrisch Assoziationen an Trent Reznors „Closer“ („I wanna fuck you like an animal“) weckt.
Auf den Industrial-Einstieg folgen mit „Tell Me What I Don’t Know“ und dem Petite Noir produzierten „Rolling Stone“ zwei ernste, von tiefer Traurigkeit geprägte Tracks. Während „Tell Me What I Don’t Know“ mit prächtigem Beatwechsel als Rückschau auf Danny Browns Leben in der Hood dient, ist „Rolling Stone“ der Endpunkt: „When I die, I leave alone/Getting high, I feel love/But we all know life goes on“ sind Zeilen, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Danny Brown wirkt bei seinen Ausführungen auf „Rolling Stone“ ungemein authentisch und wird von Petite Noir, dessen Basskomposition ganz in der Tradition Joy Divisions und New Order steht, gekonnt in Szene gesetzt.
Auf diese depressive Phase schließt Manie in diversen Ausführungen an. Da wäre zunächst der Posse-Track mit Kendrick Lamar, Earl Sweatshirt und Ab-Soul namens „Really Doe“: Ein Track, auf dem alle Protagonisten den hypnotischen Glockenbeat von Black Milk zur Präsentation ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten nutzen. Nach „Really Doe“ verfängt sich Danny Brown schließlich in „Lost“, „Ain’t It Funny“, „Golddust“ und „White Lines“ endgültig im Drogensumpf. Exakte, authentische Schilderungen des Konsums und seiner Wirkungen, die manchmal sogar comichafte Zügen annehmen, treffen dabei auf herausragende Produktionen von Paul White, Playa Haze und The Alchemist.
Paul White zaubert verstörende, kakofonische LoFi-Sounds und sampelt für „Golddust“ Joy Divison (damit sollte klar sein, wodurch der Großteil der 70.000$ Samplekosten verursacht wurde), Playa Haze bringt in „Lost“ RZA-Feeling hoch und The Alchemist lässt es sich nicht nehmen, auf „White Lines“ die härtesten Drums des Albums sein Eigen zu nennen. Die brachialste Produktion kommt allerdings von Evian Christ, der Danny Brown für „Pneumonia“ ein reduziertes, unterkühltes, klaustrophobisch wirkendes Electro-Geschoss kredenzt. Allesamt Vorlagen, die der Detroiter zu nutzen weiß – die Flows sind rasiermesserscharf und variantenreich, für „Today“ darf es dann sogar etwas André-3000-B.O.B-Vibe sein.
Nach dem ganzen Drogenwahnsinn, der mit „When It Rain“ und „Get Hi“ (mit einer Hook von B-Real) noch weitere Blüten treibt, liefert Danny Brown allerdings einen ungewöhnlich positiven Schlusspunkt. Während bei Nine Inch Nails die Spirale zum Suizid führt („Hurt“), bietet Danny Brown kämpferische Zeilen („I just wanna make music/Fuck being a celebrity/Cause these songs that I write/Leave behind my legacy“) und scheint damit einen Ausweg aus dem Dilemma, welches die Tracks davor durchzieht, gefunden zu haben. Ein versöhnlicher Abschluss eines Albums, auf dem über weite Strecken düstere, albtraumhafte Szenarien beschrieben werden.
Fazit: Ist „Atrocity Exhibition“ also gar Danny Browns „Unknown Pleasures“? Gut möglich, denn „Atrocity Exhibition“ ist der Karrierehöhepunkt des Detoiters, mit dem er sogar „XXX“ übertreffen kann. Während der Vorgänger „OLD“ vermehrt Mainstream-taugliche Töne vorwies (das Purity-Ring-Feature, zum Beispiel), bietet „Atrocity Exhibition“ eine überwiegend kompromisslose musikalische und lyrische Höllenfahrt, deren Sound neben Grime und Detroit-Techno Post-Punk-Gruppen wie Bauhaus, Joy Division, Cold Cave oder Industrial der Marke Nine Inch Nails als Ziehväter benennt. „Atrocity Exhibition“ ist schlichtweg ein großartiges Rapalbum mit starkem Post-Punk-Einschlag – und entspricht damit wohl genau den unkonventionellen Ambitionen, mit denen sich Danny Brown ans Werk machte. Bleibt nur zu hoffen, dass sich Danny Brown die Sache mit dem baldigen „I’mma die like a rockstar“ noch einmal überlegt. Für den „Club 27“ ist es ohnehin zu spät.
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