Zeichen setzen mit Zeichensätzen. Mag Rap, Reisen und gutes Essen.
Wem zu Hamburger HipHop anno 2016 nur die Rattos Locos und die 187 Strassenbande einfallen, dem ist zumindest ein wichtiger Name entgangen: Disarstar. Der junge Mann aus St. Pauli droppte mit „Sturm und Drang“ vor einigen Wochen sein bereits sechstes Mixtape. Während Conscious-Rap jenseits des Weißwurstäquators zuletzt oft eng mit Verschwörungstheorien und stark verkürzter Kapitalismuskritik zusammenhing, zeigt Disarstar, dass es auch anders geht. Auf Instrumental-Classics von Größen wie Dr. Dre, Imhotep und Riddle werden starke Zeilen gelegt. Der Inhalt dieser bewegt sich zwischen Systemkritik, den eigenen Stärken und Schwächen sowie dem Mut weiterzumachen.
„Halt den Ball flach, digga das ist Mucke aus der Altstadt,
Pauli-Fahne oben, die deutsche nicht mal auf Halbmast,
Wenn du sagst, du magst kein Rap, ja dann nur weil du was falsch machst,
Gib dir mal mein Album wenn du Zeit hast“
(„Mucke RMX“)
Was der 22-Jährige auf die von Hand selektierten ikonischen Instrumentale rappt, klingt an vielen Stellen nach einer Menge Lebenserfahrung, Reflektion und gesellschaftlichem Bewusstsein. Hervorzuheben ist Disarstars Talent, verschiedene Themen in Tracks zu verweben, ohne dass selbige belanglos werden. Auf „Berg und Tal“ etwa wird aus Schlaglichtern eines Lebens zwischen Hochs und Tiefs ein persönlicher Track, der zugleich viel Identifikationspotenzial bietet. „Exzentrik“ beschäftigt sich mit den nationalistischen Entwicklungen der vergangenen Monate. Rassismus und Hetze im Kontext der Flüchtlingssituation werden mit der kapitalistischen Logik in Verbindung gebracht, ohne dabei Phrasen zu dreschen. Was Disarstar rappt, kann oft nicht einfach konsumiert und abgehakt werden, sondern regt zum Nachdenken an. Mit Sicherheit eine große Stärke des Mixtapes!
Aber nicht nur die Inhalte und Aussagen sind spannend und fordernd, auch die Variabilität des Flows macht den Hamburger zu einem außergewöhnlichen Rapper. Natürlich kommt Disarstar auf dem Instrumental zu Stan („Loslaufen“) nicht an die Atmosphäre des Originals heran. Aber man hat dennoch nicht das Gefühl, dass die großen Fußstapfen, in die sich der Rapper stellt, ein Problem darstellen. Disarstar spricht laut und deutlich linke Botschaften aus, ohne abgedroschen zu wirken – eine Seltenheit im deutschsprachigen Rap. Auf einem insgesamt runden Mixtape sticht für mich „Haus und Boot“ besonders heraus. Die Erzählung zwischen Unzufriedenheit, Getriebenheit und Zweifel bezüglich der eigenen Existenz fängt die Ängste einer ganzen Generation ein.
„Ja, wir kaufen uns froh, rauchen uns stoned,
Sind dann immer noch traurig, und wissen auch nicht wieso
Was für Haus und Boot,
Hier sind Leitern zu kurz, und Mauern zu hoch“
(„Haus und Boot“)
Fazit: Sturm und Drang ist ein wirklich beeindruckendes Mixtape mit starken Messages und dope gerappten Verses. Disarstar versteht sich als Sprachrohr seiner Klasse und regt zum Nachdenken über die Ungerechtigkeit unseres Systems an. Er trifft immer wieder den Nagel auf den Kopf und erzeugt auf den „geborgten“ Brettern dichte Atmosphäre. Definitiv ein Künstler, den man im Auge behalten sollte!
Den Gratis-Download des Mixtapes gibts hier.
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