Dass nicht alle Rapper hart und nicht alle Songwriter soft sind, ist theoretisch wohl jedem klar, musikalisch werden diese Klischees allerdings noch immer häufig reproduziert. Irgendwie auch verständlich – komplexere Persönlichkeitsdarstellungen in Singles unterzubringen ist ja auch nicht unbedingt easy. Ebow scheint das Ganze allerdings gar nicht schwer zu fallen, denn die Musikerin akzeptiert diese Widersprüche auf ihrem neuen Album Canê nicht nur, sie lebt sie sogar gewollt aus und schafft es zudem, eine Mischung aus Flex-Lifestyle und Kapitalismuskritik zu vereinen.
So besteht das neue Album der gebürtigen Münchnerin aus zwei einzelnen Discs, die sich im Style und auch inhaltlich stark unterscheiden. Auf Disc 1 tritt Ebow so von ihrer harten Seite auf, ein Flex reiht sich an den nächsten. Ebows größter Erfolg: „Mein größter Flex ist, dass ich ich selbst bin“, wie die Wahlberlinerin auf dem Openertrack „Dersim62“ rappt.
Liefert die erste Disc des Albums also harte Beats und starke Lines, so tritt Ebow auf Disc 2 betont soft und gefühlvoll auf. Der zweite Teil ist reflektierter und behutsamer, hier werden Themen wie Nähe, Widerstand und Ebows persönliche Überzeugungen behandelt, statt den Fokus wie zuvor auf Fun und Flex zu setzen. So möchte Ebow nicht nur die beiden Seiten ihrer eigenen Persönlichkeit zeigen, sondern auch zwei Seiten der Seele: „Canê“ – das kurdische Wort für Liebling, oder Seele agiert so nicht nur titelgebend, sondern zieht sich durch die gesamte Dramaturgie des Albums.
Diese inhaltlichen Widersprüche und Spannungen lassen sich auch im Soundbild des Albums wiederfinden. Dieses pendelt zwischen roughen Beats und entspannten R&B-Arrangements und wurde größtenteils von Ebows langjährigem Partner Walter P. produziert. Während man auf der ersten Singleauskopplung „Araba“ so noch basslastigen laidback Vibes lauschen konnte, die von einem tiefen Piano hinterlegt wurden, tritt im Song „Prada Bag“ ein verträumter, aber etwas unruhiger Uptempo-Beat in den Vordergrund, der durch mantraartig von Ebow vorgetragene Hooks unterbrochen wird. Die Ambivalenz zwischen der eigentlich gelebten Kritik am Kapitalismus und der Versuchung, als Women of Color trotzdem mit Designerkleidung zu flexen, wird hier spürbar und spiegelt ein Leben zwischen Konsum und Moral wieder. Richtige 2000er-Vibes erwarten einen dann auf „Trouble“, dem Heartbreak-Song des Albums, der mit kühlen Synthesizern und cleanen Drums auftrumpft. Dieser vertonte Herzschlag untermalt Ebows Angst, dem Gegenüber das Herz zu brechen.
Mit ihrem bereits vierten Album zeigt Ebow ihre musikalische Diversität und schafft trotz dieser Widersprüche ein in sich stimmiges Gesamtwerk. Zwischen Rückbesinnungen auf ihre Roots in München und ihre kurdische Familiengeschichte, sowie pointierten Analysen, die allerdings nie mit erhobenem Zeigefinger daherkommen, gelingt es Ebow so – wie gewohnt – zu überzeugen.
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