"The hardest thing to do is something that is close…
Vier Jahre sind seit dem letzten Solo-Album von Evidence (48) vergangen – eine lange Zeit, oder, wie er es im Interview bei Bootleg Kev kürzlich formulierte: „And that’s like a career roulette“. Diese für das heutige HipHop-Geschäft ungewöhnlich lange Zeitspanne ohne Album bedeutet aber nicht, dass Evidence untätig gewesen wäre: So war er in diesen Jahren emsig als Produzent unterwegs. Unter anderem veröffentlichte er im vergangenen Jahr mit Blu das Kollabo-Album „Los Angeles“, auf dem er den Part hinter den Reglern einnahm. Und dann wäre schließlich noch die Arbeit für sein eigenes Label Bigger Picture Recordings, das für Evidence künftig eine noch größere Rolle spielen wird. Denn: Sein im August 2025 veröffentlichtes Solo-Album „Unlearning Vol. 2“ ist sein vorerst letztes über Rhymesayers Entertainment.

Musikalisch schließt der zweite Teil von „Unlearning“ dort an, wo der erste aufgehört hat: Über die Spieldauer von rund 37 Minuten präsentiert Evidence überwiegend musikalische Skizzen statt ausproduzierter Songs, auf denen er seine Fähigkeiten als MC unter Beweis stellt. Dabei übertreffen nur zwei Songs die Grenze von zwei Minuten. Ins Konzept passt, dass man eine Hook die meiste Zeit über vergebens sucht – und dass er die Produktion zum Großteil auslagerte: Auf „Unlearning Vol. 2“ befinden sich Beats unter anderem von Sebb Bash aus der Schweiz, Griselda-Produzent Conductor Williams, Jedi-Mind-Tricks-Affiliate C-Lance und dem „Step Brother“ The Alchemist. Es gilt eben: „E-V, enough of makin’ beats, I’m back to spittin’“, wie er in „Outta Bounds“ rappt.
Hang zum Dunkeln
Die musikalische Ausrichtung wird bereits im Opener „Plans Change“ deutlich gemacht, der einen Ausschnitt eines Talks des Public-Enemy-Soundarchitekten Hank Shocklee bei der Red Bull Music Academy enthält: „I’m a fan of dark. I like dark music. I like depressing music. I like music that makes me sad.“ Evidence kann diesen Worten nur beipflichten, wie man auch bei einem Porträt von Okayplayer sehen konnte. Dort beschreibt er seine Musik folgerichtig mit: „I’m always painting imagery of a cloudy sky or something dark“.
Das trifft auf viele Songs von „Unlearning Vol. 2“ zu. Dazu zählen „Seeing Double“, „Rain Every Season“ (featuring The Alchemist) und der Abschlusstrack „Dutch Angle“. Das sind allesamt Songs, bei denen wenig Licht durch die Wolken kommt. Doch zeitweise scheint auch die Sonne auf „Unlearning Vol. 2“: Songs wie das entspannte „Top Seeded“ oder das psychedelisch-jazzige „Future Memories“, die kalifornische Leichtigkeit versprühen, finden sich ebenfalls auf dem Album.
Zähflüssiges Gleiten über Beats
Egal welches BoomBap-Instrumental nun vorliegt, Evidence bleibt seinem Ruf als „Mr. Slow Flow“ treu: Zähflüssig gleitet er über die Beats und füllt seine Zeilen mit Lebensreflexionen. Es geht um den eigenen Werdegang („Different Phases“), um das, was Erfolg ausmacht („Define Success“) oder die Motivation für das eigene Schaffen („Greatest Motivation“, „Stay Alive“). Grown-Man-Rap eben.
Evidence gibt dabei teils tiefe Einblicke, wie im zweiten Part von „Laughing Last“, wo es heißt: „Two R’s in Perretta, carry name since my pop died/I didn’t cry ’cause my heart dry“. Fehlen dürfen auch nicht die üblichen Wetter-Referenzen, ohne die kein Evidence-Album auskommt. Die Feature-Gäste in Form von Blu, Domo Genesis, The Alchemist, Theravada und Larry June halten sich meist im Hintergrund. Nur Larry June sorgt mit der Zeile „Got M’s in the bank, but spend it like I’m Jewish” für Augenrollen. Dieser antisemitische Stereotyp ist ein Trübnis auf einem sonst textlich wie musikalisch anständigen Album.
Fazit
„Unlearning Vol. 2“ setzt die Richtung des ersten Teils fort: Das Album bietet Grown-Man-Rap auf BoomBap-Beats – kein auf Hochglanz poliertes Produkt, sondern ein roh und ungeschliffen gehaltenes Werk. Trotz vier Jahren ohne Solo-Album hat Evidence nichts von seinen Fähigkeiten am Mikrofon eingebüßt. Und wenngleich „Unlearning Vol. 2“ nicht das absolute Meisterwerk seiner Karriere darstellt, ist es eine gebündelte Manifestation künstlerischer Konstanz.

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