"The hardest thing to do is something that is close…
Zwei Jahre nach ihrer vielgelobten EP „Wild Yout“ veröffentlicht die britisch-nigerianische Rapperin Flohio ein neues Werk. Aber nicht das erwartete Debütalbum, sondern ein Mixtape. 2020 mutet ein solches Format anachronistisch an. Assoziationen an den Verkauf selbstgebrannter CDs aus dem Kofferraum oder an Digital-Releases, bei denen alle zwei Minuten der mixende DJ seinen Signature-Sound in die Songs reinhämmert, werden geweckt; es hängt davon ab, wie weit man im Zeitstrahl zurückgeht. Auf jeden Fall denkt man an Relikte vergangener Tage, die einst als Appetizer für ein nachfolgendes Album verwendet wurden.
Flohios „No Panic No Pain“ hat mit genannten Mixtape-Charakteristika nichts gemein. Weder vertickt sie ihr Tape in den Straßen ihres Viertels Berdmondsey, noch hatte ein DJ seine Finger im Spiel. Die Produktionen auf „No Panic No Pain“ sind zudem allesamt exklusiv und das Werk wird auf den gängigen Plattformen zum Streamen angeboten. Warum also wählte sie diese Bezeichnung?
Möglich, dass die hochgepriesene Flohio – von der britischen Rundfunkanstalt BBC wurde sie in die prestigeträchtige Liste „Sound of 2019“ aufgenommen und vom Supermodel Naomi Campbell 2018 in der Vogue unter den „10 women changing our future“ gelistet – diese wählte, weil „No Panic No Pain“ einen Zwischenschritt in ihrer Karriere markiert. „No Panic No Pain“ hat mehr Umfang als die beiden EPs „Wild Yout“ und „Nowhere Near“ (2016). Gleichzeitig liefert das Tape aber nicht die Kohäsion, die sich Flohio wohl von ihrem Debütalbum verspricht.
So fühlt sich „No Panic No Pain“ mehr wie eine Ansammlung von losen Songs als ein Album an. Das soll aber nicht die Leistung schmälern, die Flohio hier zeigt. Auf den zehn Tracks mit einer Spieldauer von 30 Minuten ist ihr enormes Potenzial regelmäßig zu vernehmen: Die überdurchschnittlichen Drill- und Trap-Beats mit dreckigen Basslines, die den Großteil der Produktionen auf „No Panic No Pain“ ausmachen, zerlegt Flohio selbstsicher und voller Energie.
Eine Energieleistung
„No Panic No Pain“ beginnt sie auch quasi mit der Bitte nach Energieinjektionen, fleht sie im Opener „FLOFLO!“: „I need energy right now“. Die bekommt sie in der Folge zielsicher von Produzenten wie HLMNSRA, Cadenza oder Take A Daytrip verabreicht, die powergeladene Instrumentals schmiedeten. Die Drill-Abrissbirne „Booby Traps“ etwa führt einen gedanklich in einen Londoner Untergrund-Club, in dem der Schweiß nur so von der Decke tropft. „Maximum swipe like I’m Blade“, behauptet Flohio in der Hook des Songs. Und den hat sie ohne Zweifel.
Kraftvoll wie der Vampirjäger geht sie schließlich auf weiteren Brechern wie dem Representer „Roundtown“ oder der Empowerment-Nummer „Sweet Flaws“ zu Werke. Auch das düstere, mit Horrorfilm-Synthies versehene „Unveiled“, der Hustler-Report „With Ease“ mit dem einzigen Featuregast Kasien oder das beschwingte, 80er-Jahre-Computerspiel-Soundästhetik aufbietende „Flash“ sind dank ihrer Wucht prädestiniert für eine Live-Umsetzung im Post-Corona-Zeitalter.
Doch Flohio kann mit ihrem Staccato-Flow nicht nur diese Beat-Geschoße bändigen. Sie kann ihre Skills auch auf entspannteren Instrumentals ausspielen. Das beweist sie auf dem verträumt klingenden „Active“, der melancholischen Herzschmerz-Nummer „Medicine“, das von einer Lagerfeuer-Gitarrenmelodie getragen wird, sowie dem nachdenklichen, introspektiven Abschlusstrack „Stuck in a Dance“. Momente der Ruhe auf einem Mixtape, das aber sonst nur die Richtung nach vorne kennt.
Fazit: Flohio legt mit „No Panic No Pain“ ein knackiges Mixtape vor. Neben einer starken Performance ihrerseits überzeugen die dynamischen Drill- und Trap-Produktionen. Thematisch wird einiges geboten, so dass man nach den 30 Minuten das Bedürfnis hat, mehr von Flohio hören zu wollen. „No Panic No Pain“ macht definitiv Lust auf Flohios Debütalbum – und das ist auch ein Argument, warum die Kategorisierung als Mixtape eigentlich doch ganz passend ist.
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