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„Für alle mit Cojónes!“ – Marteria live in Wien

„Für alle mit Cojónes!“ – Marteria live in Wien

Alexander Gotter - The Message - Marteria Chefket Gasometer Wien _DSC5509

Fast wie ein Tonmeister, der den Soundcheck durchführt, wirkt Chefket (Interview), als er Dienstagabend vor eine unerwartet kleine Menge im Wiener Gasometer tritt. Mit DJ Nobodys Face versucht er, die Menge für den Hauptact warm zu machen, fragt ob sie Englisch kann, um dann mit ihr die Hook zu „Cool Easy Fresh“ zu singen. Auch wenn Chefket Doubletime rappt, bleibt jedes Wort verständlich. Und noch etwas macht neugierig: Der Berliner hält die Oldschool-Fahne hoch, fragt nach dem Running Man und holt eine Zuseherin namens Anna auf die Bühne, die ihn ausführen soll. Auch wenn sie mehr twerkt, darf sie zur Belohnung stagediven – ein gespannter Moment im Publikum. Weiter geht’s mit einer Aufforderung zur Bildung eines BBoy-Kreises, jeder darf darin tanzen, auch Chefket selbst begibt sich fürs Rappen hinein. Richtige Konzertstimmung mag dennoch nicht aufkommen, ist es dafür doch viel zu leer und hell auf der großen Bühne. Der „Live-MC“ lässt sich davon nicht beeinflussen und zeigt mit „I don’t know„, dass er auch eine tolle Soulstimme hat.

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Immerzu schwenken die ehrenamtlichen Helfer von Viva Con Agua Wien ihre weißen Fahnen über den Köpfen des Publikums. Sie sammeln die Pfandbecher der Konzertbesucher und lösen diese dann als Spende ein. „In Österreich haben wir jetzt ein Projekt in Malawi, wo wir die sanitären Einrichtungen in Schulen verbessern und Klos bauen. Da geht das Geld hin, das wir heute sammeln“, erzählt ein Helfer. Bei guten Konzerten kämen so 500 bis 600 Euro zusammen, als Nächstes werden sie bei Moop Mama und bei Torch & Toni L dabei sein.

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Da verwundert es umso mehr, dass Marteria (Interview), der sich seit Jahren für Viva Con Agua engagiert, die Leute nicht dazu aufruft, ihre Becher doch lieber in die blauen Säcke der Spendenorganisation zu werfen als auf den Boden. Generell fühlt sich die Show von Marten Laciny irgendwie anders an als sonst. Es gibt keinen keinen Ritt auf einem grün qualmenden Riesen-Joint über die Hände des Publikums (wie beim Splash 2013) und auch kein außergewöhnliches, erstes Erscheinen auf der Bühne. Nach Spotlights auf die Live-Band, steht er plötzlich einfach da. Mit drei Background-Sängerinnen – Chefket ist dieses Mal leider nicht dabei – sowie Drummer, Gitarrist, Nobodys Face und Kid Simius, der zwischen MPC und Gitarre wechselt. Vorhersehbar bringt Marteria einen Track nach dem anderen von seinem fast schon ein Jahr altem Album „Zum Glück in die Zukunft II“, mit Perfektion üben die Sängerinnen ihre einstudierten Bewegungen aus. Die Anzahl der Zuschauer hat sich mittlerweile fast verdoppelt.

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Für den ersten Höhepunkt ist auch eine von ihnen verantwortlich, rappt sie doch mit brasilianischem Gemüt und zerlegt damit so richtig die Bühne – leider nur ein kurzer Moment. Es folgen viel Drum’n’Bass-lastiger Sound, gezündete Feuerwerkskörper bei der Hooligan-Hymne „Bengalische Tiger“ – auch mitten im Publikum-, gen Bühne gestreckte Fäuste und Marterias blanker Hinter mit seinem Wu Tang Tattoo (passend zur Songzeile in „Kids„). So richtig auszucken wollen die Leute aber erst, als Marteria sich nach der Präsentation seines Albums verabschiedet und das Männchen im grünen Ganzkörperkostüm die Bühne vereinnahmt. Marsimoto bringt Tracks wie „Grünes Haus“ oder „Chillen“ – die Menge erfreut sich so sehr daran, dass das strikte Rauchverbot im Gasometer gekonnt umgangen wird.

Natürlich erscheint nach dem Auftritt seines Alter Ego noch einmal Marteria auf der Bühne – auf das gewohnte Stagediven hat man bis dahin vergeblich gewartet. Doch Marteria hat noch was in petto. Mit „Feuer„, im Original mit Yasha und Miss Platnum, fährt der Rostocker senkrechte Feuerwalzen auf der Bühne auf. Unglaublich, wie heiß es selbst in der zehnten Reihe noch werden kann. Nach fast zwei Stunden Show fordert ein sichtlich in Rage geratener Rapper seine Meute noch einmal dazu auf, für die letzten 20 Sekunden so richtig „auszurasten“ und begibt sich diesmal auch selbst in die Hände des Publikums. Und Ausrasten sollen die Leute auch ohne T-Shirt, egal ob Jungs oder Mädchen. „Für alle  mit Cojónes“ gilt es, die kreisende Oberkörperbekleidung auf Kommando durch die Halle zu werfen, bevor der finale Konfettiregen auf die Zuschauer prasselt. Wie so etwas aussieht, hat Fotograf Paul Ripke für Marteria visuell in „Auszeit“ festgehalten.

Im Video übrigens interessant zu beobachten, dass anscheinend bei jedem Konzert genau in der Mitte des Publikums ein rotes bengalisches Feuer losgeht …

Nach der Show haben wir uns mit einigen Leuten unterhalten, die alle restlos begeistert von der Show waren. Kein Einziger hatte etwas zu bemängeln. Leider wollten sich keine Mädls mehr nach dem Konzert ablichten lassen, aber dennoch haben wir ein paar Unerschrockene gefunden, die uns auch ihren nackten Oberkörper präsentierten.

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„Das mit den Leiberln war das Beste“, ist sich dieser Konzertbesucher sicher, der sonst eher amerikanischen Rap von Eminem und Kanye West hört.
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„Wir sind ziemlich große Fans“, erzählen uns diese beiden in Fanware gekleideten Wiener (17 & 18). Sonst hören sie alles außer Heavy Metal, von den österreichischen Rappern mögen sie Skero besonders.

Letzte Info zum Schluss: Das Team von Viva Con Agua Wien konnte gestern doch glatt 526,89 Euro für ihre Projekte in Afrika sammeln, wie sie heute auf ihrer Facebook-Seite bekannt gegeben haben.

Text: Julia Gschmeidler
Fotos: Alexander Gotter