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Traurige Liebeslieder: James Blake mit „Assume Form“ // Review

Traurige Liebeslieder: James Blake mit „Assume Form“ // Review

(Polydor/VÖ: 18.01.2019/Fotoquelle: Label)

Ein wenig surreal wirkt er noch, dieser eindrucksvolle Aufstieg des Post-Dubstep-Meisters James Blake, der sich trotz des großen Erfolgs die Aura eines Nischenkünstlers bewahren konnte. Welcher er natürlich nicht mehr ist. Das zeigte sich schon auf dem letzten Album „The Colour in Anything“ (2016). Namen wie Bon Iver, Rick Rubin und Frank Ocean in den Credits bezeugten damals einen erhabenen Status im Musikgeschäft. Noch viel stärker als bei „The Colour in Anything“ steht jedoch das neue Album „Assume Form“ unter dem Stern, dass dieser James Blake längst in der Popwelt angekommen ist.

Argumentativ unterfüttert wird jenes mit einem Blick auf seine Diskografie der vergangenen drei Jahre, in der Kollaborationen mit Beyoncé, Travis Scott, JAY-Z und Kendrick Lamar aufscheinen. Allesamt Branchenkönige, die an der Soundästhetik des Briten Gefallen gefunden haben. Damit aber nicht genug, ist sein Name dank einer Liaison mit Schauspielerin Jameela Jamil („The Good Place“) nun auch Lesenden von Klatschblättern bekannt. Ein neuer Grad an medialer Aufmerksamkeit, die James Blake seither zuteil wird.

Naheliegend daher die Vermutung, dass sich diese Entwicklungsschritte auf das neue Album auswirken mussten. Seine Arbeit im HipHop-Umfeld setzt Blake auf „Assume Form“ mit tatkräftiger Unterstützung aus diesem Metier konsequent fort. So sind auf dem Album die Lichtgestalten Travis Scott, André 3000 und Metro Boomin vertreten. Für andere Gefilde stehen die weiteren Features, Neo-Flamenco-Queen ROSALÍA und der formidable Singer-Songwriter Moses Sumney. Namen, mit denen James Blake nicht nur seinen Sensor für trendige, wenngleich noch unter dem Radar des Mainstreams befindliche Künstler aufzeigt. ROSALÍA und Sumney sollten auch stilistisch gut mit seinen entschleunigten Tönen zurechtkommen.

Der Startschuss in das Album erfolgt aber ohne Feature. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn: Auf dem Opener und zugleich Titeltrack wird ein Sample aus dem Stück „Depression“ des Spoken-Word-Künstlers Rage Almighty heruntergepitcht in eine für den Briten so typische Piano-Komposition eingebaut. Mit seinem bekannt kummervollen Falsett führt Blake die Stimmung tief hinein ins Melancholische. Das ist seine Kernkompetenz, die auch „Assume Form“ prägt.

Besonders intensiv kommt diese auf der Piano-Ballade „Don’t Miss It“ zum Vorschein. Wie im Titeltrack widmet sich James Blake hier Depressionen, ein wiederkehrendes Thema des Albums. Die jedoch nicht das gesamte Spektrum ausmachen, ist „Assume Form“ in erster Linie eine Bündelung von Songs über Liebe; denen der Geschmack von Trennungssongs anhaftet, was nun einmal an der Stimme von Blake liegt. Eine Stimme, mehr Segen als Fluch, wie der rührende, die Schlafprobleme der Freundin adressierende Abschlusstrack „Lullaby for My Insomniac“ beweist („If you can’t/I’ll stay up, I’ll stay up too/I’d rather see everything as a blur tomorrow/If you do“).

Was auf „Assume Form“ stets hervorragend funktioniert, ist das Zusammenspiel mit den Featuregästen, die sich auf unterschiedliche Weise bereichernd auf Sound und Inhalt auswirken. Metro Boomin verleiht James Blake jene HipHop-Konturen, die in einem unwiderstehlichen Slow-Trap-Burner wie „Mile High“ resultieren. Während auf „Mile High“ Travis Scott sein Programm abspult und sich als ideales Verbindungsstück zwischen den Granden Blake und Metro Boomin erweist, kommt auf „Tell Them“ Moses Sumney diese Rolle zu.

Gesanglich liegt der agile Moses Sumney nicht nur eine graziöse Performance hin, sondern harmoniert in der One-Night-Stand-Abhandlung auch ausgesprochen gut mit James Blake. Der Beat bündelt musikalische Spezifika von Metro Boomin und James Blake und oszilliert zwischen Electro-Pop in seiner sexiesten Form und HipHop mit überbordendem Coolness-Level. Metro Boomin, das wird nach dem zweiten gemeinsamen Song klar, hat James Blake definitiv positiv beeinflusst.

Kein Leistungsgefälle liegt bei den restlichen Features vor. ROSALÍA erscheint in „Barefoot in the Park“ ähnlich sehnsuchtsvoll wie James Blake, der dem Track zum Ende hin mit hochgepitchten Vocals noch einen fulminanten Feinschliff verpasst. Erwartet spektakulär fällt mit „Where’s the Catch?“ die Kollabo mit André 3000 aus, der auf einem unruhigen Piano-Loop verkopfte Lyrics über Mental Health darbietet („All my pets are mystic, keeps me in a cage/Aww, my head is twisted, keeps me spinnin‘ ‘round for days“). Der Beat wimmelt nur so von kleinen Details, mit denen sich Soundtüftler James Blake auszeichnen kann.

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Das überrascht nicht, da musikalische Grenzen dem Denken von James Blake auch auf „Assume Form“ fern sind. Spuren von so unterschiedlichen Künstlern wie The Manhattans, Valerie Armstrong, Sister Irene O’Connor oder Bruno Nicolai finden sich auf dem Album, die jeweils ihren Teil zum Stimmungsbild beitragen. „Assume Form“ ist somit irgendwo zwischen HipHop, R’n’B und (Electro-)Pop anzusiedeln. Die Vielzahl der Songs, vor allem jene im Mittelteil, sind ungemein eingängig, viel eingängiger als die meisten James-Blake-Songs der Vergangenheit. Ein Entwicklungsschritt, der logisch erscheint, sich aber keineswegs schmerzhaft vollzieht.

Fazit: Das vierte Album von James Blake zeigt eine künstlerische Weiterentwicklung auf, wird der typische Post-Dubstep-Sound mit neuen Elementen angereichert. Das trägt zur Spannung von „Assume Form“ bei. Die Featuregäste sind hervorragend gewählt, wobei diese wie nie zuvor auf einem James-Blake-Release in den Vordergrund treten. Inhaltlich wird mit den Mental-Health-Songs starke Kost geboten, die Liebessongs gehören zu den besten ihres Fachs. „Assume Form“ ist ein Beweis dafür, dass James Blake mit beiden Beinen im Pop angekommen ist. Wenn aber solche Musik daraus resultiert, ist das nur gut.

4 von 5 Ananas