"The hardest thing to do is something that is close…
Vor der Ankunft Kanye Wests galt Wyoming als wenig schillernd. Lagerfeueratmosphäre, Cowboys und konservative Politiker, dafür steht gemeinhin der bevölkerungsärmste US-Bundesstaat in den Rocky Mountains. Kanye West hat dieser Assoziationskette nun ein popkulturelles Glied hinzugefügt. Im Wyoming-Städtchen Jackson veranstaltete er am Donnerstagabend nicht nur die illustre Releaseparty zu seinem neuen Album „ye“, sondern nahm dort auch das gesamte Werk auf und nutzte die ästhetisch ansprechende Landschaft als Covermotiv für sein achtes Solowerk: iPhone ausgepackt, Bergmotiv erfasst, Foto gemacht, Schriftzug „I hate being Bi-Polar its awesome“ drübergeklatscht, fertig. Wyoming, ab sofort untrennbar mit Kanye verbunden.
Ob das alles wirklich so gewollt war oder ob Kanye lediglich aus der Not eine Tugend machte, darüber lässt sich streiten. Denn für „ye“ war ursprünglich der Titel „LOVE EVERYONE“ angedacht, inklusive eines Jan-Adams-Porträts als Cover. Ein bemerkenswertes, aber zum Titel passendes Statement, ist Jan Adams schließlich der plastische Chirurg, der jene verhängnisvolle Schönheitsoperation an Kanyes Mutter durchführte, an deren Folgen sie verstarb. Jan Adams war nicht wirklich glücklich über die zweifelhafte Ehre und erwiderte Kanyes Pläne mit einem Verneinen jeglicher Schuld, einem Verweis auf Nachlässigkeiten seitens der Krankenschwester, die Donda West betreute und mit der Bereitschaft, die Tragödie Face-to-Face bereden zu wollen. Kanye West zeigte sich auf seinem momentanen Lieblingstool Twitter hocherfreut über diese Antwort. So erfreut, dass Kanye nicht mehr das Bedürfnis nach einem Album namens „LOVE EVERYONE“ hatte, sondern kurzerhand „ye“ daraus machte.
Aber nicht nur die ursprüngliche Cover-Idee und der Albumname wurden verworfen, auch musikalisch ist vom einst angekündigten Feldzug der Liebe wenig zu hören. Kanye West beginnt das sieben Tracks umfassende Album vielmehr mit dem dramatisch betitelten „I Thought About Killing You“ und schockiert nach einem Autotune-Einstieg, unterstützt von Francis & The Lights, mit ungeschminkten Aussagen über sein Seelenleben, die infolge einer Unterhaltung mit sich selbst fallen: „I think about killing myself, and I, I love myself way more than I love you“, lautet die bewegteste Zeile auf der Spoken-Word-Sequenz von „I Thought About Killing You“. Danach setzt die Bassline ein, Kanye beginnt zu rappen. Highlights des Parts sind der furiose Beatwechsel nach den Zeilen „I’ma make my name last, put that on my last name/It’s a different type of rules that we obey“ und sein gelungener Flowwechsel. Insgesamt liegt die Spezialität des Openers jedoch zweifelsfrei in seiner schonungslosen lyrischen Offenheit.
Nahtlos erfolgt der Übergang zu „Yikes“, auf dem Drogen im thematischen Mittelpunkt der textlichen Anstrengungen liegen. Der unterkühlte Beat in „Wolves“-Manier und entsprechende melodische Reminiszenzen in der Hook erschaffen erneut das Gefühl, hier gerade etwas Großem beizuwohnen. Ein Gefühl, das allerdings von einigen misslungenen Zeilen konterkariert wird. Dabei handelt es sich nicht um die Drogenbeichte, die Stein des Anstoßes ist, sondern um die Zeilen „Russell Simmons wanna pray for me too/I’ma pray for him ’cause he got #MeToo’d/Thinkin‘ what if that happened to me too/Then I’m on E! News“. Mindestens diskutabel. „Yikes“ beendet Kanye West mit einem Superman-Outro, zugleich eine Bezugnahme auf die der Bipolarität inhärenten Stimmungsschwankungen. Ein unerwarteter, aber doch in seiner Absicht stimmiger Abschluss des ausgereiftesten Songs auf „ye“.
Wem das an Eloquenz bisher nicht reicht, sollte an dieser Stelle das Album schon ausmachen. Denn im Folgenden treten Kanye Wests teilweise eklatante lyrischen Schwächen immer offener zu Tage. Besonders missraten die West-Parts zu „All Mine“, wo die Zeilen „I love your titties, ’cause they prove/I can focus on two things at once“ und „Ayy, none of us would be here without cum“ nur die Speerspitze einer kompletten lyrischen Unzulänglichkeit darstellen. Die Produktion – immerhin beginnt die ganze Chose mit epischen Orgel-Sounds – rangiert bei „All Mine“ zwar auf einem ähnlichen Niveau wie „Yikes“, und auch die unkonventionelle Hook von Valee gefällt. Nur Kanye zieht den Song mit seiner ungelenken, plumpen Wortwahl runter.
Ein Umstand, der sich auf den nächsten Nummern wiederholt: Das soulige „Wouldn’t Leave“, das an Kanyes Frühzeiten erinnert und in dem er lyrisch auch auf sein berüchtigtes TMZ-Interview vom April anspielt („Slavery is a choice“), ist eine reichlich inspirationslose Entschuldigung an Ehefrau Kim. „No Mistakes“ baut dann durch ein gut gewähltes Sample der Slick-Rick-Nummer „Hey Young World“ und einer starken Hook von Charlie Wilson und Kid Cudi reichlich Spannung auf, die Kanye West dann mit seiner Nichtbegabung als Rapper im Handumdrehen zu einem Ende bringt. Ein Meister im Umgang mit Worten ist er einfach nicht. Umso weniger vorteilhaft, dass ein Thema wie jenes in „No Mistakes“, welches die Schattenseiten des Ruhmes behandeln soll, gerade so einen braucht, um nicht in der Beliebigkeit zu enden.
Auf den letzten Songs des Albums gelingt es dem Gatten von Trump-Besucherin Kim Kardashian ebenfalls nicht, seinen eigenen Songs einen Stempel aufdrücken. Auf „Ghost Town“ mit Shirley-Ann-Lee-Sample und E-Gitarren, die an „Devil in a New Dress“ erinnern, degradieren die Features Kid Cudi, PARTYNEXTDOOR und vor allem 070 Shake Kanye West zur Randfigur. 070 Shake, die zuletzt mit einer famosen Hook auf Pusha-Ts „Santeria“ auf sich aufmerksam machte, hinterlässt auf „ye“ generell einen starken Eindruck und brilliert auch in der Hook von „Violent Crimes“, womit sie Kanye, der in seinen Zeilen nachzeichnet, wie sich durch die Geburt seiner Tochter die Sichtweise auf Frauen änderte, frech die Show stiehlt. Mit einem Outro von Nicki Minaj auf „Violent Crimes“ endet dann ein 24 Minuten kurzes Album, das musikalisch den gleichen Spirit wie sein Cover atmet. Nämlich den eines Schnellschusses.
Fazit: Kanye West befindet sich gerade in seiner Workaholic-Phase. Die Qualität seiner Produktionen auf „ye“, die überwiegend im Verbund mit Südstaaten-Legende Mike Dean entstanden, bewegt sich trotz des hörbaren Zeitdrucks auf einem bekannten Qualitätsniveau. Innovationen und neue Impulse für die Popindustrie sucht man auf dem Album jedoch vergebens. Kanye West kocht stattdessen seine bekannten Süppchen auf. Gut, aber risikoarm. Neben den amtlichen Produktionen gefallen die Gäste, die stets auf ordentlichem Niveau ihrer Beiträge abliefern. Nur mit dem Rappen, da hat Kanye West aufgrund fehlender Eloquenz so seine Probleme, wodurch „ye“ in der Gesamtbetrachtung doch einen gemischten Eindruck hinterlässt. Vielleicht sich einfach mehr Zeit lassen und das nächste Mal ein paar Ghostwriter nach Wyoming zur Unterstützung holen. Platz ist dort ja genug.
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