Ein nebliges, dunkles Grün lässt uns wissen, dass der Titel von Kendrick Lamars „Untitled Unmastered“ nicht nur auf die Musik, sondern auch auf die Botschaft zu verstehen ist. Wir werden an das hervorragende „I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside“ von Earl Sweatshirt erinnert. Doch das Artwork ist nicht das Einzige, das die zwei Rapper – so unterschiedlich ihr Hintergrund auch sein mag – verbindet. Sowohl vom musikalisch alternativem Ansatz als auch in einer grundlegenden philosophischen Einstellung zu den Problemen der Welt gibt es Gemeinsamkeiten.
Lasst euch jedoch nicht täuschen: Kendrick Lamar ist ein Rapper der Mainstream-HipHop-Industrie. Auf den Billboards- und Grammy-Listen dieser Welt steht er konstant hoch im Kurs. Er hat einen Vertrag mit Reebok unterzeichnet, und so die im Rap zentrale Komponente der Kleidungsindustrie in seinen Gesamtmythos miteingebaut. Er ist das, was Musikmanager wohl über kurz oder lang zur Marke erklären müssen. All diese Tatsachen können der Substanz hinter seiner Poesie, die man auf „Untitled Unmastered“ zur Genüge vorfindet, jedoch nichts anhaben. Die unbedrohliche, befriedende Stimme war seit seinen Karriereanfängen ein charmantes und gut vermarktbares Merkmal. Gleichzeitig ist sie jedoch auch als Antithese zu der ungebündelten und vor allem ziellosen, nihilistischen Aggression des gemeinen Dab-Rappers, als auch als eine Verkörperung der neuen schwarzen Stimme des Volkes zu verstehen – die es satt hat, in zu simplifizierende Schubladen gequetscht zu werden. Insofern ist die zweifellose Prominenz des Hauptdarstellers ein weiteres Beispiel für die Redewendung Wolf im Schafspelz.
Umso mehr verwundert es, dass einige Instrumentals – namentlich „untitled 02 l 06.23.2014.“ und der Anfang von „untitled 07 l 2014 – 2016“ – hervorragend zu Künstlern wie Young Thug oder Future passen könnten, die ein ganz anderes individuelles Bewusstsein ansprechen. Die mechanischen Songtitel erweitern die Gesamtkonzeption des Projektes um eine weitere Ebene. Der starke Ohrwurmcharakter steht im Kontrast zur funktionalen Benennung. Stellt euch mal vor, jemand nimmt Musikwünsche entgegen, und ihr müsst einen Titel aus dieser Liste verlangen? Wie heißt der Song nochmal? Durch solche strategischen Entscheidungen (falls sie mutwillig sind) bleibt Kendrick Lamar im Gedächtnis der Spotify-Gesellschaft des Musikkonsums im Sekundentakt. Es fällt aus der Reihe, und verlangt eine genauere Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk. Genau dasselbe trifft auf den Sound im Allgemeinen zu: Trotz einer klaren Verwurzelung im HipHop und Soul entsteht hier ein ganz neuer Hybrid. Obwohl die Vermischung von Jazz, Funk und Rap nichts Neues ist, hört man hier nichts, was ausgelutscht klingt. Eher hört man nochmal genauer hin, weil die Abläufe von Trap-lastigen Beats zu Free-Jazz-Poetry hier so unheimlich organisch ablaufen.
Vor allem aber ist „Untitled Unmastered“, wenn man es als Nachfolger von „To Pimp a Butterfly“ versteht, ein mutiges Statement auf mehreren Ebenen. Einerseits im Sinne der Verkaufsstrategie, ein Album spontan und ohne klare und einfach vermarktbare Ästhetiken zu veröffentlichen. Und andererseits weil klar wird, dass Kendrick Lamars Sound, seine produzierte Musik, kein musikalisches Produkt im eigenlichen Sinne ist, oder besser gesagt sein will. Allein der Titel suggeriert das. Vielmehr merkt man beim Hören selbst, dass hier vor allem organische Meinungen ausgedrückt werden – und schließlich eine Leidenschaft für Menschen, für Gleichberechtigung, für Musik, für Funk, für Jazz, für Soul und schließlich für Rap gelebt wird. Es sind die künstlerischen und lyrischen Ergüsse eines jungen Mannes, der sich einerseits seiner Rolle im Geschäft bewusst ist, sich aber andererseits konstant weigert, Kompromisse einzugehen und seinen Kopf irgendwie so zu beugen, wie es ihm nicht passt. Um zum ebenso unbeugsamen Albumnamen zurückzukommen: Untitled, weil ein Titel überflüssig ist, wenn die Musik für sich selbst spricht. Unmastered, weil die Zeit der Sklaverei vorbei sein sollte.
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