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Kitana erntet ihre Lorbeeren // Interview

Kitana erntet ihre Lorbeeren // Interview

Als Mittzwanzigerin hat Kitana schon viel erlebt – in und abseits der Musikwelt. Für eine professionelle Umsetzung ihres Debütalbums hat die in Wien lebende Rapperin teils unkonventionelle, aber durchdachte Vorarbeit geleistet. Dass die Gewinnerin des The Message Newcomer-Awards 2021 nun die Lorbeeren ernten möchte, untermauert der Albumtitel. Am Vorabend des Releases mit einer Show im Wiener Werk eingeläutet, ist „Lorbeeren“ am 21. Oktober über das Universal-Sublabel MOM I MADE IT erschienen. Ein guter Anlass für ein Gespräch mit Kitana. Wir haben sie in einem Wiener Lokal getroffen.

Mit satt klingenden, aber gleichzeitig reduzierten Beats von Melik und Fuzl ausgestattet, muten die Tracks über weite Strecken düster an. Kitana nimmt darin viel Bezug auf ihren Lebens- und Karriereweg – zwischen Novi Travnik, der Heimat ihrer Eltern in Bosnien, Kärnten, wo sie geboren und aufgewachsen ist und der neuen Wahlheimat Wien-Ottakring. Szenische Auszüge beinhalten Kapitel wie die Familienfluchtgeschichte im Balkankrieg, die Jugend, die Drogenvergangenheit, das Gefangensein in schlechten Kreisen, die entstandene Hassliebe zu Wien und existenzielle Krisen. Das zwischendurch aufflackernde süße Leben ist vielleicht mit der Lupe zu finden. Den 12 Tracks ist anzuhören, dass die Leidenschaft für gediegene Raptechnik und -lyrik Kitana schon viele Jahre begleitet. Flows, Rhymes, Storytelling, Punchlines, Wortspiele und Vergleiche sind ausgefeilt. Als markant erweist sich darüber hinaus nicht nur ihre Stimme, sondern auch der Style und das bereits aus Singles bekannte Adlib-Game. Kitana versteht ihr Handwerk, daran gibt es nichts zu zweifeln. Zeit, einen Blick zurück zu werfen.

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Start in der Provinz

Rewind, Ende der 00er-Jahre. Im Elternhaus in Villach läuft ausschließlich Balkan-Folk – von üblichen Verdächtigen wie Sinan Sakić, Lepa Brena oder Mile Kitić. Als Früh-Teenagerin entdeckt Matea, wie Kitana bürgerlich heißt, dank MTV-Videos und älterer Geschwister die Rap-Welt für sich. „Zu brennen begonnen hat es in den Aggro-Berlin-Zeiten. Da habe ich angefangen, Texte zu schreiben. Ich wollte unbedingt so sein wie sie“, sagt Kitana.

Schon bald folgte, damals noch unter einem anderen Künstlernamen, die erste Track-Veröffentlichung „Tagträume“ auf Soundcloud – die Spuren sind längst verwischt. Aggro Berlin und Tagträume? Ein Sprung, der zeigt, wie früh die Rapperin damit begonnen hat, ihre Fühler in diverse Richtungen auszustrecken. „Ich war immer schon poetisch. Meine ersten Schritte beim Writen waren Gedichte mit 12, 13 Jahren“, sagt sie. „Es war schon bisschen wie ‚Lorbeeren‘, düster, melancholisch mit bildlicher Sprache und vielen Metaphern. Ich habe versucht, meine Emotionen auf Papier zu bringen – das war das erste Ventil“.

KITANA

„Ich habe versucht, meine Emotionen auf Papier zu bringen – das war das erste Ventil“

Die elterliche Belohnung eines guten Schulzeugnisses ermöglichte die Errichtung eines kleinen Homestudios. „Wir hatten nicht viel Geld und mussten schauen, wie wir über die Runden kommen. Ich bin ihnen sehr dankbar dafür.“ Erste Song-Releases öffneten der jugendlichen Kitana Türen zu lokalen Musikerkreisen und einem gut vernetzter Mentor. „Er hat mir Songwriting und Toplining erklärt und gezeigt, wie man Tracks bei der GEMA und AKM anmeldet.“ Ambitionen, ins Musikbusiness einzutauchen, ließen nicht lange auf sich warten. So setzte sich die Rapperin bald zum Ziel, neben der Arbeit an eigenen Tracks auch Teil der Songwriter-Szene zu werden. Sie besuchte Camps, feilte an ihren Skills.

Mit Beat- und Studiounterstützung des Villachers DJ Cursive startete die Rapperin in den frühen 2010er-Jahren ihre VBT-Online-Battlekarriere, die zwei, drei Turniere andauerte und aus der noch ein Featuretrack mit 2kSpike aufrufbar ist. Zunächst DIY-mäßig gedreht, führten sie gestiegene Video-Ansprüche zu Mario Köstinger und Atsche, der zunächst das Color-Grading übernahm. Auch als Rap-Partner beeinflusste Atsche die weitere stilistische Entwicklung von Kitana. „Er hat damals mit Autotune gearbeitet, das war bei uns vorher ein No-Go. Ich habe mit ihm begonnen, moderneren Shit zu machen und gemerkt, dass wir irgendwie Vorreiter waren. Es war noch die Zeit, in der, wenn du Autotune verwendet hast, jeder gesagt hat: ‚Boah, du bist ultrawack‘. Kurz darauf kam ‚Kokaina‘ von Miami Yacine raus und spätestens da war Autotune allgegenwärtig.“ Die Zusammenarbeit mit Atsche startete vor einigen Jahren, bis 2020 sind einige Singles erschienen. Auch künftige Kollabos möchte Kitana nicht ausschließen.

Keine Zeit für eigene Tracks

Mit 21 Jahren tauchte Kitana hauptberuflich in die Finanzbranche ein. Der neue Alltag? Bis zu 80 Stunden pro Woche im Bereich M&A und Corporate Finance ackern, Investoren für Unternehmen suchen, Deals abwickeln, ständig unterwegs sein. In anderen Worten: Keine Zeit für die Arbeit an eigenen Tracks. All das aber auch mit dem Hintergedanken, sich eine gute Ausgangslage für die Produktion eines Albums zu verschaffen, wie sie betont. „Ich wusste, dass ich Geld brauche, wenn ich Musik machen will – für Produktionen, Videos, Masterings und so weiter. Die Situation, dass man leicht zu einem Deal kommt, wo jemand deine Produktion finanziert, war damals noch nicht so. Dann habe ich mir in den Kopf gesetzt, dass ich zwei Jahre dieses Business in Wien mache.“ Der Plan scheint aufgegangen zu sein. „Seit dieser Zeit steht meine musikalische Infrastruktur so, dass ich es wirklich professionell machen kann – und dann kam auf einmal der Labeldeal, mit dem ich nicht gerechnet hätte. Dann hatte ich das Budget, um zu sagen, ich lasse den Track zum Beispiel bei Lex Barkey mastern.“

Trotz der Ambitionen ging der Umzug nach Wien mit einem musikalischen Rückzug einher – zumindest was ihre eigene Karriere angeht. „Du bist halt im Alltagstrott. Man lässt sich auch schnell ablenken. Neue Stadt, neuer Job, viele Clubs, viel Rausgehen und Spaß mit Freunden haben“. Auch die Drogenthematik hat Kitana in die neue Stadt begleitet, wie auch auf dem Album zu hören ist. Dem Songwriting blieb sie während ihrer Schaffenspause als Rapperin treu. Sie arbeitete mit Kim Lamarin und Dykris an modernen Tracks für den Balkanmarkt – darunter „Kontra“, „Kukas“, „99+“ oder „Bebo“. „Die zwei Mädels haben mir die Tür geöffnet und das Feuer in mir wiederentfacht. Ich habe gemerkt, dass ich es liebe, im Studio zu sein und Texte zu schreiben. Dadurch habe ich selbst wieder viel gemacht, auch mit Atsche.“

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Bis heute nicht erloschen ist Kitanas in Jugendzeiten entstandenes Faible für Schlager – insbesondere im Songwriting-Kontext und ausschließlich für andere Artists, denn eine Schlagerkarriere könne sich die Rapperin nicht vorstellen. Wie sich das Songwriting im Schlager und Rap generell vergleichen lässt? „Du schreibst auch viel auf Toplines und die Tracks leben stark von Melodien. Beim Schlager sind es relativ kurze Parts, es braucht eine catchy Hook und catchy Parts. Von der Sprache ist es natürlich schmierig und schnulzig, es geht auch immer ums selbe Thema, die Liebe, man hat weniger Spielraum als im Rap“.

„Es muss krass sein, fertig aus“

Seit 2021 ist die Rapperin unter dem Namen Kitana aktiv und forciert ihre Solokarriere. Nach Freestyle-Videos auf 90s-Beats und mehreren Singles wie „Block“ oder „Viel/Runnin“ mit ihrem Sound-Engineer Beloskoni als Featuregast ist das nun erschienene Album ein erster Meilenstein. Inwieweit sich Kitana durch den Namenswechsel und die markante Frisur mit vier geflochtenen Zöpfen als Kunstfigur sieht? Darauf gibt sie eine klare Antwort. „Ich habe ja nicht eine Kunstfigur erfunden und mir gedacht, jetzt präsentiere ich mich so und ziehe mich so an. Ich bin genau das, was ich im echten Leben bin. Ich stehe hinter mir und habe kein Problem mit dem, wie ich bin. Deshalb bin ich auch sehr selbstbewusst, was mein Auftreten in der Musik angeht.“ Eine Aussage, die sich durchaus mit den persönlich gehaltenen Texten des Albums deckt.

Schon vor dem Album sorgte Kitana auf den Singles für prägnante Aussagen und Lines, darunter „Ja ich fick halt gern mit Frauen“ im Track „Grau“. Ein Outing, direkt und in aller Kürze auf den Punkt gebracht – in einer Welle, in der Probleme im deutschsprachigen Rap offensiver thematisiert und ein gestärktes Bild von Sexualität gekommen ist. Dass Kitana betont, die Line viel mehr einfach so rausgekickt als gezielt durchdacht und getimt zu haben, charakterisiert den Zugang an ihre Tracks. „Ich war vollkommen entspannt und habe mir null Gedanken darüber gemacht, ob ich es so sagen kann oder ob es jemanden stört, dass ich eine Freundin habe und homosexuell bin. Es war mir völlig egal.“

Auch zu den Ansprüchen an ihre Lines und den Sound äußert sich Kitana bestimmt. „Ich überlege mir nicht, was ins Thema passt, was ich sagen oder nicht sagen kann, oder was gerade der Sound für Playlists ist. Ich habe meinen eigenen Anspruch: Es muss krass sein, fertig aus.“ In der Ausgestaltung dieser Krassheit sieht sie freilich Spielraum. „Manchmal lege ich Wert auf einen krassen Flow, mal muss es ein krasser sechssilbiger Reim sein, mal eine krasse Punchline und so weiter. Bei manchen Tracks vereine ich alles bisschen. Wenn man das ganze Album hört, merkt man eh in der Lyrik und in der Raptechnik, bei welchem Track ich worauf geachtet habe.“