"The hardest thing to do is something that is close…
Leider erlebte der Rock-Poet Lou Reed seine Aufnahme in die prestigeträchtige „Rock’n’Roll Hall of Fame“ nicht mehr mit. 2015 wurde ihm diese Ehre als Solo-Künstler zuteil, knapp 20 Jahre, nachdem ihm das mit seiner Band The Velvet Underground gelang. Wie 1996 hielt 2015 die Punk-Ikone und Reeds Vertraute Patti Smith eine Einführungsrede. Diese stand ganz im Zeichen der menschlichen und künstlerischen Fähigkeiten Reeds, die Smith auf bewegende Weise benannte. So hob sie Reeds großes Talent hervor, Schmerz und Schönheit gleichermaßen verstanden zu haben. Zudem sei er ein Poet gewesen, dem es gelang, seine Poesie in der direktesten und rührendsten Form auszudrücken. Es sind diese Charakterisierungen, die frappant an jemanden erinnern, den man vor wenigen Jahren noch ganz, ganz weit von einer Größe der Marke Lou Reed entfernt verortete: an Mac Miller.
Unter tragischen Umständen verstarb Mac Miller viel zu früh im Jahr 2018. Lediglich 26 Jahre wurde der Rapper aus Pittsburgh alt. Neben der menschlichen Tragödie ein außerordentlicher musikalischer Verlust, konnte sich Mac Miller innerhalb von zehn Jahren vom belanglosen Weed-und-Sneaker-Rapper zu einem der spannendsten Künstler im HipHop-Bereich entwickeln – zu jemandem, der sich musikalisch mit Soul, Folk und Jazz auseinandersetzte und in den letzten Jahren seiner Karriere keine Scheu hatte, über tabuisierte Themen zu rappen.
Den Höhepunkt seines musikalischen Schaffens veröffentlichte Mac Miller wenige Wochen vor seinem Tod mit seinem fünften Album „Swimming“. „Swimming“ besticht durch ungeschminkte Einsichten in die seelischen Wirbelstürme, die Mac Millers Leben so erschwerten. Keine leichte Kost. Doch gleichzeitig verfügt „Swimming“ über schöne Seiten, Zerstörung und Neugeburt gehen auf dem Album Hand in Hand, Mac Miller deckt beide Pole ab. Wie auf „Swimming“ kann nur einer texten, der Schönheit und Schmerz gleichermaßen versteht.
Trotz aller Qualitäten fühlt sich „Swimming“ als Schlussstrich unter der Karriere Mac Millers nicht richtig an. Ein „wirklicher“ Abschluss fehlte seiner Diskografie noch. Diese Lücke soll das erste posthume Album „Circles“ schließen. An dem „Swimming“-Epilog arbeitete Mac Miller gemeinsam mit Superproduzenten Jon Brion, der sich schon Kalibern wie Frank Ocean, Kanye West oder Fiona Apple annahm. Gemeinsam konnten sie das Werk nicht mehr abschließen. Dieser Part kam dann Brion zu.
Eine durchaus herausfordernde Aufgabe, sind posthume Alben schwierige Veröffentlichungen. Auch „Circles“ kann sich nicht davor verwahren, unter dem Eindruck des frühen Todes Mac Millers zu stehen. Die dunklen Texte schlagen so noch brutaler auf, emotionalisieren noch stärker als ohnehin schon.
Ein ständig wiederkehrendes Motiv in den Lyrics des Albums sind Depressionen, wenngleich die musikalische Umsetzung anderes vermuten lässt. „Circles“ besteht aus träumerischen, luftigen Sound-Collagen, die nur dünne, ausgefranste Fäden zum HipHop-Sound, dafür einige Stränge Richtung Folk, Indie und Jazz aufweisen. Gesang hat auf „Circles“ eindeutig den Vorrang gegenüber Rap: Mit „Hands“ befindet sich gar nur ein einziger klassischer Rap-Track auf dem Album, der mit einem gepitchten Vocal-Snippet an Millers „Faces“-Zeit (2014) erinnert. Zu großen Teilen spielten Mac Miller und Jon Brion die Songs mit Live-Instrumenten selbst ein. Wo nötig, holten sie sich namhafte instrumentelle Verstärkung, unter anderem von der Bassistin und Prince-Kollaborateurin Wendy Ann Melvoin oder vom Ex-Pearl-Jam-Drummer Matt Chamberlain.
Es spricht für Brion und Miller, dass musikalisch und textlich vieles auf „Circles“ an die Großwerke Lou Reeds erinnert. Der Titeltrack mit zitterndem Vibrafon, sanften Cymbals und träumerischer Akustik-Gitarre weckt etwa Reminiszenzen an Reeds „Walk on the Wild Side“ (1972). Inhaltlich geht der Song in die Richtung von Reeds „Vicious Circle“ (1976): Statt „You’re caught in a vicious circle/And it looks like it will just never end“ heißt es bei Miller „I just end up right at the start of the line/Drawin‘ circles“. Es ist aber dieselbe Form der Melancholie, die Reed wie Miller mit ihren Texten erzeugen.
Diese Melancholie prägt auch den bittersüßen 80ies-Beziehungssong „I Can See“, der stark an „Sunday Morning“ (1967) von The Velvet Underground erinnert. Beide Songs fangen schließlich der Moment des Abschiednehmens nachfühlbar ein. Eine Zeile wie „Life is a fantasy until you wake up in shock“ ist zudem Millers Beleg, dass er wie Reed seine Poesie auf direktem und rührendem Weg ausdrücken konnte.
Auch das unter Mithilfe des deutschen Produzenten-Duos David x Eli entstandene Herzschmerz-Drama „Woods“ kann in dieser Disziplin überzeugen. Hier schwebt Lou Reeds großer Geist ein weiteres Mal über eine „Circles“-Komposition: Für „Woods“ gibt „Pale Blue Eyes“ (1969) den seelenverwandten Song, auf Reeds „Thought of you as everything/I’ve had, but couldn’t keep“ antwortet Miller mit „It’s been my fault, I keep it safe, it’s in the vault/Blindfolded, keep it going ‘til we hit a wall“.
Für die emotionale Tiefe sorgt nicht zuletzt Mac Millers kratziges Organ. In der Vergangenheit kam er bei Gesangspart immer wieder ins Schleudern, hohe Register gestalteten sich oft problematisch. Auf „Circles“ klingt seine Stimme jedoch viel reifer und vielseitiger. Trotzdem hört man, dass Mac Miller kein gelernter Sänger ist. Doch auch das verbindet ihn mit Lou Reed. Legendenstatus hin oder her, aber Reeds Stimme war weit von der Perfektion entfernt. „Sweet Jane“ (1970) ist dafür das beste Beispiel. Doch nur Lou Reeds Stimme gab seinen Texten ihre besondere Wirkung. Das gilt auch für Mac Miller.
Ein Track wie „Hand Me Downs“ kann sich daher nur entfalten, wenn Mac Miller mit seiner kummervollen Stimme über das melancholische Spätsommer-Instrumental singt. Oder auf „Good News“ nach positiven Nachrichten fleht. Es ist seine Stimme, die dafür sorgt, dass das soulige „Complicated“ mit der zentralen Zeile „Some people say they want to live forever“ oder das von Brion in Gemeinschaftsarbeit mit Guy Lawrence vom britischen EDM-Duo Disclosure produzierte „Blue World“ so ergreifend klingt. Dabei geht Mac Miller mit einer außerordentlichen Leichtigkeit an die Instrumentals heran, egal, ob es sich um Gitarren-Riffs, Synthie-Sounds oder einem geflippten Sample des The-Four-Freshmen-Tracks „It’s a Blue World“ (1950), das in „Blue World“ zum Einsatz kommt, handelt. Diese Vielseitigkeit als Musiker zeichnet Mac Miller auf „Circles“ aus.
Doch „Circles“ beschwört nicht nur den Geist Lou Reeds hervor. Auch jener der Beatles zeigt sich auf dem Album. „Everybody“, eine nachdenkliche Interpretation der beschwingten Arthur-Lee-Nummer „Everybody’s Gotta Live“ (1972), klingt so, als hätte sich Paul McCartney den Song einverleibt und seinen Kollegen Ringo Starr für die Drums verpflichtet. Ein anderer Beatles-Moment ist „Surf“, das aus der Feder eines John Lennon hätte stammen können. Oder eines Jack Johnson: Der versteht es schließlich ebenfalls, sich auf sonnenbeladenen Feel-Good-Instrumentals der Introspektion hinzugeben. Mac Miller fällt hier im Vergleich kaum ab.
Für den Abschluss darf es wieder Lou Reed sein. „Once a Day“ endet nämlich ähnlich fulminant, wie es 1973 Lou Reed mit „Sad Song“ auf „Berlin“ vollbrachte. Doch wie das Leben von Mac Miller endet „Once a Day“ abrupt, ohne Abspann. Das schmerzt. Ein passenderes Ende hätte Brion aber nicht wählen können, um zu verdeutlichen: Hier ist einer gegangen, der noch viel zu sagen gehabt hätte.
Fazit: Nicht nur aufgrund der posthumen Veröffentlichung hat „Circles“ eine Sonderstellung in Mac Millers Diskografie. Auf seinem sechsten Album unterstreicht er seinen künstlerischen Entwicklungsprozess, der noch lange nicht abgeschlossen war. Das ausgezeichnet mit Live-Instrumenten arrangierte „Circles“ bewegt sich oft vom Rap weg. Das Album ist damit ein Vorausblick, wohin sich Mac Miller zukünftig orientiert hätte. Schon „Circles“ unterstreicht, dass aus ihm ein kluger Songwriter geworden ist. Ein vielschichtiger Musiker, der wie kaum jemand anderer seiner Generation die beiden Pole Schmerz und Schönheit verstanden hat. Mac Miller war einfach der Lou Reed der Generation Z. Das beweist „Circles“.
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