"The hardest thing to do is something that is close…
Rap sollte bei einem Präsidentschaftswahlkampf in Österreich nicht wirklich ein Thema sein. Denkt man – und liegt falsch: Beim absurd-peinlichen Duell auf ATV fiel tatsächlich der Name Nazar, den der freiheitliche Kandidat Norbert Hofer für einen Angriff gegen Alexander Van der Bellen instrumentalisierte. Der spätere Wahlgewinner Van der Bellen antwortete in gewohnter Gelassenheit und betonte, Nazar gar nicht zu kennen. Trotz dessen Unterstützung für seine Kandidatur. Er räumte zwar ein, zu wissen, dass er ein Rapper sei, aber das wäre nun einmal nicht seine Musik. Später erlebte die Beziehung Rapper und Präsidentschaftskandidat eine neue Wendung, als ein gemeinsames Foto viral ging sowie Nazar bei „Stimmen für Van der Bellen“ eine kurze Ansprache hielt. Natürlich Nazars gutes Recht. Ob Alexander Van Bellen oder zumindest sein Wahlkampfleiter sich nicht im Vorhinein ein bisschen über die Songs des Wiener Rappers informieren hätte sollen, steht auf einem anderen Blatt. Dafür wäre Nazars neues Album „Irreversibel“ kein schlechter Einstieg gewesen. Ein Album mit Inhalten, die überwiegend nicht in das liberale Weltbild des langjährigen Grünen-Chefs integriert werden können.
Schon im „Intro“ fliegen lyrisch die Kugeln, Nazar feuert scharf mit der Uzi und der Kalash und präsentiert sich fortlaufend als Vertreter einer Generation unverstandener Underdogs. Für diese findet er Begriffe wie „Generation Darth Vader“ oder „La Haine Kidz“, die zur Konstruktion eines „Wir“ herangezogen werden. Damit bedient sich Nazar dem Standardrepertoire jedes deutschen Straßenrappers. Kann natürlich trotzdem gut klingen – wenn die Umsetzung stimmt. Diese Hoffnung zerstreut sich, wirkt „Irreversibel“ wie ein einziges Déjà-vu: Die Schemata der Hooks ähneln sich ebenso wie die Beats, die zwar kristallklar und druckvoll aus den Boxen dröhnen, aber sich musikalisch kaum von dem durchschnittlichen Straßenrap-Einheitsbrei der vergangenen Jahre unterscheiden. Synthieschwanger und stark von Frankreich beeinflusst – man höre „Kalash“ – ergänzt durch orientalische Einsprengsel. Nicht gerade originell, wie auch seine Lyrics: Nazar predigt genau die gleiche Leier runter wie die Mehrzahl seiner deutschen Kollegen, inklusive identischer Begriffe. Bis auf den Track „Mein Viertel“ lässt Nazar jeglichen Lokalkolorit vermissen, seine österreichische Herkunft ist akustisch nicht auszumachen. Eine Prise mehr Eigenständigkeit und weniger Frankfurt hätte der Platte als Alleinstellungsmerkmal nicht schlecht getan.
Nazar flowt zwar ordentlich (wenngleich seine Vorbilder hörbar sind), ohne im Ansatz lyrisch Wertvolles zu transportieren. Die Tracks wirken zudem wie vom Reißbrett konstruiert, nach dem stürmischen Beginn mit Tracks wie „Hood Life Crew“, indem sich Nazar als „Typ, der zum Puff neigt“ outet, werden mit Liebessongs wie „Signal“ oder „Quadrat & Kreis“ vorhersehbar nachdenklichere Töne angeschlagen. Die Musik soll schließlich im Radio laufen. Wirkt nur etwas seltsam, wenn jemand, der vor wenigen Minuten noch selbstbewusst in Orgi-Manier den Puff plattgemacht hat, plötzlich schnulzigen Liebestrack an schnulzigen Liebestrack packt. War die harte Schale in der ersten Hälfte von „Irreversibel“ vielleicht nur eine Maske?
Bevor sich dieser Gedanke verfestigt, antwortet Nazar mit einem Schlussteil, bestehend aus expliziten Representern. Für einen Track dieser Sorte holt er sich Kurdo an die Seite, der auf „Zackig die Patte“ zwar einen starken Einstieg hat, aber danach genau das abliefert, was man sich von ihm erwartet: Sein Wortschatz dreht sich weiterhin einzig um die Wörter „Kahba“ (sagt Nazar diesmal ebenfalls gerne) und „Schwuchtel“. So viele Tracks aus so einem kleinen Pool an Wörtern zu schreiben, verdient fast schon Respekt. Auch die anderen Gastrapper Mosh36 und Milonair, die Nazar auf „Teheran“ unterstützen, zeigen sich ebenfalls sehr konstant. Konstant unspektakulär. Kurioserweise hat sich gerade Sido für „Mein Viertel“ ein bisschen ins Zeug gelegt. Nach den Feature-Blamagen für Genetikk und Olexesh nicht wirklich zu erwarten. „Mein Viertel“ ist deswegen zwar kein Meisterwerk geworden, aber erstaunlicherweise hörbar.
Hörbar ist das ganze Album, gut klingt dennoch anders. Nazars Eigenschaft, dem Deutschrap neue Facetten hinzuzufügen – wie auf „Fakker“ oder gar auf „Artkore“ mit RAF Camora gelungen – ging auf „Irreversibel“ total verloren. Übrig bleibt ein austauschbares Straßenrap-Album, dem es an Eigenständigkeit, Charisma und Leidenschaft fehlt. Alles klingt dermaßen vertraut, dass an keiner einzigen Stelle ein Gefühl von Spannung aufkommt. Ein Zustand, der sich frappierend von der ATV-Diskussion zwischen Hofer und Van der Bellen unterscheidet. Denn dort war die Luft nicht draußen – bei Nazar, um nach „Irreversibel“ zu urteilen, scheint leider Gegenteiliges der Fall.
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