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Eine Familie zwischen Depression & Patriarchat: OK Kid mit „E05 Im Westen“ // Video

Eine Familie zwischen Depression & Patriarchat: OK Kid mit „E05 Im Westen“ // Video

Wilson Gonzales Ochsenknecht steht im grünen Strickpullover auf der Terrasse eines Einfamilienhauses, raucht eine Zigarette. Die Mutter steht am Herd und kocht das Abendessen für die Familie, der Vater sitzt am Esstisch und lobt den ausgezeichneten Rotwein. Es sind Szenarien des Spießbürgertums, wo Geschlechterklischees nicht infrage gestellt werden dürfen, in einer heilen Welt, in der alles nur so lange heil ist, solange man nicht versucht auszubrechen. Denn ansonsten bröckelt die Fassade des glücklichen Familienlebens ganz schnell, genau das zeigt OK Kid mit ihrem neuen Song „E05 Im Westen“.

Im Video spielt Wilson Gonzales den Sohn, der ausbricht. Beim Abendessen wird die vermeintliche Problematik zum Thema: Der Junge hat Depressionen. „Kein Grund für Depression ist auch ein Grund für Depression / aber für dich gibt’s keinen Grund dafür, mein Sohn“. Der Sohn depressiv, der Vater entsetzt: „So was kann doch einen Mann nicht erschüttern“. So jemand, der „Löcher in die Wand schaut“ passe ihm nicht in den Stammbaum, stellt er unmissverständlich klar. In seiner Konservativität und seinem Unverständnis gefangen, tätigt der Familienvater exakt jene Aussagen, die von Depressionen Betroffene leider viel zu oft zu hören bekommen. Denn Floskeln wie „Du denkst doch zu viel nach“ oder „Probleme hat man nur, wenn man sich selber welche macht“ fallen nicht nur im Song, sondern auch sehr oft im Gespräch mit Betroffenen. Dabei verharmlosen sie jedoch eine ernstzunehmende Krankheit und sind dementsprechend sehr vorsichtig zu gebrauchen. Insbesondere Männer haben an dieser Stelle oft zusätzlich damit zu kämpfen, dass ihr Krankheitsbild nicht in jenes der konservativen und patriarchalischen Gesellschaft passt, hier werden Sensibilität und Depressionen noch als Zeichen der Schwäche angesehen, ein depressiver Mann ist für sie nicht männlich.

„Im Westen scheint die Sonne bis zum Schluss, Mutter Natur hat es gut mit dir gemeint / Hier hast du alles, was du willst, im Überfluss, da kann man doch nur froh und munter sein“

In ihrem neuen Song bringt es OK Kid mal wieder so genau auf den Punkt, dass es vor Wahrheit fast schon wehtut. Der patriarchalische Vater und der depressive Sohn, der ihm nicht in sein Konzept einer Familie und in seine Vorstellung von Männlichkeit passt. Die Thematik, die hier von OK Kid aufgegriffen wird, ist keine neue, nur leider ist sie immer noch in unserer Gesellschaft präsent. Während weltweit schätzungsweise 350 Millionen Menschen von einer Depression betroffen sind, gilt die Volkskrankheit dennoch weiterhin als Tabuthema, laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe gelten Depressionen als eine der häufigsten und mit Blick auf ihre Schwere auch als eine der meist unterschätzten Krankheiten. Kein Gesprächsthema also für ein gemütliches Abendessen im konservativen Zuhause.

„Komm mir bald vor, ja, als wär ich ein Schwamm / Ich drücke mich aus, drückst du mich auch? / Drück bitte fester, vielleicht kommt ja noch etwas Gutes dabei raus, was dir entspricht, oder auch nicht“

Mit einem leeren Blick macht der Sohn anfangs noch beim Tischgebet mit, die zweite Strophe gehört dann aber ihm: „Du wolltest ’nen Sohn, jetzt hast du mich / Eigentlich wolltest du nochmal dich, nur ohne Fehler, die du bereust / Jetzt hast du mich“. Nun ist die Stimmung gekippt, die Blicke wütend. Das Rotweinglas kippt um und was folgt, bewegt sich irgendwo zwischen Kunst und Banalität. Die Wut des Sohnes, die sich mit dem Essen und der damit einhergegangenen Diskussion angestaut hat, muss raus. Um die angezweifelte Männlichkeit unter Beweis zu stellen, fantasiert der Sohn davon, endlich auszubrechen. Schreiend bahnt er sich mit Gabel in der Hand den Weg aus der Tischdecke raus, plötzlich steht ein riesengroßer Penis mitten am Tisch – das Symbolbild für die vom Vater so sehr gewünschte Männlichkeit – und ejakuliert in gigantischen Maßen Schaum. Die aufschäumende Wut sozusagen.

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„E05 Im Westen“, ein wunderbar kritisches Musikstück, das auch heute leider noch notwendig ist. Eine Depression entsteht nicht ausschließlich aus zu viel Nachdenken, eine Depression ist eine ernstzunehmende Krankheit. Und von dieser Krankheit können alle Menschen in unserer Gesellschaft betroffen sein, unabhängig von Geschlecht und gesellschaftlichem Status. Zudem ist „E05 Im Westen“ Teil des neuen Projekts von OK Kid: Anstatt ein Album im herkömmlichen Sinne zu veröffentlichen, werden in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen neue Songs in eine Playlist gepackt, um so unkomplizierter und zeitnaher Songs releasen zu können. Live zu hören ist OK Kid am 26. Oktober in der Ottakringer Brauerei, die Tage davor in Linz und Graz.

Für Betroffene und Angehörige gibt es Hilfe. Die Suizid-Prävention des österreichischen Gesundheitsministeriums bietet Notfallkontakte und Hilfsangebote an.