Now Reading
Das „Detox“ des Schlagers // Gloriettenstürmer Interview

Das „Detox“ des Schlagers // Gloriettenstürmer Interview

Im Wohnzimmer einer Hietzinger WG nahe dem Schloss Schönbrunn (das wir uns der Romantik halber im direkten Sichtfeld aus dem Fenster besagter Wohnung vorstellen) begannen vor mittlerweile fast zehn Jahren zwei musikaffine Kerle in ihren frühen Zwanzigern, deren Auftreten zunächst nicht darauf schließen lassen würde, ihre überschüssige kreative Energie in vor Kitsch nur so triefende Schlagersongs zu gießen: Die (Schönbrunner) Gloriettenstürmer waren geboren. Was aus einer Laune heraus entstand, mündete in den Alben „Revolution der Liebe“ (2012) und „Herzensangelegenheiten“ (2013). Erschienen in einer Kleinstauflage selbstgebrannter CDs befanden sich darauf frühe Versionen späterer Hits wie „Carry On“ oder „Lass heute Nacht“, die zunächst in kleinen Wiener Beisln, später auch in größeren Konzerthallen blutende Herzen, aber ebenso fragende Gesichter hinterließen. Red Bull prophezeite ihnen einen Platz im „Schlagerolymp“, laut Vice bringen sie sowohl Mütter, als auch Gangster zum Weinen. Sony Deutschland erkannte das Potenzial und so wurde aus der Schnapsidee ein Majordeal. Danach hört man bis auf einige Singles und Features zumindest oberflächlich nicht viel. Die WG in der Form gibt es nicht mehr, aber am 5. März erscheint nach vielen Jahren des Wartens das langangekündigte und erste „richtige“ Album „808 Herzschmerz“ über das Wiener Label futuresfuture. Ihre Musik beschreiben sie heute treffend als „New Wave Chanson“ und „Romantic Trap“. Als Fans und Wegbegleiter der ersten Stunde steht es daher außer Frage, dass wir uns zu diesem Anlass ausgiebig mit Wanja und Jonas (bisweilen auch solo unter den Pseudonymen HARDY und DiskoJürgen als Produzenten namhafter Musiker*innen bekannt) unterhalten mussten. Coronakonform per Zoom an einem Sonntagnachmittag geführt, geht es in dem Gespräch um ihren Werdegang, das Major-Business, Ghostwriting, ihren HipHop-Bezug, verschwimmende Genregrenzen, die unausweichliche Frage der Realness und viele weitere Themen.

Interview: Simon Huber
Fotos: Alexander Gotter, Ryan Noel

„808 Herzschmerz“ kommt jetzt endlich raus, hat sich aber doch sehr lange hingezogen. Ich kann mich erinnern, dass das Album zum Teil schon in the making war, als wir uns vor fünf, sechs Jahren das erste Mal kennengelernt haben. Erzählt doch mal, was in der Zwischenzeit bei euch alles passiert ist.

Wanja: Es war auf jeden Fall eine Reise. Ich glaube, alles hat damit angefangen, dass wir bei Sony in Deutschland gesignt haben und das war jetzt rückblickend wahrscheinlich nicht die beste Idee. Das war damals alles neu und aufregend, aber wir mussten uns auf längere Sicht das erste Mal damit befassen, was wir eigentlich wirklich machen wollen. Da standen wir oft zwischen den Stühlen und haben da erstmal eine Weile vor uns hin gestruggled. Irgendwann haben wir dann auf der Tour von Gerard den Raffi (Raffi Balboa, Drummer und Gitarrist bei OK KID, Anm. d. Red.) kennengelernt und es hat sich so gefügt, dass wir mit ihm weiter am Soundbild gearbeitet haben. Es hat jetzt aber auch aufgrund anderer Projekte einfach einige Zeit gedauert, bis wir entscheiden konnten, wie wir das letztendlich rausbringen.

Jonas: Dazwischen hatten wir Phasen, wo wir gezweifelt haben, was passiert, wenn das mit Sony doch nicht so läuft. Ursprünglich war geplant, dass wir mindestens ein Album und eine EP machen. Aber es hat immer wieder zwischendrin diese Momente wie mit Raffi für die Motivation gebraucht, um weiterzumachen. Vor allem wenn man noch nicht hauptberuflich Musiker ist, hat man nicht die Zeit und Energie, sich permanent darum zu kümmern, dass im Hintergrund alles läuft und lässt manche Sachen einfach eine Weile liegen.

Wanja: Am Anfang haben wir halt gemacht, was wir wollten und einfach ins Internet gestellt. Auf einmal kam halt die Komponente dazu, wie man das anständig und professionell macht. Wir mussten uns dann auch fragen, wie wir nach außen auftreten wollen, wie ernsthaft oder wie humorvoll. Die Frage wurde uns eh immer wieder gestellt und ich kann es bis heute nicht ganz beantworten, weil wir natürlich aus Spaß angefangen, es aber trotzdem auch immer ziemlich ernst gemeint haben. Es war eine witzige Zeit, am Ende haben wir uns halt ein bisschen im Business verstrickt. Deshalb freuen wir uns umso mehr, dass das Album jetzt endlich rauskommen kann.

Es war damals schon überraschend, dass ihr bei Sony gesignt wurdet. Ihr habt schon eingeworfen, dass die Frage nach Ironie oder Nicht-Ironie oft gekommen ist und ich konnte es mir immer schwer vorstellen, wie ihr auf einem Major-Label funktioniert. Wie wurdet ihr da aufgenommen, wurdet ihr überhaupt „ernstgenommen“?

Wanja: Die haben auf jeden Fall gemerkt, dass das etwas Neues ist, das es in der Form noch nicht gegeben hat und wir haben damit einfach polarisiert. Und zwar überall, im Freundeskreis, bei den Hörer*innen, bei Labels. Die einen konnten es überhaupt nicht verstehen, andere haben es von Anfang an gefeiert und denen musste man es auch nicht erklären. So war es auch bei Sony. Manche Sachen haben dann nicht so funktioniert, wie es sollte oder wie es für ein Major-Label Sinn macht. Es sind da jetzt keine negativen Gefühle dabei. So läuft das Business einfach, wenn es nicht auf Anhieb funktioniert oder die Idee zu verrückt für die Zeit und die Umstände war.

Jonas: Ich glaube, ein Major-Label macht erstmal grundsätzlich keine Spaßprojekte, die haben sich da schon was dabei gedacht und wollten vielleicht einfach etwas ausprobieren. Wir waren für die sicher nicht die nächste Helene Fischer, das war aber allen Seiten von Anfang an bewusst. Es haben uns davor auch einige davon abgeraten, als „Newcomer“ zu einem Major zu gehen.

Es hat aber schon den Eindruck gemacht, dass ihr auch vor Sony eure eigene Nische gefunden habt. Tracks wie „Der Duft der Liebe“ oder „Ein Regentropfen fällt selten allein“ haben relativ durchdacht und professionell gewirkt.

Wanja: Das hatte aber noch so nen Selfmade-Charme, würd ich im Nachhinein sagen. Es war ungefiltert das, worauf wir am jeweiligen Tag Lust hatten – und wenn’s ein Slipknot-Cover war. Aber wenn man irgendwo seine Unterschrift drunter setzt, macht man sich generell mehr Gedanken, wie man rüberkommen will.

Jonas: Und dann kommen natürlich andere Sachen dazu. Die Songs müssen technisch gut produziert sein, es waren auf einmal mehr Leute involviert und nicht mehr nur wir zwei, die einfach drauf los gearbeitet haben. Dadurch ist natürlich aber auch ein bisschen was von der Leichtigkeit verloren gegangen, die wir vielleicht am Anfang noch hatten.

Wanja: Das Album an sich ist eigentlich schon lange fertig. Ein Großteil der Tracks ist ja schon vor vielen Jahren geschrieben worden und lag dann als Demo rum. Früher habe ich nie verstanden, wie Alben so lange dauern können. Ich hab mir immer gedacht: „Ey Jay-Z, geh doch einfach ins Studio und mach einfach dieses Album fertig, was hast du denn sonst zu tun?“. Mittlerweile verstehe ich, wie verstrickt das sein kann.

Jonas: Geschrieben sind die Songs tatsächlich schon sehr lange. Das macht es für uns persönlich leider nicht mehr ganz so aufregend, wenn sie jetzt rauskommen, weil das schon viel früher passieren hätte sollen.

Wanja: Aber produktionstechnisch gefällt es mir nach wie vor sehr gut. An der Stelle nochmal Shoutout an den Raffi. Für das, was wir damals gemacht haben, ist es auch jetzt noch im soundästhetischen Rahmen für heutige Maßstäbe. An den Texten hätte ich im Nachhinein vielleicht manches anders gemacht. Das sind noch die alten Gloriettenstürmer, das würde ich heute vielleicht nicht mehr so schreiben. Das finde ich aber auch das Spannende daran, weil es dem ursprünglichen Projekt viel treuer ist. Heute habe ich öfter das Bedürfnis, cooler und weniger albern zu sein.

Jonas: Deshalb bin auch echt gespannt, wie es dann ankommt. Das soll jetzt keine Selbstbeweihräucherung sein von wegen, wir sind unserer Zeit voraus – das waren wir natürlich vor 5 Jahren schon (lacht).

Ich empfinde es tatsächlich auch gar nicht so albern, wie man denken könnte. Innerhalb dieses Schlagerkosmos, in dem ihr euch bewegt, ist es natürlich oft super kitschig, aber das soll es ja auch sein und ist für das, was es sein soll, gut umgesetzt.

Wanja: Das war auch das Ziel. Also die Idee möglichst gut umzusetzen.

Jonas: Ich muss sagen, weil wir auch von uns als „Produkt“ geredet haben, dass das Album jetzt auch ein Konzept hat, das man beschreiben kann. Von der ganzen Albernheit, die früher dabei war, sind nur die Themen in den Texten übriggeblieben. In der Musik merkt man nicht mehr allzu viel davon. Der Klang ist jetzt eindeutig Urban, HipHop mit 808s, Trap-Drums oder auch R’n’B-Elementen.

Wanja: Generell viel Black Music Influence. Was wir viel zu der Zeit gehört haben und dann auch versucht haben, in unsere Musik einzubauen. Das merkt man an manchen Tracks, die im alten Soundkosmos entstanden sind und die wir nochmal neu arrangiert haben.

„Dass wir in der HipHop-Szene verortet werden, hat sicher was mit der Soundästhetik zu tun“

Was generell interessant ist, ist dass ihr alle Genregrenzen auflöst. Ihr kennt euch ursprünglich aus der Metal- und Hardcore-Szene, aber zumindest von Wanja weiß ich aus seiner The Message-Zeit, dass er ein ziemlicher HipHop-Nerd ist. Jonas, du spielst mehrere Instrumente. Jetzt macht ihr Schlager und kombiniert diese Einflüsse. Trotzdem werdet ihr oft in diesem HipHop-Kosmos wahrgenommen, der Albumtitel ist eine Anspielung auf Kanye West. Wie erklärt ihr euch das? Ist es euer Auftreten und die Attitüde oder auch die Connections durch Features, die ihr mit verschiedenen Rappern gemacht habt?

Wanja: Ja, witzigerweise. Ich denke, alles, was du aufgezählt hast, spielt da rein. Wir haben lange zusammengewohnt und uns gegenseitig immer viel Musik gezeigt, da war Platz für alles, weil wir generell Musikfans sind. Natürlich kennt man sich in manchen Genres besser aus, aber es war in der WG immer Platz für alles Mögliche.

Jonas: Es war schon eher eine Schnapsidee, überhaupt Schlager zu machen. Es war am Anfang auch eher ein Experiment. Als wir dann viel positives Feedback aus dem Freundeskreis gekriegt haben, haben wir einfach weitergemacht. Es war immer wichtig für uns, verschiedene Aspekte und Genres reinzubringen, weil es uns selbst langweilig geworden wäre, einen 0815-Schlagersong nach dem anderen rauszuhauen. Aber es hat uns den Rahmen gegeben, Sachen auszuprobieren und verschiedene Instrumente einfließen zu lassen. Bis wir zusammen gewohnt haben, habe ich zum Beispiel auch kaum HipHop gehört, Wanja hat mich da erst rangeführt. Mittlerweile bin ich sehr beeindruckt davon, wie einflussreich das Genre ist und was da für innovative Sachen passieren. Das Gefühl habe ich zum Beispiel im Metal nicht, da hört sich vieles noch genau so an wie vor 15 Jahren.

Wanja: Dass wir in der HipHop-Szene verortet werden, hat sicher was mit der Soundästhetik zu tun, wobei die am Anfang gar nicht so war, wie sie jetzt ist. Wir waren aber schon immer in dieser Bubble und diesen Freundeskreisen, die ersten Liveauftritte waren zusammen mit Rappern. Einmal sind wir auch vor einer Hardcore-Band aufgetreten und in jeder Szene gab es Leute, die es gefeiert haben, egal was davor oder danach lief. Es löst sich glücklicherweise ja immer mehr auf, dass es so eine Sturheit bezüglich einzelner Genres gibt, die keine Einflüsse von außen zulässt.

Jonas: Da kann man als Musiker heutzutage auch sehr froh sein, dass zumindest nach meinem Empfinden die Hörerschaft auch offener für Neues ist, weil es auch uns mehr Offenheit ermöglicht.

Wie waren generell die Reaktionen bei euren Liveauftritten vor unbekanntem Publikum? Ihr habt neben den genannten auch schon vor größeren Acts wie OK KID, Gerard oder Romano gespielt, die sicher sehr unterschiedliche Zielgruppen anziehen.

Wanja: Es war sehr unterschiedlich. Wir hatten aber immer eine gewisse Sicherheit in dem, was wir tun, weil wir wussten: In dem Moment, wo du auf die Bühne gehst, musst du das durchziehen und zwar bis zum Ende. Am meisten Spaß hat es gemacht, wenn man sich fallen lässt und diesem Kitsch auch hingibt, ein bisschen übertriebener performt, die Ansagen noch pathetischer macht. Ich hatte immer das Gefühl, wir nehmen die Leute kurz mit auf unsere Reise.

Jonas: Die Leute waren aber selten von Anfang an dabei, die mussten erst warm werden und die ersten paar Tracks schaut man in viele verblüffte Gesichter. Aber es gab eigentlich kein Konzert, das wir im Nachhinein auch auslassen hätten können, es hat eigentlich immer Bock gemacht.

Wanja: Viele sind nach dem Konzert zu uns gekommen und haben gesagt, dass sie am Anfang nicht wussten, was sie damit anfangen sollen und sind dann aber mit einem T-Shirt nach Hause gegangen. Das waren immer die witzigsten Momente, wenn die Leute von sich selbst überrascht worden sind.

„Ich hatte immer das Gefühl, wir nehmen die Leute kurz mit auf unsere Reise.“

Das darf man in dem Fall auch nicht persönlich nehmen, weil euch ja auch klar sein muss, dass ihr aneckt, wenn sowas Unerwartetes live passiert.

Wanja: Ich konnte auch immer verstehen, wieso es jemand nicht mag. Und dieses Privileg haben ja nicht viele Musiker, weil man natürlich immer will, dass es allen gefällt. Aber realistisch gesehen wird das eh nicht passieren und das gibt uns auch eine gewisse Freiheit. Manchmal wirst du einfach als verrückt abgestempelt, aber da muss man drüberstehen und von dem überzeugt sein, was man macht.

Eine andere Sache, die ihr in den Jahren gemacht habt, in denen nicht so viel von euch rausgekommen ist, war das Ghostwriten für andere Artists. 

Wanja: Ghostwriter ist eigentlich heutzutage das falsche Wort, man nennt das jetzt eher Co-Writer (lacht). Wir haben das beide schon von Anfang an nebenher gemacht, Jonas vielleicht eher als Produzent, ich als Texteschreiber.

Jonas: Das war vor allem auch in der Zeit, wo unser Album schon fertig war und es diese Leerläufe gab. Da war es befreiend, sich mal nicht mit dem eigenen Projekt auseinandersetzen zu müssen. Wanja hat da noch mehr initiiert, weil er einfach der bessere Socialiser von uns beiden ist und viele Sessions mit anderen Leuten organisiert.

Wanja: Da kam uns auch wieder zugute, dass wir keine Genregrenzen kennen. Weil man überall schnell einen Zugang findet, sich in andere hineinversetzen kann und checkt, was die als Künstlerperson sagen und verkörpern wollen.

Im Schlager ist es eher an der Tagesordnung, dass mehrere Personen an einem Text schreiben, im HipHop ist das nach wie vor eher verpönt. Wie steht ihr dazu?

Wanja: Mittlerweile wird da mehr drüber geredet als noch vor ein paar Jahren. Ich traue mich zu sagen, dass wahrscheinlich 80-90% aller Künstler*innen in allen Genres nicht selber schreiben, vor allem im Rap. Es ist aber auch ein Unterschied, ob man zu zweit auf der Couch sitzt und sich die Lines hin und her wirft oder ob man einer anderen Person einen fertigen Text gibt, die den dann „nur“ performt. Und beim Produzieren ist das ja schon länger üblich, dass man sich da gegenseitig über die Schulter schaut und hilft. So sehe ich das beim Texte schreiben auch. Wenn man das mit Leuten macht, von denen man weiß, dass sie geile Ideen mit reinbringen, kommt meistens ein besserer Song raus, als wenn man da alleine sitzt. Und es ist auch nicht bei jedem Song gleich, ich habe manchmal einen Teil vom Beat gemacht, manchmal einen Teil vom Text, manchmal beides. Aber diese Abwechslung finde ich auch wichtig, immer nur das Gleiche würde mich verrückt machen.

Jonas: Als wir mehr Sessions mit anderen gemacht haben, ging es am Anfang eher darum, unsere eigenen Songs zu schreiben und wir haben andere eingeladen, mit uns einen Schlagersong zu machen. Im Laufe der Sessions haben wir gemerkt, dass es auch cool ist, nicht für das eigene Projekt zu arbeiten, sondern anderen Leuten kreativen Input zu geben und auch das Drumherum zu machen.

Es gibt eine Playlist auf Spotify, in der Wanja Tracks mit seiner Beteiligung sammelt. Seit wann produzierst du denn auch vermehrt selber Beats (unter dem Namen HARDY, Anm.d. Red.)? Ich habe euch anfangs eher als klassisches „Sänger-Produzent-Duo“ wahrgenommen, bei dem der musikalische Teil eher von Jonas kommt.

Wanja: Ich hab dem Jonas schon immer viel über die Schulter geschaut und mich höchstens manchmal Singer-Songwriter-mäßig selbst recordet. Aber das war eher Schrott auf Garage-Band-Niveau, ich hatte zwar Logic, aber das hat keinen Unterschied gemacht (lacht). Aber während der vielen Sessions hatte ich oft das Gefühl, dass ich nur daneben gesessen bin und zwar sagen konnte, wie ich es mir ungefähr vorstelle, aber es nicht selbst umsetzen. Ich konnte einige Instrumente einspielen, aber wollte generell den Produktionsprozess besser verstehen und selbst etwas dazu beitragen. Ich hatte immer schon großen Respekt vor Produzenten. Eines Tages hab ich einfach angefangen und hatte das Glück, direkt in einem Haufen nicer Musiker zu sein, dank denen ich auch jetzt nach relativ kurzer Zeit an einem Punkt bin, an dem ich sehr zufrieden damit bin. Aber sky is the limit, ich glaube, man kann nie aufhören, produzieren zu lernen.

Jonas: Die Aufgabenbereiche waren einerseits zwar klar getrennt, andererseits haben wir immer beide sowohl an den Texten, als auch an der Musik gearbeitet. Später im Albumprozess kamen dann Leute wie Raffi oder Luek (Lukas Maletzky von Naked Cameo, Anm. d. Red.) dazu, von denen ich wiederum viel gelernt habe und die uns auch geholfen habe, den Sound auf ein neues Level zu heben.

Es war sicher hilfreich, dass OK KID zu dem Zeitpunkt ja schon recht groß war und Raffi Balboa auch die ganze Musikindustrie im Allgemeinen schon besser kannte.

Jonas: Auf jeden Fall, wir haben ihn ständig mit Fragen zu allem gelöchert.

Wanja: Er hat auch immer so eine Ruhe in den Raum gebracht. Man geht ja oft dumm und blauäugig in viele Situationen rein. Ich zumindest habe mir immer gedacht, wir haben es mit dem Projekt schon so weit geschafft und deshalb dann oft darauf verlassen, dass das alles schon irgendwie klappt. Ich glaube, so geht es vielen Musiker*innen, bei denen es gerade erst richtig losgeht. Er hat uns das Selbstbewusstsein gegeben, zu machen, was wir wollen, weil man oft auf viele Dinge außerhalb der Musik eh keinen Einfluss hat.

See Also

„Ich habe vor allem in der Coronazeit das Gefühl, dass die ganze Musikszene ein bisschen zusammengerückt ist.“

Welche Projekte gibt es neben den Gloriettenstürmern noch, an denen ihr aktuell mitarbeitet?

Wanja: Bei mir läuft viel über Connections, Slav zum Beispiel. Durch das Feature mit Savvy hab ich in Berlin die Jungs aus dem BHZ-Umfeld kennengelernt. Mit Bibiza hab ich schon seit einigen Jahren immer wieder Kontakt. Ansonsten schau ich dass ich sowohl in Wien, als auch Berlin immer wieder mal meine Finger im Spiel habe. 2020 hab ich genutzt, um Connections aufzubauen. Mir macht es unglaublich Spaß, besser zu werden, aber eher hinter den Kulissen zu agieren.

Jonas: Ich arbeite auch viel mit anderen zusammen, inzwischen hauptberuflich. Derzeit möchte ich aber noch nicht meine volle Energie reinstecken, solange mein Studium noch nicht abgeschlossen ist. Momentan produziere ich beispielsweise mit W1ZE oder Tay-Lah, die beide zwar noch nichts veröffentlicht haben, aber schon bei Labels untergekommen sind. Ansonsten gibt’s bisher Tracks mit Edwin, Ben Saber und Slav.

Wanja: Ich habe vor allem in der Coronazeit das Gefühl, dass die ganze Musikszene ein bisschen zusammengerückt ist und sich viele Leute miteinander vernetzen, weil alle im selben Boot sitzen. Und ich hoffe, dass dieser Spirit auch weitergetragen wird. Es ist ja auch das einzige, was gerade bleibt: Tracks machen, Connections aufbauen, bis es hoffentlich bald wieder besser wird und man wieder live spielen kann. Es muss halt irgendwie weitergehen. Gerade in Österreich schafft es die Szene gerade, zu florieren. Es gab schon immer coole Camps und Labels, aber das war oft zeitlich oder örtlich begrenzt und aktuell hat es wieder Potenzial, einen ordentlichen Schub zu machen.

In der Zeit bei Sony gab es auch die Namensverkürzung von den Schönbrunner Gloriettenstürmern zu „nur“ den Gloriettenstürmern. War das eine copyrightrechtliche oder marketingtechnische Entscheidung?

Wanja: Das markiert eigentlich ganz gut den Zeitpunkt, an der wir den Cut gemacht haben zwischen „albern-selfmade“ und einem durchdachten Produkt. Und weil der Name auch einfach verflucht lang war. In Wien hat den zwar jeder verstanden, aber gerade in Deutschland wussten viele Leute weder, was Schönbrunn, noch was eine Gloriette ist und dann ist es einfach nur ein unnötiger Zungenbrecher. Es symbolisiert aber ganz gut, dass wir einen Teil des Projekts liegen lassen haben und einen anderen fortgeführt haben.

„Es hat sich herausgestellt, dass die eigentlichen Schlagerfans uns gar nicht so toll finden.“

Könntet ihr euch auch vorstellen, in der Schlagerszene stattzufinden? Ihr seid ja zumindest schon auf einem Sampler neben Andrea Berg, Hansi Hinterseer & Co gelandet, würdet ihr auch beim „Frühlingsfest der Volksmusik“ oder dergleichen auftreten?

Jonas: Wir haben darüber selbst oft nachgedacht und es gab relativ konkrete Ideen von Sony, wir wären auch für alles zu haben gewesen. Je absurder, desto besser. Aber da war auch wieder das Problem, dass sich einfach keiner wirklich vorstellen konnte, was wir machen. Ist es Schlager mit einem Augenzwinkern, kann man es überhaupt als Schlager bezeichnen, machen die sich einfach nur über Schlager lustig? Es hat sich auch herausgestellt, dass die eigentlichen Schlagerfans uns gar nicht so toll finden. Wir haben auch viele eher negative Reaktionen von Radiopromotern etc. bekommen, deshalb kann ich mir vorstellen, dass es den Leuten, die Acts für solche Events aussuchen, zu riskant war, uns für sowas einzuladen.

Wanja: Sogar bei FM4, wo man ja eigentlich denken könnte, dass das jüngere Publikum eher den Witz dahinter verstehen würde, wurde einmal ein Song von uns unterbrochen. Der Moderator war zwar schon älter und es war ein Hörerwunsch, aber man hätte es trotzdem noch zu Ende laufen lassen können und nicht vor dem ersten Refrain abbrechen. Es war auch nicht ganz so nett, was da über uns gesagt wurde. Wir haben danach einfach ein Gewinnspiel daraus gemacht, dass jeder ein Shirt gewinnen kann, der sich bei FM4 einen Song von uns wünscht.

Es gab vor kurzem eine Diskussion, als bei FM4 ein Song von Salò zerrissen wurde, weil er einen leichten Sprachfehler hat und der Moderator (Martin Blumenau, Anm. d. Red.) ihm nahegelegt hat, seine Karriere zu beenden.

Wanja: Ich finde, im Radio – und eigentlich auch generell – sollte man lernen, was man sagt und was man nicht sagt. Bei uns war es vielleicht noch eine Geschmacksfrage, aber bei Salò hat es eine Grenze überschritten, die eigentlich nur noch als Beleidigung verstanden werden kann. Man muss ja nicht alles gut finden, aber dann kann man das trotzdem charmanter formulieren oder konstruktives Feedback geben, gerade im öffentlichen Radio. Uns hat das nicht so wahnsinnig getroffen, wir konnten eh immer gut mit Kritik umgehen. Aber ich kann mir vorstellen, dass das andere unter Umständen anders auffassen. Gerade wenn es irgendwelche körperlichen Merkmale sind, für die man nichts kann, sollte man aufpassen, wie man Sachen formuliert.

„Liebeslieder mache ich einfach am liebsten.“

Auf Instagram gab es den Hastag #laststürmeralbum. Nach all den Strapazen wär das natürlich verständlich, aber trotzdem schade. Deshalb an der Stelle bitte einmal die Aufklärung: Wahrheit oder Promomove?

Wanja: Da kann ich klar sagen: Promomove. The boldest one. Den gab’s noch nie.

Jonas: Man munkelt schon, dass nach Corona die große Reunion-Tour stattfindet. Noch sind das aber nur Gerüchte.

Wanja: Dann kommt alle vier Jahre das „wirklich letzte Album“ und alle acht Jahre ein „Greatest Hits“-Album. Aber Spaß beiseite, es hat sich nach diesem ganzen Struggle einfach so angefühlt, dass wir jetzt erstmal ein Kapitel schließen können. Da ich aktuell öfter in Deutschland bin und auch noch Corona ist, haben wir im Moment eher den Fokus auf anderen Dingen. Das soll aber nicht ausschließen, dass wir wieder zusammenarbeiten und Raffi Balboa hat auch schon durchklingen lassen, dass er auf jeden Fall Bock hätte, wieder Musik zu machen. Jetzt bringen wir erstmal dieses Album raus und schauen, was die Zukunft bringt.

Jonas: Wir sind auf jeden Fall froh, dass wir das Projekt nicht eingestampft haben, als es so kompliziert lief und ich hoffe, dass es noch Leute gibt, die das Album erwarten und wir denen noch eine Freude machen konnten. Es ist unser persönliches „Detox“, das jetzt endlich erscheint.

Wanja: Wir sind auch froh, dass wir es jetzt so beenden können, wie wir es angefangen haben. Über futuresfuture, die ja auch immer unser Management waren in der Zeit und mit denen es dann am Ende auch gut und stressfrei funktioniert hat. Es fühlt sich auch besser an, mit einem kleinen Label zu arbeiten, die das auch feiern, als mit einem großen Label, wo wir uns am Ende auch schlichtweg nicht mehr wohlgefühlt haben. Es ist ein guter Abschluss einer sehr holprigen Fahrt.

Jonas: Wir haben ja trotzdem Erfahrungen mitgenommen, die uns keiner mehr nehmen kann. Und es ist auch nicht so, als würden wir das bereuen. Im Nachhinein ist man immer schlauer und wir hätten vielleicht manches anders gemacht, aber selbst dann weiß man nicht, wie es gelaufen wäre. Es gab auch keinen Streit, alles ist cool abgelaufen und ich bin dankbar dafür, dass ich in dem Prozess gelernt habe, was du in keiner Ausbildung oder Studium so gut lernen kannst. Egal ob Songwriting, live spielen, Labelarbeit oder Produktion. Auch sich überhaupt zu trauen, Songs zu schreiben und zu veröffentlichen lernst du nur, indem du es einfach machst.

Wanja: Und seine eigene Rolle zu übertreiben. Sich an andere Plätze zu versetzen. Wir haben einfach extrem kitschige Liebeslieder gesungen. Vielleicht hab ich da manchmal auch persönlich erlebte Sachen verarbeitet, aber im Prinzip hab ich nur versucht, Bilder zu malen, so wie man es erwartet. Wie im Kino: Du willst einen Liebesfilm? Du kriegst einen Liebesfilm! Immer mit dem Rezept, auf das wir an dem Tag Bock hatten. Und wenn wir eine spanische Gitarre einbauen wollten, haben wir uns fünf Songs angehört, in denen das auch jemand gemacht hat und dann selbst umgesetzt. So lustig und kitschig wie möglich, aber trotzdem immer ernst gemeint. Liebeslieder mache ich einfach am liebsten.

Jonas: An alle Rapper: Macht mehr Liebeslieder! Ihr werdet es nicht bereuen.

„808 Herzschmerz“ erscheint am 5. März über futuresfuture. Die Vinyl gibt es auf Bandcamp.

View Comments (0)

Leave a Reply

Your email address will not be published.