Nach dem bösen Album ist vor dem bösen Album. Versöhnlicher im Ton aber gewohnt kompromisslos in der Themensetzung erzählt Prezident auf „Alles ist voll von Göttern“ von den Utopien und Heilsversprechen der Gegenwart und ihren Verwerfungen. Obwohl dabei dieses Mal auf konkrete Schlagworte aus dem politischen Spektrum verzichtet wird, bleiben die großen Fragen dieselben. Es geht um Individualismus als Ideologie unserer Zeit, das Scheitern zwischenmenschlicher Beziehungen in all seiner Banalität und die Weigerung, es sich in der verordneten Zufriedenheit organisierten irdischen Glücks behaglich zu machen. Die großen Erzählungen sind entzaubert, das große Drama ist gar keines. Gerade darin liegt der Schmerz aber auch der Witz dieses Albums.
„Und der Mensch braucht Freunde, wahre Freunde Treueschwüre und Feuerproben
Prezident in „Gulliver Gulliver“
Reueloses in die Bresche springen, vor Freude johlend, por favore
Und kommt es zum Bruch wird der Freund zum Schurken
Über kurz oder lang wird der Colt gezogen
Man verliert sich nicht einfach so aus den Augen wegen Job und Kindern, wie so Vollidioten
Und die große Liebe wird nicht aufgerieben
Von Alltag, Sorgen und Nichtigkeiten
Und niemand hier kämpft mit ’ner schlechten Verdauung oder Darmkrebs, Schnupfen und Rückenleiden“
Der Eröffnungstrack „Gulliver Gulliver“ zeigt dabei bereits, wohin die Reise geht. Für seinen satirischen Roman „Gullivers Reisen“, in dem er die Hypokrisien und Scheinheiligkeiten der frühen Aufklärung in England vorführte, musste sich Jonathan Swift schon 1726 den Vorwurf der Gegenaufklärung gefallen lassen. Dass das aufklärerische Projekt und sein heutiger Geist, dessen Widersprüche und dialektische Rückschläge auch 300 Jahre danach noch ausreichend Anlass zur Kritik geben, wird auf „Alles ist voll von Göttern“ drückend spürbar.
Das Herzstück des Albums ist wohl das Track-Paar „Zitadelle, Zentrum“ und „Zitadelle, Peripherie“: „Man würde nur noch klaren Argumenten folgen müssen“, also dem „allen gleichermaßen klar vor Augen stehenden Schönen und Wahren“, so das Versprechen einer Zeit, die sich schon bemüßigt sah, vom Ende der Geschichte zu sprechen. Organisiertes Glück unter Beseitigung aller Probleme als Utopie und Gründungsmythos westlicher Gesellschaften der Moderne. Die politische Kehrseite davon folgt auf dem Fuß: Auf „Zitadelle, Peripherie“ erzählt Prezident samt starkem Hiob-Part und Sido-Sample von den „Grauzonen und Randbezirken“. Mit Angstlust blickt man auf das, was man überwunden zu haben glaubt: „das echte Leben ist nämlich immer das defizitäre, das voller Stress und Probleme“. Hier zeigt sich wo Utopie als organisiertes Glück unter Beseitigung aller Probleme widersprüchlich und schließlich selbst defizitär wird. In der verwirklichten ‚Idealgesellschaft‘ kommt die Sehnsucht nach dem Konfliktbehafteten.
„Unsre Ahnen haben nicht das Glück erfunden
Prezident in „Windmühlen“
Damit wir wegen so ’nem bisschen Luft im hohlen Herzen ihrem großen Erbe derart undankbar dazwischenfunken
Sie meinten es nur gut
Wir wussten nie, wohin mit unsrem Schmerz
Nie wohin mit unsrer Wut
Ich fürchte fast, wird beides nie verschwinden
Wir sollten uns was Gutes tun
Wir werden schon was finden
Und seien es nur Windmühlen
Das kann man – wie schon in den Kontroversen zum letzten Album „Du hast mich schon verstanden“ geschehen – als Fatalismus und Relativismus auslegen. Als Idealisierung des ewigen Kampfes und Verabsolutierung nicht auflösbarer Widersprüche. Man kann darin auch eine Dekadenzerscheinung sehen. Gibt es in einer Welt, die noch nicht einmal ihre fundamentalsten Ungerechtigkeiten und materiellen Probleme gelöst hat, wirklich nichts Wichtigeres, als dem eigenen abstrakten Leiden an der menschlichen Existenz Ausdruck zu verleihen? Alles wegen so einem „bisschen Luft im hohlen Herzen“? Und ist das nun am Ende gar reaktionär?
Den Vorwurf der Gegenaufklärung (und damit des Reaktionären) mussten sich – von Nietzsche bis Foucault – alle großen Kritiker*innen der Aufklärung gefallen lassen. (‚Aufklärung’ hier im weiten Sinne verstanden, als Fortschrittsprojekt einer vernünftigen Einrichtung der Lebensverhältnisse nicht als konkrete historische Bewegung des 18. Jahrhunderts.) Damals wie heute wird dabei verkannt, welche Wichtigkeit auch der Kritik und Selbstkritik emanzipatorischer Projekte zukommt. Das Infragestellen gegenwärtiger Utopien mag dekadent anmuten. Gerade im Sich-nicht-Abfinden mit den kapitalistisch vereinnahmten Glücksversprechen aufklärerischen Denkens steckt aber selbst schon ein politisches Moment – abseits engagierter Parolen und Positionsbekenntnisse.
Damit ist auch nicht zwangsläufig dem politischen ‚Gegner‘ geholfen – mit diesem Argument ließ sich immer schon Kritik am eigenen Projekt delegitimieren. Gerade Selbstkritik ist aber der entscheidende Schritt, um die eigenen Fehler von sich aus zu beheben und deren Vereinnahmung nicht reaktionären Agitatoren zu überlassen. Und – wichtiger noch –, um nicht selbst wieder in jene Dynamiken zu geraten, die man gerade zu bekämpfen versucht. Jedes emanzipatorische Projekt bringt Widersprüche und Spannungen hervor, deren Benennung muss nicht die Ablehnung dieses Projekts als Ganzes bedeuten. Darin lag schon das Missverständnis, „Du hast mich schon verstanden“ als reaktionäres, wutbürgerliches Pamphlet zu verstehen. (Dass auf dem Album mitunter Schlagworte fallen, die im rechten Spektrum Verwendung finden und ein mutmaßlich druffer Prezident im Interview das eigene Album auf die Frage, ob das nun rechts sei, als „wenn dann rechtsintellektuell“ bezeichnet, hat der Debatte wohl nicht geholfen.)
Fazit: Auf „Alles ist voll von Göttern“ zieht Prezident sich wieder stärker aus dem tagespolitischen Geschehen zurück und stattdessen die größeren Linien. Musikalisch schließt man vor allem an „Kunst ist eine besitzergreifende Geliebte“ an, wobei aber auch die Handschrift von Jay Baez hörbar ist. Allgemein wird es wieder melancholischer und existenzieller. Wie eh und je werden dabei die sich anbietenden Rollenklischees umschifft oder selbstironisch aufgenommen. Die phrasenhaften Zuschreibungen vom „Misanthropen“, „Nihilisten“ oder „Zyniker“ müssen letztlich ins Leere laufen, Antimidas Prezi lässt sich vielleicht noch am ehesten mit einem Wort von Walter Benjamin als „destruktiver Charakter“ beschreiben: „kaputt machen, gerad weil etwas schön is“.
Nicht der gescheiterte Idealist begegnet dem Hörer auf dem Album. Hinter der Radikalkritik scheint vielmehr selbst hin und wieder eine verschrobene Art von Idealismus durch, und bestünde er auch nur in der Verweigerung der Selbsttäuschung, einem Ethos des bewussten Erlebens und – wer weiß? Womöglich auch in der leisen Hoffnung, wo man kaputt macht, Platz für Neues zu schaffen.
Man muss sich diese Haltung nicht zu eigen machen, vielleicht sollte man sie nicht einmal gut heißen. Man kann aber anerkennen, dass es in manchen Fällen gerade die unbequemen, die destruktiven Charaktere sind, die für jene emanzipatorischen Projekte, die sie kritisieren, am Ende eine wichtige Rolle spielen. (Wobei es natürlich schon in ihrem Wesen liegen muss, diese Rolle selbst mit allem Nachdruck abzustreiten.) Rein ästhetisch – was textuelle Versiertheit, konzeptuelle Eigenständigkeit und Sicherheit in Vibe und Stil anbelangt – gehört das alles ohnehin seit Jahren mit zum Besten, was sich auf Deutsch finden lässt.
Prezident präsentiert das Album live gemeinsam mit den Drunkn Masters sowie Hinz & Kunz am 7. Mai im Wiener B72.
Text: Manuel Paß
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