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Intensive Momente mit Pusha-T: „Daytona“ // Review

Intensive Momente mit Pusha-T: „Daytona“ // Review

(GOOD Music/Def Jam/VÖ: 25.05.2018)

Mit einer ganz konkreten Vision im Kopf begann Pusha-T die Arbeit an seinem dritten Studioalbum „Daytona“. Die persönliche Betitelung als „Purple Tape“ kommt dabei nicht von ungefähr, im Gegenteil: Sie ist ein expliziter Hint auf das große Vorbild, dem Pusha-T mit „Daytona“, das einst „King Push“ heißen sollte, nacheifert. „Purple Tape“ referenziert auf Raekwons „Only Built for Cuban Linx…“, eine Blaupause des Mafioso-Rap, die gemeinhin eben als „The Purple Tape“ bekannt ist. Dieser Name rührt von der Art der Original-Veröffentlichung in Form purpurner Kassetten, womit Raekwon sein Produkt auf dieselbe Weise markieren wollte wie Drogendealer ihre Ware.

Ein Gedankengang, der lediglich die inhaltliche Ausrichtung widerspiegelt. Dass sich Pusha-T, der im Interview mit Vulture „Only Built for Cuban Linx…“ gar als „Heiligen Gral“ unter allen Rapalben bezeichnete, davon besonders angesprochen fühlte, verwundert nicht. Als Vertreter des „Coke Rap“, egal ob im Verbund mit Bruder Malice (der mittlerweile dem Rappen abgeschworen und zum Christentum gefunden hat) als Clipse oder solo: Der Einfluss von Raekwon auf seine Lyrics ist hörbar.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung, auf „Daytona“ gänzlich auf die Beats eines Produzenten zu vertrauen, umso schlüssiger. Was RZA für Raekwon 1996, ist nun Kanye West für Pusha-T 2018. Kanye West zeigt sich zudem für das Artwork zuständig, das er in letzter Sekunde vor Release änderte. In einer Hauruck-Aktion blätterte Kanye West 85.000 Dollar für ein Foto des mit Drogen übersäten Badezimmers der 2012 verstorbenen Souldiva Whitney Houston hin. „This is what people need to see to go along with this music“, erklärte West die umstrittene Coverwahl.

Nur: Der Vorwurf mangelnder Pietät mag ebenso stimmen wie seine Erklärung, warum dieses Foto nun einmal zur Visualisierung der Musik außerordentlich taugt. Das mit sieben Tracks knackig gehaltene „Daytona“ ist nämlich genau dieser Spagat zwischen Straße und Dekadenz, der sich im Cover ausdrückt. Wie erwartet, schlüpft Pusha-T auf dem Album wieder in seine Paraderolle als Hustler, der es dank unbändigem Hunger zu Reichtum in Scarface-Manier schaffte.

Wie gut sich Pusha-T in diesem Gebiet weiterhin fühlt, zeigt gleich der Opener „If You Know You Know“. Gesegnet mit gewohnt eiskalter Delivery spuckt Pusha seine Zeilen über einem minimalistischen Beat, auf dem Kanye West zeigt, wie man Vocals richtig choppt. Musikalisch lässt er den Rapparts viel Raum, den Pusha zur Aufarbeitung seins Lieblingsthemas nutzt. Es schneit wieder beim GOOD-Music-Präsidenten. Keine Abkehr davon der nächste Track „The Game We Play“, eine typische Hustler-Story, auf der Kanye West Booker T Averhearts „Heart N Soul“ samplet. Über Blues-Gitarre und Soul-Bläsern schildert Pusha die mannigfaltigen Einflüsse für sein Handeln, worunter natürlich auch musikalische Vorbilder fallen: „This is my Purple Tape/Save up for Rainy Days“, rappt er unmissverständlich.

Nach dem imposanten Einstieg folgt mit „Hard Piano“ ein kleiner Rückschlag. Der atonale Piano-Loop fällt nervtötend aus, durch die dramatisch intonierte Hook von The World Famous Tony Williams wirkt der Song zusätzlich überladen, die Zeit von Featurepartner Rick Ross ist mittlerweile auch hörbar vorbei. Schade, da Pusha-Ts Part doch einige sehr bemerkenswerte Zeilen abseits des Üblichen enthält; etwa, wenn er sich mit der Zeile: „I won’t ruin my dreams or Harvey Weinstein the kid/Good mornin’, Matt Lauer, Can I Live?“ zu #MeToo äußert, was eigentlich nicht wirklich zu erwarten war.

„Hard Piano“ ist glücklicherweise die einzige Stelle, auf der „Daytona“ nicht gänzlich überzeugen kann. Denn danach bietet Pusha-T eine ganze Reihe an Beispielen für große zeitgenössische Rapmusik, beginnend mit der neuerlichen Hustler-Ode „Come Back Baby“, die sich als regelrechtes Instrumental-Kunstwerk entpuppt. So beginnt der Track mit einem Sample von The Mighty Hannibal und nimmt während der kompromisslosen Strophen von Pusha-T eine staubtrockene Gestalt an, getragen lediglich von 808-Drums und einer ungemein grimmigen Bassline. Mit einem Sample des George-Jackson-Songs „I Can’t Do Without You“ in der Hook erschafft Kanye West dann einen ausgeklügelten, staunenswerten Kontrast.

Übertroffen wird die Nummer nur vom nachdenklichen „Santeria“, dem Highlight der Platte. Hier thematisiert Pusha-T auf einem ähnlichen Beat-Kunstwerk mit gesampelten Strings und grandiosem Beat-Switch den Tod seines engen Freundes und Road-Managers De’Von „Day Day“ Pickett und versucht, getreu dem Titel, mit dessen Geist in Kontakt zu treten: „You listening De’Von? As I’m talking to your spirit, for God’s sake, I’m dealing with heartbreak.“ Nur passend, dass bei diesem Thema eine spanische Hook zum Einsatz kommt. Verantwortlich dafür 070 Shake, die ihre Aufgabe mit Bravur löst und Pushas Zeilen kongenial abrundet.

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Kongenial passt auch zu Kanye West, der auf „What Would Meek Do?“ zum Mic greift, inklusive eines verschrobenen Einstiegs: „Poop, scoop!/Whoop! Whoopty-whoop!/Am I too complex for ComplexCon?“, rappt er, bevor er sich inhaltlich seinen Kontroversen der vergangenen Wochen widmet. Natürlich, ohne dabei einen Hauch von Einsicht zu zeigen. Inhaltlich umstritten, aber abgesehen von seiner Haltung: Es gab schon schlechtere Parts von Kanye West. Über den Part von Pusha-T, der sich darin unter anderem in den Top 5 aller Rapper einordnet, herrschen hingegen keine Zweifel. Schlichtweg astrein, wie Pusha seine doch wenig abwechslungsreichen Inhalte rüberbringt und damit die Spannung oben hält.

Abgeschlossen wird „Daytona“ mit „Infrared“. Keine Hook, Pusha rappt den Vers durch und widmet sich darin unter anderem der vermuteten Verbindung zwischen dem Wahlsieg von Donald Trump und Russland und nimmt nebenbei auch Drake ins Fadenkreuz. Auf den spielt Pusha mit den Zeilen „It was written like Nas, but it came from Quentin“ und „How could you ever right these wrongs/When you don’t even write your songs?“ an und setzte damit retrospektiv eine Lawine in Gang. Aber da „Daytona“ „Only Built for Cuban Linx…“ als Vorbild hat, musste jemand gedisst werden. Was The Notorious B.I.G. und das Interlude „Shark Ni**as (Biters)“ für Raekwon, ist Drake und „Infrared“ für Pusha T. Wäre auch überraschend gewesen, wenn er von seinem Vorbild in dieser Hinsicht abgewichen wäre.

Fazit: Mit „Daytona“ wollte Pusha-T seine Version von „Only Built for Cuban Linx …“ abliefern – und dieser Plan ging auf. „Daytona“ wandert großteils zwischen unterkühlten Geschichten von Drogengeschäften und einer ultrakapitalistischen Gier nach Luxus und Reichtum. Also Dinge, die man von Pusha-T zwar schon oft gehört hat. Sehr oft. Und sehr oft sehr gut. Doch auf „Daytona“ hat er mit Kanye West endlich wieder einen genialen Mitspieler, der mindestens auf Neptunes-Niveau agiert. Kanye West schusterte zu großen Teilen soulige Samplebeats, gibt sich aber oft ganz reduziert, damit Pusha-T seine Stärke ausspielen kann. Diese liegt in einer beklemmend intensiven Delivery, die über eine inhaltliche Monokultur hinwegsehen lässt. „Daytona“ bietet somit ein Zusammenspiel zwischen Rapper und Produzenten, das tatsächlich an RZA und Raekwon erinnert und in einem hochinteressanten, geschmackssicheren Stück Musik resultiert, dessen Einstufung zu höheren Ehren einzig durch die kurze Spielzeit (21 Minuten) verwehrt wird.

4 von 5 Ananas