Nun hat es der Eklat rund um die Sido/Heinzl-Watschn sogar in den diskussionsträchtigen Club 2 im ORF-Abendprogramm geschafft. Gestern Nacht debattierten unter anderem ein Jugendforscher, eine Journalistin und Texta-Urgestein Skero über die mediale Präsenz einer handfesten Entgleisung abseits der „Großen Chance“-Showbühne. Gleichzeitig kommt es zu einer Stigmatisierung der HipHop-Kultur und einer Klischeebildung der Mainstream-Bewegung, die immer mehr Anklang finden.
Was genau an diesem Freitagabend nach der Liveübertragung vorgefallen ist, braucht man aufgrund der unglaublich vielfältigen Existenz medialer Beiträge an dieser Stelle wohl nicht mehr näher erläutern. Über Titelbilder von Gratiszeitungen und Artikeln im Feuilleton, bis hin zu Nennungen in der deutschen Medienlandschaft erstrecken sich die Schriften über den angeblich so skandalösen Vorfall am Küniglberg. Stimmen über ein womöglich vorgetäuschtes zu Falle Kommen des Chili-Moderators Dominic Heinzl werden laut und gießen Öl in die ohnehin schon hitzige Debatte rund um Sidos Gewaltausbruch und die daraus für ihn resultierenden Konsequenzen des ORF.
Bereits bei der ersten Staffel der etwas anderen Castingshow kam es zu einem Disput zwischen Sido und Jeannée, dem Kolumnisten einer eher berühmt berüchtigten Sparte des Boulevard-Journalismus. Schon damals kümmerte es ihn, im Gegensatz zu Zirkusdirektor Bernhard Paul, kein bisschen was der Medienrepräsentant über ihn schreiben könnte und kritisierte dessen Darbietung, sodass er im Nachhinein den Mittelfinger Jeannées zu sehen bekam.
Dass Sido seine Meinung medienträchtig kund tun würde, wusste der ORF mit Sicherheit schon im Voraus. Dies war bestimmt die Hauptentscheidung für das Engagement des Rappers. Immerhin bietet das Risiko einer gewagten Aussage auch höhere Einschaltquoten, da das Publikum sowieso schon längst von aalglatten Sprüchen und der österreichischen Freunderlwirtschaft gesättigt ist.
Im gestrigen Club 2 mit dem Thema „Das Geschäft mit Provokation und Aggression: Wie weit dürfen Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, Grenzen überschreiten?“ wurde diese Thematik noch einmal aufgegriffen, und dabei ein paar interessante Schlüsse gezogen. Gleich zu Beginn drängte sich die Frage auf, warum sich der ORF dazu entschieden hatte, Skero zu dieser Thematik zu befragen. Immerhin kommt das Texta-Mitglied aus einem völlig anderem Rapgenre als Sido. Hätte nicht vielleicht ein Nazar oder Raf 3.0 mehr Repräsentativität versprochen? Es keimt der Gedanke von Ignoranz und Unprofessionalität von Seiten des ORF auf, aber vielleicht kennen die Sendungsmacher einfach keine anderen Rapper aus Österreich, was aufgrund der Unterrepräsentation dieser Musikrichtung in den Medien vielleicht der realistischste Grund wäre.
Im Großen und Ganzen bilden die eingeladenen Diskutanten allerdings einen einstimmigen Chor, wenn es um die Sympathie und Authentizität des Berliner Rappers geht. Vor allem die Journalistin Sybille Hamann lobt den Mut und die soziale Intelligenz des Juroren Sido, da dieser stets respektvoll auch mit schwächeren Leistungen von Kandidaten umging. Außerdem wird erwähnt, dass sich vor allem die anderen Jurymitglieder bei ihrer Wertung an dem Deutschen und dessen moralischen Vorstellungen orientierten. Ein deutscher Rüpelrapper als Leitfigur im österreichischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen gilt wohl bisher als Rarität. Sido wird trotz allem von einem Großteil der österreichischen Bohème noch immer als der kiffende Gewalttäter aus der Unterschicht identifiziert, der nun Opfer seines eigenen Images wurde. Offen bleibt in diesem Zusammenhang, warum HipHop nicht mit den positiven Aspekten dieses Genres und den angenehmen Charakterzügen mancher Rapper gleichgesetzt wird. Noch immer herrscht in vielen Köpfen der Bevölkerung ein festgefahrenes Bild über HipHop vor. Immerhin sei dieser gewaltverherrlichend, glorifiziert den Drogenkonsum und kommt aus einer sozial benachteiligten Ecke der Vorstädte. Mit diesen Argumenten hat die Kultur, die sich rund um Rapmusik entwickelt hat, bis heute zu kämpfen. Auch in der von Sido initiierten ORF-Sendung „Blockstars“ ging es mehr um die Ausländerkriminalität und die Schicksale der Rapper mit Migrationshintergrund, als um die Musik an sich. Auch der FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky meldete sich bezüglich des aktuellen Disputs zu Wort und brüskierte sich über den angeblichen “Maruhuana”-Konsum des Juroren und forderte lautstark Maßnahmen von Seiten des ORF. Wenn ein Rapmusiker in der Jury sitzt, dann kann er dies wohl nur bekifft tun – und Aggressivität sei sowieso nur eine Folge des sozialen Milieus, in dem er aufgewachsen ist. Vielleicht sollten sich die Verteidiger dieser Haltung einmal ein Video aus unterschiedlichen Parlamenten dieser Welt zu Gemüte führen, um der vorherrschenden Korrelation zwischen Gewalt und Bildungsschicht neue Denkweisen entgegenzustellen.
Nichtsdestotrotz rechtfertigt nicht das Geringste die Tatsache, dass Gewalt generell nichts im Fernsehen und im besten Fall gar nichts im Leben jedes Menschen zu suchen hat. Dies hat der mittlerweile gereifte Rapper nach gewaltverherrlichenden Texten aus AGGRO Berlin und AIDS-Zeiten bereits begriffen und sich auch öffentlich für die handgreiflichen Ausschreitungen und die Beleidigung von Heinzls Mutter entschuldigt.
Das Beschimpfen der Mütter ist wirklich nicht die eleganteste Art und Weise, seinem Unmut Ausdruck zu verleihen und beschränkt sich auch im HipHop Business eher auf die rudimentären Fähigkeiten einiger Vertreter dieser Musikrichtung. Wie sich der Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell aber zurecht im Club 2-Beitrag äußert, besitzt Österreich im Gegensatz dazu eher eine analfixierte Schimpfkultur, in der es legitim ist, in derartigen Ausdrucksweisen sein Missbehagen auszudrücken.
Skero, der selbst langjährige Erfahrung in der österreichischen HipHop Szene besitzt, trägt eher wenig zu der doch sehr aktiven Diskussion bei und merkt nur etwas stotternd an, dass er auf Gangster-Rap steht, aber trotzdem kein Fan von Gewalt sei. Er mag zudem den Humor und die Selbstironie, die Sido auszeichnen und meint, dass die Jugendlichen einen Cro nicht mehr hören wollen, und für sie die Facetten des Gangster-Raps wohl interessanter erscheinen. Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier wird da schon etwas konkreter und meint, dass AGGRO Berlin unter anderem etwas repräsentiert, mit dem sich viele Jugendliche, die aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden, identifizieren können. Er unterstellt dem ORF eine Verfolgung des „neoliberalistischen Individualismus“, da die Bewerber der Show indoktriniert werden, verbissen und egoistisch zu sein, denn nur dies wäre professionell. Skero meint dazu, dass die Majorlables noch immer großes Interesse daran haben, einen Interpreten zu suchen, der sich völlig an Songschreiber und Management orientiert, um anschließend aus dieser Verbiegung einer Person die meisten Plattenverkäufe und den größten Profit zu generieren. Außerdem gäbe es ohnehin keine Sendung im ORF, in der es um Musik geht. Wenn einmal eine talentierte Sängerin wie Amy Winehouse erwähnt wird, dann nur in den Klatschspalten und -sendungen aufgrund ihres exzessiven Lebens und ihres Drogenmissbrauchs.
Abschließend bleibt zu sagen, dass diese Ohrfeige wohl die meist rezensierte des Jahres 2012 ist. Welche Position man dazu einnimmt, sollte jeder für sich selbst entscheiden. Es wäre allerdings wahnsinnig erfreulich, wenn ein Thema, das politische oder soziale Missstände in unserem Land aufzeigt, ähnlich viele Likes auf einer Social Media Plattform in einer derart kurzen Zeit erreichen könnte, wie das der Gruppe der Sido-Sympathisanten.
Text: Julia Gschmeidler
Foto: Ben Wolf
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