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Nicht ganz die feine englische Art // Sleaford Mods Live

Nicht ganz die feine englische Art // Sleaford Mods Live

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Die Sleaford Mods live im Flex // Text: Roman Gessler // Foto: Giulia Staudacher

Ziemlich genau zwei Jahre ist es her, dass die Sleaford Mods im Chelsea ihr Wien-Debüt gefeiert haben. Die beiden Briten, die damals noch als Geheimtipp gehandelt wurden, veröffentlichten im März ihr neuntes Studioalbum „English Tapas“ und spielen nur noch ausverkaufte Konzerte. So füllten sie am Montagabend auch das Wiener Flex bis zum Rand.

Bereits beim ersten Support – die deutschen Punkband Pisse – ist der Laden voll. Neben etwas Staunen beim ersten Theremin-Solo und einigen müden Lachern bei Songtexten wie „Ich will dein Fahrradsattel sein“ kommt nicht wirklich Stimmung auf. Beim zweiten Support-Act Mark Wynn scheint auch nicht mehr Feuer im Ofen zu sein. Auf seinem Laptop spielt er seine Songs ab, die ein wenig klingen, als hätte man den Sleaford Mods vor einem Auftritt eine Hand voll Valium ins Bier geschmuggelt. Dazu tanzt der Brite über die Bühne und betont immer wieder, dass er für seine Performance gerade 500 Euro bekommt. Punk bleibt mir einfach an vielen Stellen verschlossen.

Als Sleaford Mods‘ DJ Andrew Fearn endlich die Bühne betritt, bemerkt man ihn kaum, so unscheinbar wirkt der dürre Mittvierziger. Stilecht, mit einer Dose Wieselburger in der Hand, geht er zu seinem Laptop, der auf zwei Bierkisten am Rand der Bühne steht und drückt auf Play. Zu einem rumepligen Beat aus monotonen Drums und einem einfachen Bassriff schnappt sich Jason Williamson das Mic und stimmt „Army Nights“, den ersten Track des neuen Albums an. Der Funke springt endlich über und das Publikum fängt zu jubeln und tanzen an. Zwei Songs später kommt mit der aktuellen Videoauskopplung „Moptop“ die erste schnellere Nummer. Die Fans im vorderen Drittel lassen sich nicht länger bitten und starten einen Moshpit, der sich quasi über das ganze Konzert hält.

Jason versprüht während seiner Performance nicht nur eine Menge Spucke und Schweiß, sondern auch eine gehörige Portion Hass. Auf die simplen Lo-Fi-Beats seines Partners empört er sich lautstark und obszön über Politik, Gesellschaft und die Probleme der Arbeiterschicht. Wer den fiesen East-Midland-Akzent durchschaut, findet in den Texten aber auch durchaus poetische und philosophische Passagen. Das Ganze in ein Genre zu pressen, fällt extrem schwer. Jason selbst beschrieb die Musik in einem Interview als „electronic munt minimalist punk-hop rants for the working class“.

Was während des Konzerts merklich auffällt, ist die ungewöhnliche Crowd. Während sich bei der Bühne bunt gemischt und verschwitzt junge Leute aller Stile tummeln, ist der hintere Teil des Flex‘ gefüllt mit Männern um die vierzig, die aussehen, als hätten sie vor zwanzig Jahren mal in einer Punkband gespielt, aber rechtzeitig den Absprung geschafft und eine Karriere in der Kreativbranche begonnen.

Nach einigen Songs von „English Tapas“ steigern sich die Briten in der zweiten Hälfte des Konzerts noch einmal deutlich. Hits wie „TCR“, „Jolly Fucker“ und „B.H.S.“ bringen die Menge zum Kochen und werden lautstark mitgegrölt. Der verhältnismäßig ruhige Track „Cuddly“ überrascht mit einer fetten Bassline im Half-Time-Feeling und klingt so fast schon nach TripHop. Die Stimmung im Flex ist großartig. Der sichtlich gerührte Andrew braucht gleich mehrere Versuche, um mit seinem Smartphone ein Foto vom Publikum zu machen. Der Höhepunkt des Abends folgt aber eindeutig im Encore-Teil. Mit „Jobseeker“, „Tied Up In Nottz“ und „Tweet Tweet Tweet“ packt das Duo noch einmal die wahrscheinlich besten Titel seiner bisherigen Karriere aus und erntet gebührenden Applaus.

Fazit: Die Briten haben sich im Vergleich zum letzten Konzert in Wien extrem gesteigert. Sie sind zu professionellen Performern geworden – ohne dabei ihren Lo-Fi-Charme zu verlieren. Zu Recht haben sie das Flex bis in die letzte Ecke gefüllt. In einer Welt, in der Warner Music und Bibi nach vier Tagen 25 Millionen Views haben und Österreich mal wieder einen austauschbaren Lulli in den ESC schickt, sind die Hasstiraden der stinkwütenden Sleaford Mods genau das, was das Musikerherz braucht, um wieder Frieden zu finden.